Pro Woche zwei neue Substanzen Vielfalt auf Europas Drogenmarkt nimmt zu
04.06.2015, 12:57 Uhr
"Legal Highs" sind leicht zu beschaffen, jedoch heftig in der Wirkung.
(Foto: dpa)
Sie tragen Namen wie "Jamaican Gold" oder "After Dark" - und sie sind alles andere als harmlos: Laut EU-Drogenbericht wird der Markt seit Monaten von immer neuen Designerdrogen überflutet. Die Behörden haben Mühe, mit der Entwicklung Schritt zu halten.
Die Vielfalt der in Europa angebotenen Rauschmittel hat drastisch zugenommen. In den vergangenen zwölf Monaten seien pro Woche zwei neue Drogen entdeckt worden, teilte die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMCDDA) in ihrem Jahresbericht 2015 mit. Dabei handele es sich überwiegend um synthetische Rauschmittel. Die Gesamtzahl der von der EMCDDA überwachten Substanzen sei damit auf über 450 gestiegen.
"Die Drogenproblematik wird immer komplexer", sagt EMCDDA-Direktor Wolfgang Götz. Und gefährlicher. Denn die künstlichen Drogen werden - wie übrigens auch viele der "traditionellen" Rauschgifte - immer potenter. Die sogenannten "Legal Highs", die im Internet etwa als Badesalz oder Kräutermischungen angeboten werden, würden zunehmend mit drogenbedingten Schädigungen und Todesfällen verbunden, heißt es.
Der "deutliche Anstieg des Wirkstoffgehalts und des Reinheitsgrads der europaweit am häufigsten konsumierten illegalen Drogen" treibt Sorgenfalten auf die Stirn der Experten. In Deutschland wuchs 2014 allein die Zahl der von den Designerdrogen verursachten Todesfälle im Vergleich zu 2013 von 5 auf 25.
Klingen harmlos, sind es aber nicht
Götz warnt diejenigen, die dennoch das Gefahrenpotenzial der im Nachtleben von Berlin und Hamburg, Zürich und Madrid inzwischen fest etablierten Modedrogen herunterspielen: "Das kann sehr, sehr schnell einen größeren Umfang erreichen, aus 10 Toten können schnell 1000 werden."
Die Konsumenten wüssten bei den neuen psychoaktiven Substanzen (NPS), die harmlos und attraktiv klingende Namen wie "Jamaican Gold" oder "After Dark" tragen, oft überhaupt nicht, was sie konsumierten und dass sie stärkere Produkte zu sich nähmen. Wenn eine NPS auf den Markt kommt, muss man daher schnell handeln. Das 2008 entdeckte synthetische Cathinon MDPV wurde zum Beispiel zum Zeitpunkt seiner Risikobewertung 2014 europaweit bereits mit 99 Todesfällen in Zusammenhang gebracht.
31 der 101 im vergangenen Jahr entdeckten neuen Drogen gehören zur Gruppe der synthetischen Cathinonen, 30 zu den synthetischen Cannabinoiden, die beide häufig als legaler Ersatz für Stimulanzien und Cannabis offeriert werden. Der erst in jüngerer Zeit festgestellte Anstieg des Wirkstoffgehalts wird unterdessen nach Angaben der EMCDDA nicht nur bei Designerdrogen, Ecstasy und Amphetaminen, sondern auch bei Kokain, Heroin und sogar auch bei Cannabis festgestellt.
Kokain liegt weiter auf Platz eins
Die Zahl der Patienten in Europa, die sich erstmals wegen Cannabisproblemen in Behandlung begaben, stieg von 45.000 im Jahr 2006 auf 61.000 im Jahr 2013. Der zunehmende Konkurrenzkampf und auch technische Innovationen seien wohl für den Trend zu potenteren Drogen hauptverantwortlich, mutmaßen die Experten.
Dass das Internet zunehmend zu einer Quelle des Handels mit NPS wird, bereite ihm Sorgen, räumte EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos ein. Als problematisch wird vor allem der wachsende Verkauf von Drogen auf sogenannten "Kryptomärkten" oder auf Online-Marktplätzen im "Deep Web" bewertet. Auf diesen über Verschlüsselungssoftware zugänglichen Plattformen können Waren und Dienstleistungen völlig anonym ausgetauscht werden. Dabei werden häufig "Kryptowährungen" wie etwa Bitcoin eingesetzt.
Mit geschätzt 3,4 Millionen Konsumenten im Alter zwischen 15 und 64 ist Kokain nach wie vor das in Europa am häufigsten benutzte illegale Stimulans, Heroin bleibt die tödlichste Droge. Allerdings geht der Konsum beider Substanzen seit Jahren stetig zurück. Götz warnt jedoch vor einer "möglichen Renaissance" von Heroin. In Afghanistan wachse die Opiumproduktion, zudem gebe es einer Diversifizierung der geschmuggelten Produkte wie auch der genutzten Schmuggelmethoden und -routen. Globalisierung, Instabilität und bewaffnete Konflikte seien mit schuld. Erschwerend komme hinzu, dass wichtige Phasen des Heroinherstellungsprozesses inzwischen in Europa stattfinden.
EU-Innenkommissar Avramopoulos weiß, dass man die Hände nicht in den Schoß legen darf. "Der Bericht zeigt, dass wir es mit einem sich rasch wandelnden, globalisierten Drogenmarkt zu tun haben und unsere Reaktion auf die Drogengefahr darum einmütig, schnell und entschlossen sein muss."
Quelle: ntv.de, jog/dpa