Gasprinzessin in Hand des Gasinstallateurs Machtkampf auf Ukrainisch
25.04.2012, 13:27 Uhr
Derzeit machtlos bzw. mächtig: Julia Timoschenko und Viktor Janukowitsch.
(Foto: picture alliance / dpa)
Der Fall Julia Timoschenko rückt wieder in den Fokus. Die inhaftierte ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin befindet sich im Hungerstreik. Präsident Janukowitsch und die Justiz der Ex-Sowjetrepublik stehen in der Kritik. Wenige Wochen vor Beginn der Fußball-EM ist das Image der Ukraine beschädigt.
Julia Timoschenko geht aufs Ganze. Bereits seit dem 20. April . Sie protestiert damit gegen ihre Behandlung durch das Personal der Haftanstalt und die Ärzte ihres Heimatlandes. Öffentlichkeitswirksam lässt die 51-Jährige den Streit um ihre Person eskalieren. Die Ukraine sei kein Rechtsstaat, ist ihre Botschaft. Ihre Anhänger werben seit Monaten beim Westen um politischen Beistand. Dieser hat bereits mit scharfer Kritik gegen den seit 2010 in Kiew regierenden Präsidenten Viktor Janukowitsch reagiert und Partei für die Frau mit dem markanten Haarkranz ergriffen.
Die Ukraine kommt kurz vor Beginn der Fußball-Europameisterschaft, bei der sie sich als weltoffenes Land präsentieren will, nicht aus den Negativschlagzeilen heraus. In einer Nacht-und-Nebel-Aktion wurde Timoschenko gegen ihren Willen aus der Haftanstalt in in ein Krankenhaus gebracht. Dass sie nach Angaben ihres Anwalts dazu gewaltsam gezwungen und dabei sogar geschlagen wurde, wirft ein bezeichnendes Licht auf das Rechtswesen der ehemaligen Sowjetrepublik. Bemerkenswert dabei ist, dass sich die Behörden nicht einmal die Mühe machen, die Anwendung physischer Gewalt gegen Timoschenko zu leugnen. Das erlaubten die Gesetze, so ein Staatsanwalt lapidar. Allerdings will man wohl auch in der Ukraine den Fall nicht auf die Spitze treiben: Die Ex-Regierungschefin sei nicht geschlagen worden, schob der Rechtsvertreter hinterher. Die Ereignisse schlagen so hohe Wellen, dass sogar Russland, wo der Oligarch Michail Chodorkowski seit Jahren ein Dasein im Gefängnis beziehungsweise Straflager fristet, mahnt, "Menschlichkeit unter Beweis zu stellen".
Timoschenko leidet seit Langem unter starken Rückenschmerzen - Berichten zufolge wegen eines Bandscheibenvorfalls. Eingeflogene Ärzte der Berliner Charité bezeichnen sie als "sehr krank" und machen aus ihrer Meinung keinen Hehl, dass die Politikerin in Charkow nicht angemessen behandelt werden könnte. , um Timoschenko in Deutschland medizinisch betreuen zu lassen. Bislang erfolglos, denn Janukowitsch und die Seinen bleiben hart. Ein Krankenhaus sei nun mal kein Hotel, verlautete barsch aus dem Gesundheitsministerium.
Der Präsident gibt sich gegenüber seiner gefährlichsten Widersacherin im Kampf um die Macht bislang ohne Gnade. Er hat die sogenannte Revolution in Orange von 2004, die ihn um den Präsidentensessel brachte, nicht vergessen. Timoschenko hatte damals dafür gekämpft, dass Viktor Juschtschenko - über diesen redet in der Ukraine kaum jemand mehr - Präsident wurde. Nunmehr seit zwei Jahren am Staatsruder, arbeitet Janukowitsch die Revolution auf seine Weise auf. Bereits im August 2011 wurde Timoschenko, die bei der Präsidentenwahl Anfang 2010 Zweite wurde, inhaftiert.

Erst politisch gemeinsam, dann getrennt: Timoschenko und Viktor Juschtschenko.
