EU versagt in der Flüchtlingspolitik Aus den Augen, aus dem Sinn
30.12.2008, 17:27 UhrDie Nachrichten gleichen sich, nur die Zahlen variieren. Seit Weihnachten reißen die Meldungen von der anhaltenden Flüchtlingswelle von Afrika nach Europa nicht mehr ab. Täglich stranden Menschen bei dem Versuch, sich die Hoffnung auf ein besseres Leben in Europa zu erfüllen. 550 von ihnen landeten vor einigen Tagen auf Sizilien, ein Boot zerschellte dabei kurz vor der Landung an den Klippen der sizilianischen Insel Linosa. 234 Bootsflüchtlinge kamen auf der Insel Lampedusa an. Die Liste ließe sich beliebig fortführen. Jedes Jahr versuchen Hunderttausende, meist Afrikaner, über den gefährlichen Seeweg auf europäisches Gebiet zu kommen. Viele bezahlen das Risiko mit ihrem Leben.
Auf die, die es geschafft haben, wartet nicht das Gelobte Land, sondern die harte europäische Realität. Die heißt Abschottung statt Integration. Denn in den Augen der europäischen Politiker ist Flüchtlingspolitik keine humanitäre Frage, sondern ein Sicherheitsproblem.
Die europäische Staatengemeinschaft gibt zwar vor, die Menschenrechte und die Genfer Flüchtlingskonvention zu wahren. Für die Flüchtlinge bleibt das jedoch nur eine hohle Phrase. Werden ihre Transportschiffe von den Grenzschützern der EU oder der Anrainerstaaten auf dem Mittelmeer entdeckt, werden sie meist unmittelbar zurückgewiesen oder in einen Transitstaat geschleppt. Die Schutzbedürftigkeit der Flüchtlinge wird nicht geprüft. Das verstößt in grobem Maße gegen internationales Recht, wie das Europäische Zentrum für Verfassungs- und Menschenrechte 2007 in einer Studie befand.
Wie hart europäische Sicherheitskräfte durchgreifen, berichtete der Leiter der Einsatzzentrale der italienischen Militärpolizei, Mazzoni, in einem Interview in der ARD. Er habe Anweisungen erhalten, nach denen Flüchtlingsbooten Treibstoff und Lebensmittel abzunehmen seien, so dass ihnen nur die sofortige Umkehr bleibe.
Mit der Vorverlagerung der Migrationskontrollen auf die Hohe See versucht die EU, das in Artikel Art. 33 I der Genfer Flüchtlingskonvention festgelegte refoulement-Verbot zu umgehen. Der Passus legt fest, dass kein Staat Flüchtlinge zu den Grenzen eines Territoriums zurückführen darf, in denen sein Leben oder sein Freiheit bedroht ist.
Die Bundesregierung machte im September 2006 in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage im Bundestag deutlich, dass sie sich auf Hoher See nicht an diese Regelung gebunden fühlt, da es sich um exterritoriales Gebiet handele. Nach eben jener Logik verfährt die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen, Frontex, bei ihren Einsätzen auf dem Mittelmeer.
Diese Behörde wurde 2004 vom EU-Rat errichtet und verfügt über eigenes Personal sowie 24 Hubschrauber, 19 Flugzeuge, 107 Boote und zahlreiches mobiles Gerät. Frontex koordiniert Operationen zur Grenzsicherung und verwaltet einen Ad-hoc-Einsatzpool von 500 bis 600 Grenzpolizisten der Mitgliedstaaten, der bei Bedarf eingesetzt wird. Chef der Agentur ist der finnische Brigadegeneral Ilkka Laitinen, der im Dezember 2006 einen Einblick in sein differenziertes Bild von den Menschen gab, die von Frontex an der Einreise nach Europa gehindert werden: "Das sind keine Flüchtlinge, sondern illegale Migranten."
Besonders bedenklich ist die Einbeziehung von Drittstaaten in die Operationen von Frontex. Um Immigranten bereits vor dem Mittelmeer aufzuhalten, werden Kooperationen mit menschenrechtsverletzenden Regimes wie Libyen und Marokko geschlossen, die für die Gewährung von "Entwicklungshilfe" in Form von Geldern und militärischer Ausrüstung die Drecksarbeit für die Europäer erledigen.
Dort aufgegriffene Flüchtlinge werden in Auffanglagern wie Häftlinge gehalten. Insassen der Lager berichten von überfüllten Schlafräumen, unhaltbaren hygienischen Zuständen und sexuellen Übergriffen der Wärter. Marokkos sorgte 2007 für Aufsehen, als dort Flüchtlinge aus der Hauptstadt Rabat ausgewiesen und in der Wüste an der Grenze zu Algerien schutzlos ausgesetzt wurden.
Die Verlagerung der Flüchtlingspolitik auf außereuropäisches Territorium folgt einem Muster, das vom US-Gefangenlager Guantanamo bekannt ist: rechtlich fragwürdige Praktiken werden ins Ausland verlagert, und so der Beobachtung und Kontrolle weitestgehend entzogen.
Damit wird das Problem allerdings nicht gelöst. Solange die Europäische Union ihre wirtschaftliche Stellung behält, wird sie ein Einwanderungsmagnet bleiben. Gesellschaftlich steuern lässt sich die Immigration jedoch nur, wenn sie auf eine legale Basis gestellt wird.
Die Europäische Union muss sich zu den Bestimmungen der Genfer Flüchtlingskonvention bekennen, egal, wo sie agiert. Das Mittelmeer darf nicht zu einem rechtsfreien Raum werden, in dem sich die EU ihrer Verantwortung für Flüchtlinge entledigt.
Sie zu kriminalisieren, bedeutet, das Leid von Zehntausenden mutwillig zu vergrößern. Denn das muss man sich klar vor Augen halten: die Dramen, die sich jeden Tag rund um das Mittelmeer abspielen, sind politisch gewollt.
Quelle: ntv.de