
Altmaier legt eine Vollbremsung für die Autoindustrie hin.
(Foto: picture alliance / dpa)
Als Umweltminister tut Altmaier alles für den Klimaschutz. Außer wenn es um die Autoindustrie geht: Mit dem Segen von Kanzlerin Merkel will der Saarländer die strengen CO2-Grenzwerte torpedieren, die die EU ab 2020 plant. Um die Klimaziele aufzuweichen, plant Berlin offenbar einen Kuhhandel auf höchster Ebene.

Alles für den Klimaschutz, außer es tut der Autoindustrie weh: Umweltminister Peter Altmaier.
(Foto: picture alliance / dpa)
Umweltminister Peter Altmaier tut eigentlich alles, um Klimaschutz und Energiewende, die Lieblingsprojekte der Kanzlerin, voranzubringen. "Mit entschlossenem Handeln können wir eine Erwärmung um mehr als 2 Grad noch verhindern", posaunte der Saarländer noch vor zweieinhalb Monaten bei der Vorstellung des Berichts des Weltklimarats IPCC, seine Pressestelle twitterte eigens Fotos von der Pressekonferenz. Für die Energiewende posierte Altmaier einst sogar mit albernen Windrädern. Doch Klimaziele sind offenbar schnell vergessen, wenn es in Deutschland um die Interessen der Autoindustrie geht: Im Streit um die CO2-Grenzwerte für Autos hat der Umweltminister die anderen EU-Länder zum Entgegenkommen aufgefordert.
Deutschland habe in den vergangenen Jahren beim Umweltschutz "immer eine Vorreiterrolle gespielt", sagte Altmaier vor dem Treffen der EU-Umweltminister in Luxemburg. Das werde auch die nächste Bundesregierung tun. "Deshalb ist es richtig, dass man auch auf unsere Bedenken eingeht und darüber spricht", sagte der CDU-Politiker.
Es gebe "an der ein oder anderen Stelle Korrekturbedarf", sagte Altmaier mit Blick auf die deutschen Änderungswünsche an den CO2-Regeln. Er sei aber überzeugt, dass es am Ende "eine ganz breite Mehrheit in der Europäischen Union für die richtige Entscheidung" geben werde. Altmaier rechnet demnach nicht mit einem Abschluss des Streits schon an diesem Montag. Er sprach von einem möglichen Ergebnis "innerhalb der nächsten Wochen".
"Wir fühlen uns verschaukelt"
Der Umweltminister legt bei dem heiklen Thema mit dem Segen der Kanzlerin in letzter Minute eine Vollbremsung für die Autoindustrie hin. Denn um die CO2-Grenzwerte tobt schon seit Monaten ein Kampf zwischen Umwelt- und Autolobbyisten in Brüssel – und ihren jeweiligen Unterstützern im EU-Parlament und bei den nationalen Regierungen. Eigentlich hatten Unterhändler des zuständigen Umweltausschusses und des Ministerrats in einer nächtlichen Marathonsitzung im Juni bereits einen Kompromiss ausgehandelt: Neuwagen sollen ab 2020 im Durchschnitt nur noch 95 Gramm des klimaschädlichen Gases CO2 pro gefahrenem Kilometer ausstoßen dürfen – bis 2015 sind es noch 130 Gramm.
Die CO2-Ziele der EU sind ambitioniert – und der Autoindustrie daher ein Dorn im Auge. In Japan müssen die Hersteller den CO2-Ausstoß ihrer Flotte bis 2020 nur auf 105 Gramm reduzieren, in den USA sogar nur auf 121 Gramm. Bei einem Grenzwert von 95 Gramm müssten die deutschen Autobauer ihr Sortiment radikal umbauen . Vor allem die Hersteller schwerer deutscher Premium-Limousinen müssten mit hohen Kosten rechnen. Kurz vor der entscheidenden Abstimmung macht Altmaier in Brüssel daher im Interesse der Hersteller Druck und will die Grenzwerte aufweichen: Die Regelung müsse zwar den Umweltschutz voranbringen, aber zugleich "die Interessen auch der europäischen Wirtschaft gegenüber Wettbewerbern in anderen Ländern" respektieren.