(Foto: picture alliance / dpa)
hat die "Gasprinzessin" Timoschenko bereits aufgebrummt bekommen. Ihr wurde zur Last gelegt, Gasverträge mit Russland zu für die Ukraine ungünstigen Konditionen ausgehandelt zu haben. Der ehemalige Gasinstallateur Janukowitsch wirkte hinter den Kulissen und berief sich auf die "Unabhängigkeit der ukrainischen Justiz" und auf ein Strafgesetzbuch, das noch aus der UdSSR stammt. Es enthält die Punkte 364 und 365, die - bei weiter Auslegung - getroffene politische Entscheidungen strafbar macht. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hatte im Januar dieses Jahres von der Ukraine verlangt, diese Artikel zu ändern. Der zu Sowjetzeiten ebenfalls mit dem Gesetz in Konflikt geratene Staatschef - er sah in seiner Jugend ein Gefängnis wegen Diebstahls und Körperverletzung von innen - lässt sich aber mit der Reform des Strafgesetzbuches Zeit. Die Mehrheit im Parlament (Rada) weiß Janukowitsch in dieser Frage hinter sich.
Und die Justiz lässt nicht locker und fährt weitere schwere Geschütze auf: Nun wird gegen Timoschenko wegen des Verdachts der Veruntreuung von umgerechnet fast 300 Millionen Euro in ihrer Zeit als Chefin der "Vereinigten Energiesysteme der Ukraine" (EESU) ermittelt. Auch Steuerhinterziehung wird ihr vorgeworfen. Das Unternehmen mit guten Beziehungen zu Russland betrieb sie gemeinsam mit ihrem inzwischen nach Prag geflüchteten Mann Alexander. Sogar in den Mord am Abgeordneten und Geschäftsmann Jewgeni Schtscherban soll sie verwickelt sein. Drahtzieher des Verbrechens ist laut ukrainischer Staatsanwaltschaft der ehemalige Ministerpräsident Pawel Lasarenko, der in den USA wegen Geldwäsche einsitzt. Timoschenko war in den 1990er Jahren mit Lasarenko politisch verbündet. Timoschenko weist von ihrem Krankenlager die Vorwürfe entschieden zurück und sieht Janukowitsch hinter den Vorwürfen.
Uneinigkeit in Orange
Die Beschuldigte ist wahrlich kein Kind von Traurigkeit. Mit welchen Mitteln Timoschenko zu ihrem Vermögen von mehreren hundert Millionen US-Dollar kam, ist nicht vollständig geklärt. Ein Großteil der Ukrainer lehnt deshalb die Frau aus Dnjepropetrowsk auch ab. Während ihrer zwei Amtsperioden als Regierungschefin kämpfte sie mit harten Bandagen. Unter dem Deckmantel einer sozialdemokratisch orientierten Politik überwarf sich Timoschenko schnell mit ihrem ehemaligen politischen Gefährten Juschtschenko, dem sie übertriebenen Wirtschaftsliberalismus vorwarf, und forcierte damit die Spaltung des sich verstärkt dem Westen zugewandten orangefarbenen Lagers. Doch ihre Rechnung, mit Hilfe ihres "Blocks Julia Timoschenko" - einem Bündnis mit anderen Parteien - selbst Präsidentin zu werden, ging nicht auf. Die Entzweiung von Timoschenko und Juschtschenko spielte nur dem blauen Lager, Janukowitsch und seiner "Partei der Regionen", in die Hände. Vor zwei Jahren errang es die Macht. Nun wollen sechs Oppositionsparteien, darunter Timoschenkos 1999 gebildete Gruppierung "Batkiwschtschina" (Vaterland), als Bündnis die Parlamentswahlen im Herbst dieses Jahres in Angriff nehmen.
Wie Russland und Weißrussland hat die Ukraine den Weg hin zur Rechtstaatlichkeit noch nicht beschritten. Der Umgang der jetzigen Machthaber in Kiew mit Timoschenko ruft auch die Europäische Union auf den Plan. In Brüssel werden die Verfahren gegen sie scharf kritisiert. Die EU-Mitgliedsländer würden Verträge mit der Ukraine über eine politische Assoziierung und freien Handel nicht ratifizieren, so lange Timoschenko in Haft sei, heißt es unmissverständlich.
Auch für Angela Merkel, die gerne Fußballspiele besucht, könnte es während der EM ungemütlich werden. Er könne sich "nicht vorstellen, dass die Kanzlerin neben Herrn Janukowitsch auf der Tribüne sitzt, solange kein faires Verfahren gegen Frau Timoschenko gewährleistet ist", sagte CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann. Der menschenrechtspolitische Sprecher und parlamentarische Geschäftsführer der Grünen, Volker Beck, hat in dieser Hinsicht einen interessanten Vorschlag: Merkel solle, bevor sie ins Stadion gehe, Timoschenko im Gefängnis besuchen. Dass sich die deutsche Regierungschefin zu einer solch unangenehmen Stadtrundfahrt durch Charkow überreden lässt, ist eher unwahrscheinlich.
Quelle: ntv.de