Hessen Armut macht einsam – wenn Teilhabe am Leben zu teuer wird
16.10.2025, 14:55 Uhr
Fehlendes Geld schränkt nicht nur das Budget ein: Besonders Kinder spüren Ausgrenzung und Scham, wenn das Geld für Freizeitaktivitäten oder einen Kindergeburtstag fehlt.
Frankfurt/Wiesbaden (dpa/lhe) - Ein Cafébesuch, ein Kinoticket, ein Platz im Sportverein – für viele Menschen in Hessen sind solche Ausgaben selbstverständlich. Für armutsbetroffene Menschen bedeuten sie hingegen häufig Verzicht und Isolation. Zum Internationalen Tag zur Beseitigung der Armut warnt die Diakonie Hessen vor der wachsenden Gefahr sozialer Einsamkeit.
"Einsamkeit trifft vor allem jene, die sich soziale Aktivitäten schlicht nicht leisten können", sagt Carsten Tag, Vorstandsvorsitzender der Diakonie Hessen. "Treffen mit Freunden in Cafés, Restaurantbesuche oder kulturelle Veranstaltungen wie Kino oder Theater kosten Geld." Auch sportliche Aktivitäten in Fitnessstudios oder Vereinen seien mit Kosten verbunden.
Etwa jede sechste Person in Hessen armutsgefährdet
In Hessen galten nach Angaben des Sozialministeriums im vergangenen Jahr 17,2 Prozent der Bevölkerung als armutsgefährdet, also etwa jeder sechste Mensch. Das sei der niedrigste Wert seit fünf Jahren, erklärt das Ministerium. Zum Vergleich: 2021 lag dieser Wert bei 18,2 Prozent. Als armutsgefährdet gelten Haushalte, die mit ihrem Einkommen unter 60 Prozent des mittleren Nettoeinkommens liegen.
Diese Armutsschwelle lag laut Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbands 2024 bei einer alleinstehenden Person bei einem monatlichen Einkommen von 1.381 Euro, bei einem Paar ohne Kinder bei 2.072 Euro. Alleinerziehende mit einem Kind unter 14 Jahren gelten nach dieser Definition als armutsgefährdet, wenn sie weniger als 1.795 Euro monatlich zur Verfügung haben. Bei einem Paar mit zwei Kindern unter 14 Jahren sind es 2.900 Euro.
Diskussion ums Bürgergeld
"Für Freizeit, Unterhaltung und Kultur stehen im Bürgergeld monatlich 54,92 Euro zur Verfügung", erklärt Melanie Hartmann, Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen. "Wer ein Fitnessstudio-Abo abschließt, kann sich Essengehen mit Freunden praktisch nicht mehr leisten."
Die Diakonie betrachte daher die aktuelle Diskussion rund um Armut, Erwerbslosigkeit und das Bürgergeld mit Sorge, sagt Hartmann weiter. Es werde der Eindruck erweckt, als würden Menschen auf Kosten der Allgemeinheit Spaß haben und ein bequemes Leben führen. Dabei seien die Gründe für den Bezug von Transferleistungen vielfältig – etwa gesundheitliche Einschränkungen oder Zeiten für Kindererziehung.
Armutsrisiko in Norden Hessens höher als im Süden
Laut Sozialministerium bestehen bei der Armutsgefährdungsquote moderate Unterschiede zwischen den hessischen Regionen. 2024 lag dieser Wert demnach in Nordhessen bei 19,5 Prozent, in Mittelhessen bei 19,2 Prozent, in Osthessen bei 18,1 Prozent, in der Region Rhein-Main bei 16,3 Prozent und in der südhessischen Region Starkenburg bei 15,9 Prozent.
Die Landesregierung messe der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung eine hohe Bedeutung bei, betonte das Ministerium. Das zentrale Vorhaben sei in dieser Hinsicht der ressortübergreifende Aktionsplan gegen Armut, der derzeit vorbereitet werde. Ziel sei es, Vorbeugemaßnahmen zu bündeln, um damit die Armut und deren Auswirkungen zu beseitigen und soziale Teilhabe für alle zu ermöglichen.
Gravierende Folgen für Kinder
Für Heranwachsende hat Armut besonders gravierende Folgen, wie die Präsidentin des Kinderschutzbundes, Sabine Andresen, erklärt. Armut bedeute in Deutschland neben materiellen Entbehrungen vor allem fehlende Teilhabe, sagt Andresen, die an der Frankfurter Goethe-Universität als Professorin für Familienforschung und Sozialpädagogik lehrt und forscht.
"Arme Kinder trauen sich nicht zum Kindergeburtstag"
In armen Familien fehle das Geld für den Schwimmbadbesuch mit Freunden nach der Schule, sagt Andresen. "Arme Kinder trauen sich nicht zum Kindergeburtstag, weil sie kein Geschenk mitbringen können." Auch die Finanzierung von Klassenfahrten bedeute eine hohe Hürde für arme Familien, oftmals melde sich das betroffene Kind kurzfristig krank oder behaupte, nicht mitfahren zu wollen.
Arme Kinder lebten zudem häufig in beengten Wohnungen und könnten nicht so selbstverständlich Spielbesuch empfangen wie andere Kinder und Jugendliche. "Armut ist außerdem ein Stigma, für das auch Kinder sich schämen", sagt die Präsidentin des Kinderschutzbundes. Das alles habe konkrete Auswirkungen auf die Möglichkeiten, Freundschaften zu schließen und zu pflegen.
Quelle: dpa