Mecklenburg-VorpommernReiches Fundjahr 2022 für die Archäologen in MV

Fast 2000 Funde sind der Landesarchäologie dieses Jahr gemeldet worden. Sie reichen von der Tonscherbe bis zum Goldschmuck. Alle Stücke gelten den Experten als Schätze, denn sie erzählen von den Menschen, die lange vor unserer Zeit im Nordosten gelebt haben.
Schwerin (dpa/mv) - Reiche Leute gab es zu fast jeder Zeit - selbst während der Völkerwanderung, als aus blanker Not ganze Völker aus ihren Siedlungsgebieten aufbrachen, um woanders ein Auskommen zu suchen. Den auch vorhandenen Wohlstand legen Funde nahe, die in diesem Jahr in Mecklenburg-Vorpommern gemacht wurden. Rund 1900 Fundmeldungen sind 2022 beim Landesamt eingegangen, wobei ein Fund mehrere Einzelstücke umfassen kann. Landesarchäologe Detlef Jantzen hat die spektakulärsten Funde für die Deutsche Presse-Agentur aus dem Depot geholt.
Silbermünzschatz aus dem 30-jährigen Krieg
So gehören zu dem Münzschatz, den ein ehrenamtlicher Bodendenkmalpfleger auf einem Acker in der Nähe von Neustadt-Glewe mit dem Metalldetektor aufgespürt und geborgen hat, 13 silberne Geldstücke. "Die Münzen stammen aus dem Ostseeraum", sagt Jantzen. "Sie wurden unter anderem in Stralsund, Wismar, Lübeck und Rostock geprägt. Mit dabei sind auch ein dänischer Schilling und ein Schilling aus der Grafschaft Mecklenburg." Jantzen vermutet, dass die Münzen vor Angreifern oder Marodeuren vergraben und nicht wiedergefunden wurden. Münzen aus der Zeit des 30-jährigen Krieges sind sehr gut zu erkennen und zuzuordnen, da Ort und Jahr der Herstellung eingeprägt sind - auf einer der 13 Münzen von Neustadt-Glewe ist die Jahreszahl 1629 gut zu erkennen.
Jesus-Anhänger aus Bronze
Schon schwieriger ist die zeitliche Einordnung eines kleinen kreuzförmigen Anhängers aus Bronze mit einer Männer-Darstellung darauf. Sie wurde im August im slawischen Burgwall von Ilow bei Wismar entdeckt. "Es kann eine frühe Christusdarstellung sein", vermutet der Landesarchäologe. "Ein einmaliges Stück bis jetzt." Heinrich der Löwe habe bei seinem Sieg über die slawischen, heidnischen Obotriten die Burg Ilow 1160 niederbrennen lassen. Danach sei sie wieder aufgebaut und im Auftrag von Heinrich - dem Gründer der Stadt Schwerin - weiter genutzt worden. Hatten Heinrichs Leute, die schon christianisiert waren, den Jesus-Anhänger mitgebracht? Oder war schon jemand vorher in der Burg Ilow zum Christentum übergetreten? "Da ist noch wissenschaftliche Forschung nötig", sagt Jantzen.
Rätsel Völkerwanderung: Es gab reiche Leute
Zwei fein gearbeitete, vergoldete Gewandfibelteile aus dem 6. Jahrhundert haben ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger in Mühl Rosin bei Güstrow sowie in der Nähe von Pasewalk aufgespürt und ins Landesamt gebracht. "Dank unserer fleißigen Ehrenamtlichen haben wir seit einiger Zeit recht viele Funde aus der Völkerwanderungszeit", sagt Jantzen. "Häufig handelt es sich um exquisite Metallobjekte." Das heutige Mecklenburg-Vorpommern sei damals nicht völlig entvölkert gewesen, wie noch vor Jahren angenommen worden sei. "Wir kennen inzwischen etliche Gräber und Siedlungen aus dieser Zeit." Einigen Menschen sei es offensichtlich auch nicht schlecht gegangen, wie die vergoldeten Gewandfibeln belegten. Das Material unter der dünnen Goldschicht ist Silber. Vermutlich stammen die beiden Stücke aus Werkstätten in Thüringen oder Südwestdeutschland, sagt Jantzen. Dies legten die Muster nahe. "Das ist kunsthandwerklich eine Zeit, über die man nur staunen kann."
