Hessen Jüdisches Leben nach 7. Oktober: Angst und Unsichtbarkeit
06.10.2025, 12:56 Uhr
Manche Kinder sprechen kein Hebräisch mehr in der U-Bahn: Seit dem Hamas-Terrorangriff fühlen sich Jüdinnen und Juden auch hierzulande unsicher. Was Vertreter der Gemeinde und Politiker jetzt fordern.
Frankfurt/Wiesbaden (dpa/lhe) - Die Sicherheit der Jüdinnen und Juden in Deutschland hat sich seit dem Überfall der Terrororganisation Hamas auf Israel laut der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt deutlich verschlechtert. "Judenhass begegnet uns überall: auf Schulen, massiv auf Universitäten und natürlich besonders auf Social Media", sagte der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, Benjamin Graumann. "Manchmal ist der Antisemitismus ganz subtil, manchmal ist er ganz direkt. Beides trifft uns gleichermaßen hart und beides tut auch gleichermaßen weh."
Seit dem 7. Oktober 2023 sei das jüdische Leben unsicherer geworden. "Jüdisches Leben ist eigentlich in Deutschland mittlerweile nur dann sicher, wenn es nicht sichtbar ist." Das führe dazu, dass viele Menschen ihre jüdische Identität versteckten, aus Angst, aus Unsicherheit. Im Alltag zeige sich das ganz konkret: "Beispielsweise wenn Kinder aufpassen müssen, dass sie sich nicht auf Hebräisch unterhalten in der U-Bahn. Oder wenn Menschen keine T-Shirts tragen mit jüdischen oder hebräischen Zeichen oder keine Davidsternketten."
Graumann: Jüdische Menschen versteckten ihre Identität
Die Hemmschwelle für Antisemitismus sei deutlich gesunken. "Es ist gibt vieles, was mittlerweile offen gesagt wird, was gar keine Konsequenzen hat, etwa wenn auf der Straße judenfeindliche Parolen gebrüllt werden", sagt Graumann. Das sei ein deutlich veränderter Zustand, "den wir viele von uns, vor noch mehreren Jahren nicht mehr für möglich gehalten hätten".
Auch Hessens Innenminister Roman Poseck (CDU) sagt: "Die Zahl antisemitischer Straftaten ist in unserem Bundesland dramatisch gestiegen, im vergangenen Jahr lagen diese bei 357 Fällen." In diesem Jahr seien es bis Ende August 134 Taten gewesen.
Dramatischer Anstieg antisemitischer Straftaten
Ein Großteil der registrierten antisemitischen Straftaten im Jahr 2024 sei beim Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen und bei Volksverhetzung festgestellt worden. "Vor zwei Jahren hat die Hamas den schrecklichen, barbarischen Anschlag gegen Israel verübt. Es ist erschütternd, dass dieser Tag von einigen Menschen in unserer Gesellschaft zur Rechtfertigung von Hass und Gewalt gegen jüdische Bürger benutzt wird", sagte Poseck.
Seit dem 7. Oktober müssten Juden in unserem Land im täglichen Leben, durch Parolen auf Häuserwänden und in Form von Versammlungen Anfeindungen, Hetze und Bedrohungen ertragen. "Es beschämt mich zutiefst, was Jüdinnen und Juden 80 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges in Deutschland ertragen müssen", so der Innenminister.
Bildung und Aufklärung als Schlüssel gegen Judenhass
Aber was braucht es, um den Judenhass wirksam zu bekämpfen? Da sei zum einen die Politik, die klare Zeichen setzen müsse, sagt Graumann von der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt. Und da sei zum anderen die Gesamtgesellschaft, die verstehen müsse, dass sich Judenhass nicht nur gegen Juden richte, sondern gegen die Demokratie. Von beiden habe man sich gerade nach dem 7. Oktober manchmal sehr alleingelassen gefühlt.
Graumann fordert auch stärkere Konsequenzen bei antisemitischen Straftaten. "Wir brauchen härtere Strafen, mehr Schutz und zusätzliche Investitionen in Bildung und Aufklärung. Bildung und Aufklärung sind die einzigen Schlüssel, um Judenhass letztlich wirksam und endgültig zu bekämpfen." Gerade Social Media führe dazu, dass vor allem junge Menschen sehr einseitige Informationen bekämen, etwa über den Nahost-Konflikt. "Ich glaube, Unwissenheit ist immer noch der größte Nährboden für Hass."
Rhein: Kein Schweigen bei Antisemitismus
Hessens Regierungschef Boris Rhein (CDU) sieht den Kampf gegen Antisemitismus als gesellschaftliche Pflicht. "Antisemitismus muss klar benannt und bekämpft werden und darf sich nicht in Schweigen oder Bagatellisierung manifestieren", sagte der Ministerpräsident. Der 7. Oktober 2023 sei mehr als ein Datum in der Geschichte. Er stehe für unfassbares Leid, für barbarische Gewalt und für mehr als 1.000 ermordete und entführte Menschen.
Am 7. Oktober 2023 hatten Terroristen der Hamas und anderer Gruppen in Israel ein Massaker verübt. Rund 1.200 Menschen wurden getötet und mehr als 250 Geiseln wurden verschleppt, ein Teil ist noch in der Gewalt von Islamisten. Auf das Massaker folgte der Gaza-Krieg mit vielen zivilen Opfern seitens der Palästinenser.
Quelle: dpa