
Die Euro-Finanzminister haben die nächste Kredittranche für Griechenland freigegeben. Doch Athen braucht womöglich bald ein neues Rettungspaket.
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Mit perfektem Timing haben die Euro-Finanzminister Griechenland haarscharf vor der Pleite bewahrt. Doch wenn kein Wunder geschieht, braucht Hellas bald ein drittes Rettungspaket: Reformen schiebt Athen auf die lange Bank.
Es war eine denkwürdige Sitzung: Zum ersten Mal seit Beginn der Euro-Krise trafen sich alle EU-Finanzminister in Athen. Mehr als drei Jahre nach dem Ausbruch der Schuldenepidemie, die den Rest Europas anzustecken drohte, kehrten die Kassenhüter zum Ausbruchsort zurück. Am Mittwoch reisen sie wieder ab. Und müssen feststellen: Patient Null ist noch längst nicht kuriert.
Die Finanzminister haben über vieles beraten, die Bankenunion, die einheitliche Aufsicht der Europäischen Zentralbank (EZB) über Großbanken. Doch vor allem beschäftigte sie eines: "Griechenland war nicht nur unser Gastgeber, sondern auch unser Hauptthema", sagte Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem. Er und die anderen Finanzminister haben ein Gastgeschenk mitgebracht: Die Eurogruppe überweist Griechenland bis Ende April die nächste Kreditrate von 6,3 Milliarden Euro aus dem zweiten Rettungspaket.
Rettungsaktion mit perfektem Timing
Der Bundestag muss die Hilfen noch freigeben. Doch ihr wichtigstes Ziel haben die Euro-Retter mit perfektem Timing erreicht: Griechenland und die Regierung von Antonis Samaras wieder einmal im letzten Moment zu stabilisieren. Anfang Mai muss Athen Milliardenschulden tilgen. Und bekommt dafür nun gerade noch rechtzeitig den rettenden Scheck aus Brüssel ausgestellt. Ende Mai kann sich Regierungschef Antonis Samaras dann bei den Europawahlen als Sieger präsentieren. Und muss sich dank des frischen Geldes im Wahlkampf keinen quälenden Fragen über die drohende Pleite stellen, sondern kann mit seinem Erfolg kräftig Stimmen sammeln.
Doch Griechenlands Probleme sind damit nicht verschwunden. Auch die Troika aus EZB, EU-Kommission und internationalem Währungsfonds (IWF), die die Freigabe der Hilfen geprüft hat, weiß das. Um Athen wenigstens etwas Druck machen zu können, versprochene Reformen durchzuziehen, werden zwei weitere Kreditraten von jeweils einer Milliarde Euro an Auflagen geknüpft. Sie sollen im Juni und Juli ausgezahlt werden. Pünktlich zum Ende des Wahlkampfs, wenn man die griechische Regierung dann wieder härter anfassen kann.
Griechenland verschleppt Reformen
"Zugesagte Reformen müssen jetzt vollständig umgesetzt werden", sagt EZB-Chef Mario Draghi. Und gibt damit einen Ausblick auf den neuen Showdown zwischen Brüssel und Athen, der im Sommer droht. Hinter den Kulissen liefert sich die Troika erbitterte Gefechte mit der griechischen Regierung. Die reformiert das Land zwar. Veränderungen, die wirklich wehtun, schiebt sie aber zunehmend auf die lange Bank. Mehr als sieben Monate hatten die Euro-Retter deshalb die neuen Hilfsmilliarden blockiert. Athen bremste die Umsetzung der vereinbarten Reformen derart, dass die Troika ihre Mission sogar unterbrach und wutentbrannt abreiste. "Das war ein mühseliger Prozess", erinnert sich Dijsselbloem.
Die Liste der Versäumnisse und Kompromisse ist lang: 150.000 Beamte wollte Griechenland ursprünglich bis 2015 entlassen. Nun hat Athen endlich immerhin 12.500 Staatsdiener in eine Auffanggesellschaft verschoben - versprochen war das eigentlich schon für Ende 2011. Ihr Gehalt wird um ein Viertel gesenkt - vereinbart war eigentlich ein Abschlag von 40 Prozent. Das ist nach jahrelangem Tauziehen übrig geblieben vom hehren Ziel, die Luft aus dem aufgeblähten griechischen Staatsapparat zu lassen.
