"Was ist nur los mit den Deutschen?" Libyer verstehen deutsche Haltung nicht
28.04.2011, 11:36 UhrAngesichts der engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und Libyen wundern sich die libyschen Aufständischen, dass Berlin bisher nicht Partei für sie ergriffen hat - anders als die EU-Länder Frankreich und Italien.
Italiens Ministerpräsident Silvio Berlusconi pflegte noch bis vor einigen Monaten eine innige Männerfreundschaft mit Libyens Machthaber Muammar al-Gaddafi. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy verkaufte dem exzentrischen Oberst moderne Waffen, die er jetzt gegen die Aufständischen einsetzt.
Trotzdem wehen in Bengasi, wo die Gegner Gaddafis einen Nationalen Übergangsrat gegründet haben, heute italienische und französische Fahnen. Und obwohl die Bundesregierung immer eine gewisse Distanz zu Gaddafi gewahrt hatte - Bundeskanzlerin Angela Merkel soll mehrere Einladungen abgelehnt haben - sucht man die Farben Schwarz, Rot, Gold im "befreiten Libyen" vergebens. Das liegt vor allem daran, dass sich die Bundesrepublik im März bei der Abstimmung über die Libyen-Resolution enthalten hatte. Die Resolution 1973 war Grundlage für den Militäreinsatz zum Schutz der Zivilisten.
Kein Verständnis für die Bundesregierung
"Was ist nur los mit den Deutschen?", fragt Ahmed al-Gallal. "Weshalb haben sie sich im Libyen-Konflikt auf die Seite von China und Russland gestellt, anstatt zusammen mit den Amerikanern und anderen europäischen Staaten die Revolution des Volkes gegen den Tyrannen zu unterstützen?", rätselt der Geschäftsmann aus Bengasi. Er hätte erwartet, dass sich die Deutschen sogar schneller als Italien oder Frankreich auf die Seite der Aufständischen schlagen würden - "aus moralischen Gründen und weil sie hier noch größere Geschäftsinteressen haben als alle anderen Europäer".
Auch der Wirtschaftsanwalt Hani al-Kichia, der häufig deutsche Firmen in Libyen vertreten hatte, kann die Haltung der Bundesregierung nicht verstehen. "Wintershall, Bilfinger Berger, Siemens, Hochtief - die Deutschen waren hier dick im Geschäft, für sie wird es künftig schwer werden in Libyen, wenn Gaddafi weg ist", sagt er. Denn dass Gaddafi doch noch als Sieger aus dieser Schlacht hervorgehen könnte, das glaubt hier in Bengasi, wo Al-Kichia mit alten Freunden aus Jugendtagen beim Kaffee sitzt, niemand. Auch nicht sein Freund Idriss Tajjeb Lamin, ein Dichter, der es unter Gaddafi vom politischen Gefangenen zum Botschafter gebracht hatte. Lamin hat sich rasch eine neue Visitenkarte in den Farben der Revolution drucken lassen.
"Es ist noch nicht zu spät"
Der Übergangsrat hat schon durchblicken lassen, dass diejenigen Staaten, die klar für die Aufständischen Partei ergriffen haben, im "neuen Libyen" bei der Vergabe staatlicher Aufträge bevorzugt werden sollen. "Auch für die Deutschen ist es noch nicht zu spät, um das Ruder herumzureißen, selbst wenn sich ihre Truppen nicht direkt an dem Einsatz in Libyen beteiligen", meint Al-Gallal. "Die arabische Straße hat ein sehr kurzes Erinnerungsvermögen, wie man am Fall Italiens sehen kann."
Der Übergangsrat hofft unterdessen, dass ihn demnächst noch mehr Staaten als legitime Vertretung des libyschen Volkes anerkennen werden. Bislang haben sich nur sechs Staaten dafür entschieden, darunter Italien und Frankreich. "Wir stehen ständig in Kontakt mit mehreren europäischen Staaten, darunter auch Spanien, Deutschland und Griechenland", erklärt der Sprecher des Rates, Schamseddin Abdulmola. Er rechnet damit, dass Präsident Sarkozy demnächst zum ersten Besuch im Rebellengebiet eintreffen wird.
Araber schwenken US-Flaggen
US-Senator John McCain war in der vergangenen Woche schon da und bot Anlass für eine seltene Erscheinung: Junge Araber, die US-amerikanische Fahnen nicht verbrennen, sondern voller Begeisterung schwenken. Zwar wurden die kleinen Fähnchen vor McCains Besuch von Aktivisten des Übergangsrates an die Demonstranten verteilt. Trotzdem glauben etliche Fachleute, dass das Terrornetzwerk Al-Kaida von Osama bin Laden letztlich der große Verlierer im Kampf um die Herzen der Menschen im Osten Libyens sein wird. Denn die Militäroperation unter Führung der Nato bricht das von Al-Kaida propagierte Feindbild vom bösen Westen, der aus Eigennutz die korrupten arabischen Regime stützt, auf.
Quelle: ntv.de, Anne-Beatrice Clasmann, dpa