"Der Vorstoß der Bundesregierung wirft den technischen Fortschritt bei der CO2-Minderung von Neuwagen um Jahre zurück", kritisiert dagegen der Leiter des Center for Automotive Research (CAR) an der Universität Duisburg-Essen am Montag. Vor allem der Ausbau von Alternativen zum Verbrennungsmotor würde gebremst, ist sich Autopapst Dudenhöfer sicher. Elektroautos und sogenannte Plug-In-Hybride dürften bei einer Änderung der CO2Regeln kaum Schub erhalten, Hersteller Investitionen in die Brennstoffzellentechnik verschieben.
Dennoch sieht alles danach aus, als ob die Umweltminister die geplanten Obergrenzen nicht wie geplant absegnen werden und die Abstimmung verschoben wird. Sollte der Ministerrat Deutschlands Änderungswünschen entsprechen, muss er sich erneut mit dem Parlament einigen. "Wir fühlen uns verschaukelt", sagte der Vorsitzende des Umweltausschusses im EU-Parlament, Matthias Groote (SPD), dem "Spiegel". Er habe noch nie einen "derart dreisten" Versuch erlebt, eine Vereinbarung zu kippen.
Es ist bereits das dritte Mal, nach Versuchen im Juli und Oktober: Schon im Juni hatte Groote die Grenzwerte mit dem Ministerrat der EU-Länder ausgehandelt. 27 Regierungen, 27 Kommissare und 765 Abgeordnete waren sich einig. Dann intervenierte Deutschland und ließ die Abstimmung platzen. "Wir haben in der Tat uns dafür eingesetzt, dass die Abstimmung nicht stattgefunden hat", räumte die Kanzlerin damals ganz offen ein. Bei allen Notwendigkeiten, im Umweltschutz voranzukommen, müsse man "darauf achten, dass wir nicht die eigene industrielle Basis schwächen". 750.000 Menschen arbeiten bei VW, Daimler, BMW & Co, die Autobranche ist Deutschlands wichtigste Industrie – und damit Deutschlands mächtigste Lobbygruppe.
Strippenzieher im Kanzleramt?
Diesmal zieht Merkels Regierung alle Register, um die CO2-Regeln auf höchster Ebene abzuschwächen: Laut einem "Spiegel"-Bericht haben Beamte aus dem Kanzleramt die britische Regierung zur Blockade gewonnen, indem sie London im Gegenzug ein Entgegenkommen bei der EU-Bankenunion versprochen haben. Laut dem Bericht soll vergangenen Mittwoch zudem Kanzleramtsminister Ronald Pofalla mit drei Abteilungsleitern seines Hauses eigens nach Frankreich gereist sein, um die Regierung von Staatspräsident François Hollande umzustimmen. Dort soll er unter anderem als Gegengeschäft versprochen haben, dass sich Deutschland stärker für eine Reform des Emissionshandels einsetzen wird.
Laut "Spiegel" will die Bundesregierung so die gewünschten Änderungen an den Klimaregeln für Autos durchsetzen: Die Hersteller sollen Elektroautos stärker als geplant gegen den CO2-Ausstoß von Spritfahrzeugen anrechnen dürfen. Und die schärfere CO2-Grenze soll nur für einen Teil der Pkw nach dem Jahr 2020 gelten.
Ein Geschmäckle bekommt das offensive Eintreten der Bundesregierung für die Autohersteller in Brüssel noch zusätzlich durch eine brisante Personalie, die die Verbindungen zwischen Kanzleramt und Industrie illustriert. Cheflobbyist von Daimler wird ab November Eckart von Klaeden. Er war bis zum 30. September Staatsminister im Bundeskanzleramt – und einer der engsten Vertrauten im Führungszirkel von Angela Merkel. Welche Rolle von Klaeden bei der Torpedierung der CO2-Grenzwerte für Autos gespielt hat, will die Bundesregierung nicht sagen. Eine Anfrage der "Frankfurter Rundschau" nach dem Informationsfreiheitsgesetz hat die Regierung bislang jedenfalls immer noch nicht beantwortet – obwohl die gesetzlich vorgeschriebene Frist von vier Wochen längst verstrichen ist.
Quelle: ntv.de, mit AFP