Reiche Funde aus der Bronzezeit
Vor einigen Jahrzehnten sei man in der Archäologie der Auffassung gewesen, Metallfunde aus der Bronzezeit seien kaum noch zu erwarten, sagt Jantzen. Seit die Bodendenkmalpfleger jedoch an Metalldetektoren ausgebildet werden, habe sich dieses Bild geändert. Oft gingen die Männer und Frauen Fundorte erneut ab, die schon im 19. Jahrhundert entdeckt worden seien. Und sie würden oft erneut fündig. In der Nähe von Neustadt-Glewe sei dieses Jahr zum Beispiel ein 4000 Jahre altes sogenanntes Randleistenbeil aus Bronze entdeckt worden, in Tarnow bei Bützow eine etwa 3000 Jahre alte Sichel zum Schneiden von Getreide. Die Archäologen gehen davon aus, dass die Gegenstände den Göttern geopfert wurden. Warum, sei unklar, sagt Jantzen. "Wir können uns nicht in die Gedankenwelt dieser Menschen hineinversetzen." Sicher ist er sich in einem Punkt: "Sie wurden nicht verloren, sondern bewusst ins Moor gelegt."
Weitere Knochenfunde im Tollensetal
Die mit Abstand bedeutendste Fundstelle der letzten Jahre ist das Tollensetal nördlich von Altentreptow. An einem bronzezeitlichen Flussübergang wurden Knochen von 140 bis 150 Menschen gefunden, viele von ihnen mit tödlichen Verletzungen. Eine Schlacht? Ein Überfall auf eine Handelskarawane vor gut 3000 Jahren? Darüber streitet die Wissenschaft. Detlef Jantzen ist Verfechter der These vom Überfall. Laboruntersuchungen legen nach seinen Worten nahe, dass es sich bei den Menschen eher um Träger als um Kämpfer gehandelt hat. Das zeigten sogenannte Belastungsmarker an den gefundenen Knochen. Und die Toten seien sehr konsequent geplündert worden.
In diesem Jahr waren nach seinen Worten wieder Wissenschaftler und Studenten im Tal - aber nicht, um nach weiteren Überresten zu suchen, sondern um herauszufinden, wie die Fundstätte am besten für die Zukunft gesichert werden kann. "Erosion ist eine Gefahr", sagt Jantzen. Bei Hochwasser knabbere der Fluss an den Ufern, manchmal stehe das ganze Tal unter Wasser. Bei Trockenheit drohten freigespülte Knochen und Holz sich zu zersetzen. Ziel sei es deshalb, den Wasserstand hoch zu halten.
Bei den Untersuchungen seien einige weitere freigespülte Knochen aus dem Fluss geborgen worden. Warum findet nicht jedes Jahr im Tollensetal eine Grabungskampagne statt? Jantzen: "Die Fundstellen sollen vor allem erhalten bleiben. Und Grabungen sind aufwändig: Eine Woche Grabung entspricht mindestens drei Wochen Aufarbeitung."
Großes Interesse an der Archäologie
Ohne die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger wüsste die Landesarchäologie längst nicht so viel über die Vergangenheit im Nordosten wie sie weiß. Derzeit seien 227 Ehrenamtliche für die Landesarchäologie unterwegs, sagt Jantzen. Nachwuchsmangel gebe es nicht. "Wir haben zudem 104 Interessenten, die den Einstiegslehrgang schon absolviert haben." Noch einmal rund 200 Menschen stehen demnach in den Startlöchern. Es seien Menschen aller Berufs- und Altersgruppen, auch viele junge Leute interessierten sich. Die geschulten Bodendenkmalpfleger seien landesweit unterwegs und hätten auch ein Auge auf mögliche Raubgräberei, sagt Jantzen.
Eher in Einzelfällen rücken Mitarbeiter des Landesamtes selbst aus, etwa bei Notgrabungen. "Dieses Jahr erhielten wir einen Anruf von einem Mann, der beim Bau eines Gewächshauses in seinem Garten auf Scherben stieß." Ein Grabungstechniker fuhr hin und barg eine in viele Teile zerbrochene, aber weitgehend komplette jungsteinzeitliche Amphore. Ihr Alter: ca. 6500 Jahre.