Heiligsprechung auf dem Petersplatz Mutter Teresa - eine (Schein-)Heilige?
03.09.2016, 10:02 Uhr
19 Jahre nach ihrem Tod wird Mutter Teresa von Papst Franziskus heiliggesprochen.
(Foto: picture alliance / dpa)
Es ist eines der größten Ereignisse der bisherigen Amtszeit von Papst Franziskus: Das Kirchenoberhaupt spricht Mutter Teresa heilig. Hunderttausende werden auf dem Petersplatz erwartet. Doch Mutter Teresa ist eine umstrittene Person.
Es passt zu Papst Franziskus, dem Papst der Armen und Benachteiligten. Und es passt zum Heiligen Jahr der Barmherzigkeit, dass der Pontifex für dieses Jahr ausgerufen hatte: Am Sonntag wird, fast zwanzig Jahre nach ihrem Tod im Jahr 1997, die albanische Nonne Agnes Gonxha Bojaxhiu heilig gesprochen. Besser bekannt ist sie unter einem anderen Namen: Mutter Teresa. Die Heiligsprechung soll ein Zeichen setzen - ist jedoch nicht unumstritten.
Für die einen ist Mutter Teresa eine Heilige, die ihr Leben den Hilflosen in Indien widmete. Unzählige Auszeichnungen bestätigen diese Sicht auf ihre Biografie, die höchste unter ihnen der Friedensnobelpreis, den sie im Jahr 1979 erhalten hatte. 1910 wurde sie im heutigen Skopje geboren, im Alter von 18 Jahren trat sie in einen Nonnenorden ein. Seit dem Jahr 1950 engagierte sie sich für die Ärmsten der Armen in den Slums von Kalkutta, wo sie den katholischen Frauenorden "Missionarinnen der Nächstenliebe" gründete. Der Orden unterhält heute Häuser für Arme, Kranke und Sterbende und zählt inzwischen rund 4500 Schwestern in mehr als 130 Ländern.
Das Verfahren ihrer Heiligsprechung verlief deutlich schneller als üblich. Bereits sechs Jahre nach ihrem Tod wurde sie von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen. Das für eine Seligsprechung nötige Wunder fand sich bei einer Inderin, die ohne wissenschaftliche Erklärung und aufgrund einer Bitte an die verstorbene Mutter Teresa vom Krebs geheilt worden sein soll. Im Jahr 2015 soll schließlich das zweite Wunder geschehen sein, das für eine Heiligsprechung erforderlich ist: Ein Brasilianer soll von einer Gehirnerkrankung geheilt worden sein, nachdem er zu Mutter Teresa gebetet hatte.
"Engel der Armen" oder "Höllenengel"?
Manchen ist die Verehrung Mutter Teresas jedoch ein Dorn im Auge. Die Frau in der weiß-blauen Kutte ist für viele alles andere als eine Heilige. Immer wieder wurde, bereits zu ihren Lebzeiten, Kritik an der Nonne laut. "Höllenengel" - so lautet der Titel einer TV-Dokumentation von Christopher Hitchens, die Kritiker der katholischen Ordensgründerin gerne für ihre Argumentation heranziehen. Darin heißt es unter anderem, ihr sei der Katholizismus wichtiger gewesen, als Armen oder Kranken zu helfen. Missionierung sei ihr oberstes Anliegen gewesen. Sie habe fundamentalistische Positionen in Sachen Verhütung, Sterbehilfe, Scheidung und Abtreibung vertreten.
Zudem sollen in den Unterkünften unter der Verantwortung Mutter Teresas in Kalkutta untragbare hygienische Zustände geherrscht haben, unter denen die Kranken und Armen gelitten hätten. Die albanische Nonne habe, so heißt es, Leid verherrlicht, da es die Menschen dem Vorbild Christi näherbringe: Es sei eine Möglichkeit, Gott näher zu kommen.
Die Dokumentation von Christopher Hitchens versäumt es jedoch, stichhaltige Belege für die Vorwürfe vorzubringen. Zudem ist Hitchens alles andere als eine neutrale Quelle: Zeitlebens kämpfte der überzeugte Atheist vehement und aggressiv gegen jedwede religiöse Weltsicht. Menschen, die mit Mutter Teresa zusammengearbeitet haben, zeichnen hingegen ein völlig anderes Bild der Nonne - freilich ist auch diese Sicht nicht neutral. Eine Studie kanadischer Wissenschaftler im Jahr 2013 bestätigte zumindest die fragwürdigen hygienischen Zustände in einigen Heimen des Ordens.
Mutter Teresa: Vorbild mit Schattenseiten
Das Problem liegt in der Polarisierung: Mutter Teresa ist in vielen Darstellungen entweder Engel oder Dämon. Dass viel davon mit dem je eigenen Blickwinkel auf das Leben und die Weltanschauung Mutter Teresas zusammenhängt, wird gerne vergessen. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Unbestreitbar ist, dass Mutter Teresa mit ihrem Leben und ihren Taten eine Bewegung der Nächstenliebe ausgelöst hat. Ihr Name wurde zum Sprichwort, zum Synonym für den Einsatz für Schwache, Kranke und Arme. Zum Sinnbild dafür, was es heißt, sich selbst zurückzunehmen und sein Leben für andere einzusetzen.
In diesen Rahmen einzuordnen, dass es auch Schattenseiten in ihrem Leben gab, ist nicht einfach: Mutter Teresa hat keine Anstrengungen gezeigt, den Status quo der Armen zu ändern. Sie hat fragwürdige Ansichten zu Leid und Armut vertreten. Und sie hat aus diesen Gründen sicher auch Dinge getan und Entscheidungen getroffen, die nicht akzeptabel sind. Absurd ist es jedoch, ihre erzkonservativen Einstellungen zu Abtreibung, Scheidung und Verhütung als Gründe gegen eine Heiligsprechung anzuführen. Aus katholischer Sicht qualifiziert sie gerade dies besonders.
Es ist unmöglich, die positiven und negativen Seiten ihres Lebens gegeneinander aufzuwiegen. Nach der Zeremonie am 4. September in Rom wird die kleine albanische Nonne für die katholische Welt offiziell zu einer Heiligen - ein Begriff, der für Grauzonen keinen Platz lässt. Für andere wird sie eine Scheinheilige bleiben - ein Begriff, der für das Positive keinen Raum bietet. Ganz sicher ist nur eines: Mutter Teresa war ein Mensch mit Fehlern, wie jeder andere auch. Sie war aber auch eine Frau, die ein Leben in Armut unter Armen gewählt hat. Eine fromme Gläubige, die dennoch mit Gott haderte und Sätze wie "Er will mich nicht. Es gibt ihn gar nicht" gesagt haben soll. Und: "Der Platz Gottes in meiner Seele ist leer." Gerade in diesen beiden Aspekten kann sie zum Vorbild und zur modernen Identifikationsfigur zugleich werden. Heilig muss sie dafür nicht sein.
Quelle: ntv.de