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Fukushima-Brennstäbe beschädigt Wind dreht auf Tokio

Händewaschen in Tokio, die Sorge vor Kontaminierung wächst.

Händewaschen in Tokio, die Sorge vor Kontaminierung wächst.

(Foto: dpa)

Der Kampf gegen die Strahlenkatastrophe in Japan kann noch lange dauern. Schon jetzt sind manche Arbeiter an der Grenze ihrer Kräfte. Die Regierung hat dennoch kaum Anlass zum Optimismus. Und der Wind dreht wieder auf Tokio zu.

In der japanischen Hauptstadt Tokio wächst die Sorge vor radioaktiver Verseuchung. Noch trägt der Wind aus Südwesten die radioaktiven Partikel vom havarierten Atomkraftwerk Fukushima auf den Pazifik hinaus. Am Mittwochabend allerdings ändert er seine Richtung und weht dann in Richtung der Millionen-Metropole Tokio. Böen bis Stärke sechs treiben die Radioaktivität dann auf den Großraum mit seinen rund 35 Millionen Menschen zu.

"Dort steigt die Konzentration folglich an, allerdings deutlich verdünnt gegenüber der Ausgangsregion", wie der Deutsche Wetterdienst vorhersagt. Genaue Werte kennen die Wetterfachleute nicht. Dazu kommt noch Regen, der zu Boden bringen kann. "In der Nacht zum Donnerstag dreht der Wind dann aber auch schon wieder", sagte DWD-Meteorologin Dorothea Paetzold voraus. Dabei frischt er auch kräftig auf und pustet die Luft wieder auf das Meer hinaus.

Erhöhte Plutonium-Werte weltweit

In den Reaktoren 1 bis 3 sollen die Brennstäbe beschädigt sein. Das könnte zur Freisetzung des Plutoniums geführt haben.

In den Reaktoren 1 bis 3 sollen die Brennstäbe beschädigt sein. Das könnte zur Freisetzung des Plutoniums geführt haben.

(Foto: REUTERS)

Zuvor hatten Plutonium-Funde in Fukushima neue Sorgen über das wahre Ausmaß der seit 25 Jahren größten Atomkatastrophe ausgelöst. Die Entdeckung des extrem giftigen und krebserregenden Stoffs am Boden des Reaktorkomplexes deutet nach Ansicht der Atomaufsicht auf einen Bruch der Schutzhülle. "Die Brennstäbe in den Reaktoren 1 bis 3 sind beschädigt", teilte die Atomaufsicht mit.

Die Opposition forderte nach den jüngsten Erkenntnissen von Ministerpräsident Naoto Kan, die Evakuierungszone rund um Fukushima auszuweiten. Damit sollen zusätzlich zu den bereits in Sicherheit gebrachten 70.000 Bewohnern weitere 130.000 Menschen ihre Wohnorte verlassen. Als Konsequenz aus dem Umgang mit der Katastrophe könnte der umstrittene Kraftwerksbetreiber Tepco verstaatlicht werden.

Experten äußerten die Vermutung, dass das gefundene Plutonium entweder aus einem Abklingbecken oder aus dem Reaktorblock 3 stammt, in dem das in der Natur nicht vorkommende Element als Brennstoff mit verwendet wird. "Plutonium ist eine Substanz, die bei hohen Temperaturen emittiert wird. Es ist außerdem schwer und entweicht daher nicht so leicht", erläuterte der stellvertretende Chef der Atomaufsicht, Hidehiko Nishiyama. "Wenn also Plutonium aus dem Reaktor entwichen ist, sagt uns das etwas über die Schäden am Brennstoff aus. Und wenn es die ursprüngliche Schutzhülle durchbrochen hat, unterstreicht das die Schwere und das Ausmaß dieses Unfalls."

Eine Messstation in San Francisco.

Eine Messstation in San Francisco.

