Datenschützer: Staatstrojaner illegal Minister wollen weiter schnüffeln
13.10.2011, 11:21 Uhr
Uwe Schünemann (M.) im "Lagezentrum" Niedersachsens.
(Foto: dpa)
Mehrere Bundesländer haben bereits den Stopp des Staatstrojaners angekündigt. Doch die Innenminister von Union in Bund und Ländern sind sich einig: Die Gesetze legitimieren den Einsatz der Spionagesoftware. Das sehen FDP und der Bundesbeauftragte für Datenschutz anders. Behörden hätten illegal überwacht, sagen Bürgerrechtler. Sie fürchten, dass Unschuldigen belastendes Material untergeschoben werden könnte.
In der Diskussion um die Staatstrojaner hat Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann abgelehnt, auf den Einsatz solcher Programme zum Ausspähen von Computern zu verzichten. Einen entsprechenden Vorstoß der FDP wies der CDU-Politiker zurück. Die Unionsinnenminister seien mit dem Bundesinnenminister der Ansicht, dass für den Einsatz von Trojanern, der sogenannten Quellen-Telekommunikationsüberwachung, eine eindeutige Rechtsgrundlage vorliege und eine Novellierung deshalb nicht erforderlich sei. Mehrere Bundesländer haben die Verwendung vorerst gestoppt, darunter auch Bayern.
Schünemann verwies dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Onlinedurchsuchung vom 27. Februar 2008. Die darin aufgezeigten Grenzen für die Nutzung von Spähsoftware würden "strikt eingehalten". Das Bundesverfassungsgericht hatte den Einsatz von Trojanern bei behördlichen Ermittlungen auf Kommunikation am Rechner wie Internet-Telefonate oder etwa Online-Chats beschränkt.
Schünemann kontra Datenschützer
Die Rechtsauslegung ist jedoch umstritten. Der Verein "Freiheit statt Angst", der sich unter anderem für besseren Datenschutz im Internet sowie Überwachung engagiert, sieht eine ganze Reihe von Gesetzen verletzt. Nach Ansicht der Aktivisten berechtigt das von Schünemann angeführte Verfassungsgerichtsurteil die Ermittler lediglich zur Überwachung von Telefongesprächen über das Netz, der Internettelefonie. Screenshots seien illegal. Genau dies war etwa bei dem bereits im Februar bekannt gewordenen Fall eines Geschäftsmannes aber rund 30.000 Mal geschehen – nachdem der Zoll am Münchner Flughafen einen Trojaner auf seinem Laptop installiert hatten. Der Verein begründet seine Ablehnung damit, dass auf den Bildschirmfotos "Vorgänge der persönlichen Lebensgestaltung" sichtbar werden könnten.
Schünemann betonte, dass die Überwachung in Niedersachsen verfassungskonform eingesetzt worden sei. Die Landespolizei habe ausschließlich aufgrund richterlicher Beschlüsse gehandelt. "Die eingesetzte Software ist auch technisch von vornherein auf diese Überwachungsmaßnahmen beschränkt", sagte der Minister. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ralf Jäger will sich noch zum Trojaner-Einsatz durch die Polizei äußern. Sein Ministerium hatte eingeräumt, dass die Polizei in Nordrhein-Westfalen in zwei Fällen sogenannte Trojaner eingesetzt hatte. Es sei um schwere Drogen-Kriminalität gegangen.
Schaar fordert klarere Regeln
Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar forderte derweil neue gesetzliche Regelungen gegen staatlichem Missbrauch beim Ausspähen von Computern. Es gebe derzeit eine gefährliche "Grauzone" bei der Quellen-TÜK genannten Telekommunikationsüberwachungen, bei der Internet-Telefonate und E-Mail-Kontakte überwacht werden, sagte Schaar der "SZ". So gebe es in Bund und Ländern unterschiedliche Rechtsauffassungen über die Legitimität einiger Spähprogramme. Nötig seien eindeutige gesetzliche Regelungen für den Einsatz.
Wenn Bundesregierung und Bundestag diese Überwachungspraxis nicht verbieten wolle, "müssen in der Strafprozessordnung jedenfalls die genauen Bedingungen für diese Form der Überwachung festgeschrieben werden", sagte Schaar. Er sprach sich dabei für eine Lizenzierung staatlicher Überwachungsprogramme aus. Eine Zertifizierung sei nötig, damit die Software, auch Trojaner genannt, tatsächlich nur zu den Zwecken genutzt werde, die gesetzlich erlaubt seien.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann steht wegen des umstrittenen Einsatzes von Spähsoftware unter Druck. Die Grünen hatten dem CSU-Politiker im Münchner Falschaussagen vor und legten ihm den Rücktritt nahe. So sei die Erklärung des Ministers, dass mit den Trojanern nicht die komplette Festplatte der betroffenen Rechner ausgeforscht werden konnte, laut Chaos Computer Club falsch. "Wenn das so ist - das wird die Aufklärung bringen - dann müssen Sie Ihren Hut nehmen", sagte Grünen-Innenexpertin Susanna Tausendfreund.
Gefahr durch untergeschobene Beweise
Datenschützer sehen durch die offenbar schlampige Programmierung des Trojaners die Gefahr, dass Betroffenen durch Dritte Dateien oder gar falsche Beweise untergeschoben werden könnten, auf deren Basis dann Ermittlungen vorangetrieben würden. Als Beispiel nennt "Freiheit statt Angst" den Fall des Soziologen Andrej Holm, der mehrere Wochen in Untersuchungshaft saß, später jedoch nie angeklagt wurde. Der Chaos Computer Club hatte zuvor mitgeteilt, dass das Programm den Zugriff durch Dritte ermögliche.
Der Staatstrojaner soll nicht mehr angewendet werden, hatte Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Bundesländer aufgefordert. Zunächst müsse geklärt werden, ob das Programm mehr könne, als gesetzlich zulässig sei. Die Bundesregierung räumte den Einsatz von von Spionagesoftware bei den Zollbehörden in 16 Fällen ein.
Der ehemalige Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, der 2008 am Karlsruher Urteil zur Online-Durchsuchung mitgewirkt hatte, sagte der "Augsburger Allgemeinen": "Wenn der Staat eine Software einsetzt, die eine Ausspähung des Computers oder gar den Missbrauch durch Dritte ermöglicht, ist der Einsatz verfassungswidrig."
Quelle: ntv.de, rpe/dpa/AFP