Auch viele geschlossene Berufe hat Griechenland zwar für mehr Wettbewerb geöffnet, um die Wirtschaft anzukurbeln. In den Stuben der Ministerien werden darüber fleißig Fortschrittsberichte geschrieben. Auf der Straße sieht die Realität aber anders aus: Spyros Priftis versucht seit drei Jahren vergeblich einen Frisörladen zu eröffnen, weil er an der griechischen Bürokratie scheitert. Den Lkw-Transport hat Griechenland schon 2010 liberalisiert. Seitdem wurden ganze 63 neue Lizenzen vergeben.
Die Gewerkschaften wehren sich weiter massiv gegen mehr Wettbewerb. Diesmal sind es gerade die Seeleute, die in Griechenland streiken und den Fährverkehr lahmlegen. 50 Milliarden Euro wollte Griechenland ursprünglich mit dem Verkauf von Häfen, Flughäfen, Wasserversorgern und anderem Staatsbesitz einnehmen. Mindestens 12 Milliarden Euro wollte die Regierung bis Ende 2013 erlösen. Nur ein Bruchteil davon hat sich erfüllt. Laut einer Erklärung der Minister verspricht die Regierung nun, den Energiemarkt umzubauen und Privatisierungen von Staatseigentum voranzutreiben.
In Athen tickt die Uhr
Griechenland und die Euro-Retter fahren erkennbar auf Sicht. 215 Milliarden Euro hat die Troika bisher nach Athen gepumpt, 240 Milliarden Euro sollen es bis Ende des Jahres insgesamt werden. Athen hat sein Haushaltsdefizit mit drakonischen Sparmaßnahmen heruntergeprügelt, die vor allem die ärmeren Griechen treffen. "Die Reformen, die Griechenland durchgeführt hat, verdienen Anerkennung", betonte Finanzminister Schäuble deshalb in Athen. Es gibt Hoffnung: Griechenlands Regierung erwirtschaftet ohne Zinszahlungen wieder einen Überschuss. Griechenlands Wirtschaft soll in diesem Jahr nach sechs Jahren brutaler Rezession erstmals wieder wachsen.
Doch am dramatischen Schuldenproblem ändert das alles wenig: Griechenland steht weiterhin mit 172 Prozent seiner Wirtschaftsleistung in der Kreide. Bis 2020 soll der Schuldenstand auf gerade einmal 124 Prozent sinken. Das zweite Rettungspaket läuft Ende des Jahres ab. Die Uhr tickt immer lauter: Athen muss in den nächsten Monaten zurück an den Kapitalmarkt, sonst braucht es ein drittes Hilfsprogramm. Das will die Regierung aber unbedingt vermeiden, um sich nicht wieder den harten Bedingungen der Troika unterwerfen zu müssen.
Sie drückt daher aufs Tempo und verbreitet Zweckoptimismus, wo es nur geht: Schon im Juni, gleich nach den Wahlen, will Athen laut Spitzenbeamten aus der Eurozone erstmals wieder den Kapitalmarkt testen. Geplant ist angeblich eine Anleihe mit drei bis fünf Jahren Laufzeit, mit der Griechenland erstmals wieder zwischen vier und fünf Milliarden Euro bei privaten Investoren einsammeln will.
Er würde diese Ambition der griechischen Regierung gern teilen, sagte Eurogruppen-Chef Dijsselbloem. Dafür seien aber weitere Reformen notwendig. Auch Finanzminister Schäuble äußerte sich am Mittwoch kryptisch zu der Frage, ob Athen ein drittes Rettungspaket braucht: "Wenn es einen Bedarf gibt, kann man helfen, wenn nicht, ist es auch gut". Dijsselbloem wollte ebenfalls keine Prognose wagen, ob Griechenland weitere finanzielle Hilfe braucht. "Es ist zu früh, um das zu sagen", sagte der Niederländer. In einem war er sich aber sicher: "Es muss noch mehr passieren, auch wenn Griechenland schon einen langen Weg hinter sich gebracht hat."
Quelle: ntv.de