(Foto: AP)

Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren. Der Stoff wird auch zum Bau von Atomwaffen benötigt. Tepco zeigte sich weiterhin bemüht, die Bedeutung der Plutonium-Funde herunterzuspielen.

Spuren von Jod-131

Weltweit wächst die Sorge vor einer Verbreitung radioaktiver Verseuchung. Wissenschaftler warnen aber zugleich vor Panikmache. Im Nordosten der USA, in Südkorea und auf den Philippinen waren erstmals Spuren von Radioaktivität aufgetaucht. Nachdem radioaktives  aus der japanischen Unglückanlage in den US-Bundesstaaten Massachusetts und Pennsylvania gefunden wurden, hatten die Umweltbehörden auch in Ohio erhöhte Strahlungswerte in Regenwasser nachgewiesen. Forscher der Case Western Reserve University in Cleveland erklärten, sie hätten Jod-131 auf dem Dach eines Campus-Gebäudes gefunden. "Theoretisch kann Jod-131 überall herkommen, wo radioaktiver Abfall produziert wird", sagte Geologie-Professor Gerald Matisoff. "Aber wir wissen, dass es aus Japan stammt", ergänzte er.

Von Wissenschaftlern war erwartet worden, dass Strahlung aus Fukushima bis in die USA gelangen könnten und darüber hinaus zu einen globalen Problem würde. Die in den USA entdeckten Werte lägen aber noch "weit unter" gesundheitsbedenklichen Bereichen, teilte die US-Umweltschutzagentur EPA mit. Die US-Atomregulierungsbehörde (NRC) und das US-Energieministerium haben Dutzende Fachleute nach Japan geschickt, um die Lage einzuschätzen und Experten vor Ort zu beraten.

In der Nacht war auch aus Seoul und an anderen Orten Südkoreas der Fund geringer Spuren radioaktiven Jods in der Atmosphäre gemeldet worden. Jod-131 sei vorher noch nie in Südkorea registriert worden, teilte das Institut für Nuklearsicherheit (KINS) in Taejon mit. Auch auf den Philippinen wurden in der Luft kleine Mengen radioaktiver Isotope aus Fukushima registriert. Hier, wie an den anderen Fundorten, sei die Konzentration jedoch so gering gewesen, dass keine Gefahr für die Umwelt oder Gesundheit der Menschen bestehe, teilten die Behörden mit.

Krise wird noch Monate dauern

Michael Sailer sieht keine Anzeichen für eine Besserung der Lage am Unglücksreaktor.

Michael Sailer sieht keine Anzeichen für eine Besserung der Lage am Unglücksreaktor.

(Foto: dpa)

Nach Einschätzung des Wissenschaftlers Michael Sailer werden die Techniker im AKW Fukushima noch Monate gegen eine Kernschmelze kämpfen müssen. Auch wenn nichts Schlimmeres passiere, werde es noch ein bis zwei Jahre dauern, bevor der Reaktor geöffnet werden könne, sagte Sailer im Deutschlandfunk. Der Chemiker ist Mitglied der Reaktorsicherheitskommission des Bundes, Sprecher der Geschäftsführung des Öko-Instituts und ein bekannter Kritiker der Kernenergie.

Die Aussage der japanischen Regierung, dass die Kernschmelze gestoppt sei, ist nach Sailers Einschätzung eine Meldung von begrenzter Gültigkeit. Der Fund von Plutonium an fünf Stellen in Fukushima bedeute, dass die Brennstäbe sehr, sehr heiß seien. "Also entweder knapp unter der Kernschmelze oder in der Kernschmelze, weil das Plutonium erst bei sehr hohen Temperaturen rausgeht", sagte der Chemiker.

Anzeichen für eine Besserung der Lage gebe es nach wie vor nicht. "Sie wird irgendwie auf einem gewissen Level gehalten, weil ja die Kühlung öfters klappt", sagte Sailer. "Das Grundproblem ist: Wenn einer der Reaktoren oder eines der Brennelement-Lagerbecken noch mal massiv Radioaktivität freisetzt, so dass die Leute auf dem Gelände nicht weiter arbeiten können, weil die Strahlung tödlich ist, dann geraten auch wieder die anderen Einrichtungen außer Kontrolle." Sailer geht davon aus, dass die Techniker in dem Atomkraftwerk selbst nicht wissen, in welchem Zustand sich der Reaktorkern befindet.

