Politik

"Koalition ist ernsthaft in Gefahr" "Wildsau" erregt die Gemüter

Im Streit um die Gesundheitsreform überbieten sich CDU und FDP mit gegenseitigen Beschimpfungen. Mehrere FDP-Politiker stellen sogar die schwarz-gelbe Bundesregierung infrage. Kanzlerin Merkel versucht zu schlichten.

Ungeachtet aller Bemühungen um Einigkeit eskaliert in der Koalition der Streit über die Gesundheitspolitik. Nach dem Stopp der Reformpläne von Minister Philipp Rösler verschärfte die FDP ihre Attacken gegen die CSU. "Die CSU ist als Wildsau aufgetreten, sie hat sich nur destruktiv gezeigt", sagte Gesundheits-Staatssekretär Daniel Bahr der "Passauer Neuen Presse". FDP-Generalsekretär Christian Lindner bescheinigte CSU-Chef Horst Seehofer ein persönliches Trauma.

"Das ist eine Zumutung", sagt CSU-Chef Seehofer.

"Das ist eine Zumutung", sagt CSU-Chef Seehofer.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Die CSU reagierte erbost. "Bei der FDP sind zwei Sicherungen durchgeknallt, und die heißen Bahr und Lindner", giftete CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt zurück. Bundeskanzlerin Angela Merkel mahnte die Koalitionäre zur Mäßigung und nannte die Wortwahl nicht nachahmenswert.

CSU-Chef Horst Seehofer äußerte sich sehr verärgert über die scharfe Kritik aus der FDP. "Das ist eine Zumutung", sagte der bayerische Ministerpräsident in Berlin. "Ich hoffe, dass die Spitzen der Koalitionsparteien wissen, dass das so nicht im Raum stehen bleiben darf." Der Chef der bayerischen Staatskanzlei und Vorsitzende der Oberbayern-CSU, Siegfried Schneider, sieht die schwarz-gelbe Zusammenarbeit im Bund massiv belastet.

"Auch eine Führungsfrage der Kanzlerin"

Bayerns stellvertretender Ministerpräsident Martin Zeil stellt die Berliner schwarz-gelbe Koalition wegen des Streits um die Gesundheitsreform infrage. "Wenn es Schule macht, dass man sich nicht an Vereinbarungen des Koalitionsvertrags hält, wie das hier der Fall ist, dann ist die Koalition ernsthaft in Gefahr", sagte der FDP-Politiker dem Berliner "Tagesspiegel". Zeil forderte Merkel zum Einschreiten gegen die CSU auf. "Das ist mittlerweile nicht nur eine Frage der CSU, sondern auch eine Führungsfrage der Kanzlerin. Sie muss die CSU hier stoppen."

Auch die bayerische FDP-Vorsitzende Sabine Leutheusser-Schnarrenberger warnte im Gesundheitsstreit vor einer Gefährdung der schwarz-gelben Koalitionen. "Die Koalition in Bayern funktioniert nur dann, wenn beide Partner auf Augenhöhe miteinander umgehen", sagte die Bundesjustizministerin dem "Münchner Merkur". Sie warf der CSU und Seehofer vor, politische Absprachen zu missachten.

Westerwelle kompromissbereit

Derweil will sich die FDP offenbar nicht länger an die Einführung einer Gesundheitsprämie klammern. Parteichef Guido Westerwelle ließ beim gemeinsamen Auftritt mit Merkel offen, ob es unter Schwarz-Gelb zu einer solchen pauschalen Abgabe kommt, wie sie seine Partei stets zur Bedingung für eine Reform gemacht hat. "Man muss ja, wenn man ein gutes Ergebnis möchte, alle auch immer mitnehmen", gab er sich kompromissbereit. Merkel, die als Befürworterin von Prämien gilt, will diese aber noch nicht aufgeben: "Das Kabinett hat sich noch einmal darauf verständigt, dass ein Strukturreformbedarf unabdingbar ist", sagte sie bei der Vorstellung der Ergebnisse der Spar-Klausur der Bundesregierung. Merkel und Westerwelle nannten Bahrs Wortwahl "nicht nachahmenswert".

Röslers Reform stößt in der CSU auf strikte Ablehnung.

Röslers Reform stößt in der CSU auf strikte Ablehnung.

(Foto: dpa)

Das Bundeskabinett verständigte sich bei seiner Klausur wie geplant darauf, der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) im nächsten Jahr einmalig mit zusätzlich zwei Milliarden Euro aus Steuermitteln unter die Arme zu greifen. Insgesamt wird die GKV nächstes Jahr so mit 15,3 Milliarden Euro bezuschusst.

In der vergangenen Woche hatte die CSU Röslers Reformkonzept abgelehnt, das unter anderem eine Pauschale von 30 Euro pro Monat für die gesetzlich Versicherten als Ergänzung zum normalen Beitragssatz vorsah. Im Gegenzug sollten die Versicherten bei den Beiträgen entlastet werden. Auch die Arbeitgeber sollten durch steigende Sätze an der Sanierung beteiligt werden. Rösler soll nun in den nächsten Wochen gemeinsam mit den Fachpolitikern der Koalition ein neues Konzept erarbeiten.

"Gesundheitspolitische Gurkentruppe"

Bahr warf Seehofer Totalverweigerung vor. "Die CSU wird einen pädagogischen Prozess durchlaufen und in Mathe-Nachhilfe feststellen, dass man mit vier Milliarden Euro Einsparungen kein Defizit von elf Milliarden Euro im Jahr 2011 decken kann", sagte Bahr unter Bezug auf die angepeilte Einsparsumme in der GKV. Die Folge werde sein, dass die Zusatzbeiträge steigen müssten, die jedoch den Wettbewerb verzerrten und ungerecht seien. Am Ende werde man daher auf Röslers Vorschlag zurückkommen.

Lindner erinnerte daran, dass Seehofer schon einmal wegen einer Gesundheitsreform der Union zurückgetreten sei und bescheinigte ihm ein persönliches Trauma. "Jetzt müssen 70 Millionen gesetzlich Versicherte seine Traumatherapie machen." Die bayerische FDP drohte der CSU mit Ärger in der gemeinsamen Koalition, wenn sie die Gesundheitsreform weiter ablehne.

CSU-Generalsekretär Dobrindt kritisierte, Bahr und Lindner entwickelten sich zur "gesundheitspolitischen Gurkentruppe: erst schlecht spielen und dann auch noch rummaulen". Ihre "Frustbewältigung" zeuge nicht von politischer Reife. Die CSU lehnt pauschale, einkommensunabhängige Beiträge der Versicherten seit Jahren ab und steht bei ihren Wählern im Wort. Besonders negativ aufgestoßen ist der FDP die radikale Ablehnung, über Röslers Konzept überhaupt zu verhandeln.

Quelle: ntv.de, dpa/rts/AFP

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