Tepco spielt die Plutonium-Funde nach Ansicht von Wissenschaftlern herunter.

Tepco spielt die Plutonium-Funde nach Ansicht von Wissenschaftlern herunter.

(Foto: dpa)

Ein -Sprecher sagte n-tv, das Unternehmen tue alles Menschenmögliche, damit es nicht zu einem Austritt großer Mengen von Radioaktivität in die Umwelt komme. Bisher sei das nicht eingetreten. Weiter wollte Unternehmenssprecher Yoshimi Hitosugi diese "hypothetische Situation" jedoch nicht kommentieren.

Schwere Vorwürfe gegen Kan

Japans Ministerpräsident Naoto Kan muss sich unterdessen Vorwürfen erwehren, wonach sein Besuch des Unglückskraftwerk Fukushima Eins am Tag nach dem Erdbeben die Rettungsarbeiten behindert habe. Die Opposition wirft Kan vor, sein Aufenthalt am 12. März habe den AKW-Betreiber Tepco davon abgehalten, Luft aus Reaktor 1 abzulassen, um darin den Druck zu vermindern. Kan hatte sich mit einem Hubschrauber zu dem Kraftwerk fliegen lassen, um sich selbst ein Bild von der Lage zu machen. Wenig später waren Dach und Wände des Außengebäudes durch eine Wasserstoffexplosion zerstört worden.

Kan verteidigte sich vor dem Oberhaus, es sei für ihn unerlässlich gewesen, den Unglücksort zu besuchen. Gespräche mit den Hilfskräften hätten ihm geholfen, spätere Entscheidungen zu treffen.

Nicht genug Tanks für verstrahltes Wasser

Stark radioaktiv verstrahltes Wasser behindert weiterhin die Arbeiten in der Atom-Ruine. Teile des Wassers werden abgepumpt. Doch die Arbeiter wissen nicht, wohin mit der für Menschen hochgiftigen Flüssigkeit in den Turbinenhäusern. Es fehle an genügend Tanks, berichtet die Nachrichtenagentur Kyodo. Arbeiter der Betreiberfirma Tepco pumpten weiter verstrahltes Wasser aus dem Reaktorblock 1 in einen Tankbehälter. Beim Wasser in den Turbinenhäusern der Blocks 2 und 3 sei dies aber wegen der Speicherfrage aktuell nicht möglich, schrieb Kyodo.

Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa sagte nach Angaben des staatlichen Nachrichtensenders NHK, es sei zwar Tepcos Aufgabe, das Wasser zu beseitigen. Aber die Armee würde auch helfen, falls es eine entsprechende Anfrage gäbe. Das Wasser stand zeitweise bis zu einen Meter hoch in den Turbinenhäusern der Meiler in Fukushima. Es ist jedoch unterschiedlich stark belastet.

Tausende Leichen

Die Zahl der Toten ist unterdessen weiter gestiegen - sie liegt jetzt bei 11.168. Das meldete der staatliche Nachrichtensender NHK nach Polizeiangaben. Mehr als 16.400 Menschen würden noch vermisst.

In der Präfektur Miyagi wurden bis jetzt 6792 Todesopfer bestätigt, in Iwate 3301. Für die Präfektur Fukushima wurden 1017 Tote gemeldet. Die Aufräumarbeiten dort sind jedoch wegen des beschädigten Atommeilers Fukushima Eins äußerst schwierig. Rettungskräfte können wegen der Strahlengefahr nur schwer in der Zone rund um die Atomruine arbeiten. Die Behörden erwarten noch mehr Opfer.

Quelle: ntv.de, dpa/AFP/rts

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