13 Millionen Euro für fünf Fälle? Bayern stoppt den Trojaner
11.10.2011, 19:29 Uhr
Was dürfen die Ermittlungsbehörden, was nicht?
(Foto: picture alliance / dpa)
Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger spricht im Fall der eingesetzten "Staatstrojaner" von "Ausschnüffelei" der Bürger, Innenminister Friedrich betont die Rechtmäßigkeit - im Bund. Auf Länderebene stoppt nun auch Bayern den Einsatz des Programms. Die Piratenpartei spricht bei n-tv von einer "Wanze" und kritisiert die immensen Kosten. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Überwachungen.
Die umstrittene staatliche Schnüffel-Software sorgt für Zoff in der schwarz-gelben Koalition. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) fordert vom Innenressort Vorschläge zur Änderung des BKA-Gesetzes, um die Privatsphäre und den Grundrechtsbereich besser zu schützen. Dagegen wirft Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) seiner Kabinettskollegin vor, Ermittler unter "Generalverdacht" zu stellen. Friedrich rief die Länder auf, die umstrittene Software nicht mehr zu verwenden. Bayern erklärte, die Trojaner zunächst nicht weiter einsetzen zu wollen.
Das Bundesverfassungsgericht hatte der Überwachung von Computern enge rechtliche Grenzen im Jahr 2008 gesetzt. Die Online-Durchsuchung eines Rechners sei nur bei konkreter Gefahr für hochrangige Rechtsgüter zulässig, befanden die Richter damals in einem richtungsweisenden Urteil. Für das Abhören von Internet-Telefonaten - dazu waren die strittigen Trojaner ursprünglich gedacht - gelten aber die weniger strengen Regeln der tausendfach praktizierten Telefonüberwachung - solange es allein dabei bleibt.
Innen- kontra Justizministerium

Stellt sich gegen den die Überwachung: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
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Friedrich wandte sich gegen Leutheusser-Schnarrenberger, die gefordert hatte, die Bürger müssten besser vor "Ausschnüffelei" geschützt werden. Die Sicherheitsbehörden handelten auf klaren rechtlichen Grundlagen, sagte er. "Die von den Bundessicherheitsbehörden eingesetzte Software ist immer so konfiguriert, dass sie genau die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts beachtet." Im Deutschlandfunk plädierte Friedrich dafür, die vom Chaos Computer Club angeprangerte Software nicht mehr einzusetzen, solange sie mehr könne, als gesetzlich zulässig sei.
Der Chaos Computer Club hatte aufgedeckt, dass Ermittler in Bayern zum Abhören von Internet-Telefonaten eine Spionagesoftware eingesetzt haben, deren Funktionen über das verfassungsrechtlich Erlaubte womöglich hinausgehen. So kann sie Bildschirmfotos (Screenshots) vom Rechner des Verdächtigten machen. Das bayerische Innenministerium hatte daraufhin eingeräumt, die Software in fünf Fällen eingesetzt zu haben.
30.000 Screenshots
Damit überwachten sie nicht nur E-Mails und Internettelefonate, sondern nahmen auch Zehntausende von Bildschirmfotos auf. Rekord waren in einem der Ermittlungsverfahren 29.589 solcher Screenshots. In allen fünf Fällen war der Einsatz der sogenannten Trojaner richterlich genehmigt, wie es das Gesetz vorschreibt, heißt es in einer Antwort des Ministeriums auf eine Anfrage der Grünen.
Bei den Verfahren in München, Landshut, Nürnberg und Augsburg ging es um Doping, Drogen, Hehlerei und eine Bande von Internet-Betrügern, die geschätzt 80.000 bis 120.000 Menschen um eine Summe von insgesamt 10 bis 30 Millionen Euro geprellt haben soll.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, dass der Einsatz der Trojaner vorerst gestoppt werde. Er wolle das Ergebnis der Prüfung des bayerischen Datenschutzbeauftragten abwarten. Herrmann betonte zugleich, die bayerische Polizei habe sich immer an die rechtlichen Vorgaben gehalten und die Verwendung der Software vehement verteidigt. In Bayern wurden im vergangenen Jahr insgesamt mit Abstand die meisten Überwachungen angeordnet.
Piratenpartei stellt Rechts- und Kostenfrage
Christopher Lauer von der Piratenpartei zeigte sich in der n-tv-Sendung "Das Duell" empört: "Das ist eine Wanze. Warum nennt man es nicht so? Ich bin sauer, weil man es im Moment einfach so marginalisiert und so tut, dass es möglich wäre, einen rechtlichen Rahmen dafür zu schaffen, dass der Staat die Bürger überwacht. Das ist aber nicht möglich", so Lauer. Zudem stellte er den finanziellen Aufwand infrage: "Warum gibt der Freistaat Bayern 13 Millionen dafür aus, um fünf Kriminelle zu überwachen, anstatt das in die Polizei zu investieren?"
CSU-Vize-Generalsekretärin Dorothee Bär sagt bei n-tv: "Die Software darf nicht mehr eingesetzt werden, wenn sie Dinge tut, die über das erlaubte Maß hinaus gehen". Zugleich kritisierte sie fehlenden Sachverstand im Umfeld der politischen Entscheidungsträger. "Natürlich ist es auch nicht hinnehmbar, dass offensichtlich auch unzureichend Experten in den Ministerien sind, die auch nicht abschätzen konnten inwieweit die technischen Voraussetzungen das normale Maß übersteigen", so Bär.
Bund hält an Vorgehensweise fest
Die Sicherheitsbehörden des Bundes halten jedoch trotz der kontroversen Debatte um die Spionagesoftware grundsätzlich an der Überwachung von Computern mit Hilfe von Trojanern fest. Das Abhören verschlüsselter Internet-Telefonate direkt auf dem Rechner des Verdächtigen - die "Quellen-Telekommunikationsüberwachung" (TKÜ) - sei ein wichtiges Ermittlungsinstrument, hieß es aus Sicherheitskreisen in Berlin.
Innenminister Friedrich sprach sich dafür aus, den Einsatz solcher Software klar in der Strafprozessordnung zu regeln. Er hoffe dazu auf einen Vorschlag des Bundesjustizministeriums. Leutheusser-Schnarrenberger sieht dagegen den Innenminister in der Pflicht. Sie sagte der "Passauer Neuen Presse": "Wir müssen alles tun, damit die Bürger das Vertrauen in den Rechtsstaat nicht verlieren." Sie forderte, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum "Computergrundrecht" in der Gesetzgebung stärker zu berücksichtigen, namentlich im BKA-Gesetz. Dieses ist die Grundlage für Kompetenzen des Bundeskriminalamtes zur Abwehr terroristischer Gefahren und die Grundlage auch für Durchsuchungen der Festplatte über das Internet.

Speziell, spezieller, Trojaner: Firmenschild von "DigiTask", wo die Software programmiert wurde.
(Foto: dapd)
Neben Bayern haben mehrere andere Bundesländer Trojaner für die Quellen-TKÜ verwendet: Baden-Württemberg, Niedersachsen, Brandenburg und Schleswig-Holstein. Die Innenministerien und Ermittlungsbehörden betonten jedoch, dass dabei immer gesetzliche und richterliche Auflagen eingehalten worden seien. Den Angaben zufolge handelte es sich immer nur um eine Handvoll Einsätze.
Anwalt bekennt sich
Der CCC hatte am Wochenende erklärt, dass ihm eine "staatliche Spionagesoftware" zugespielt worden sei, mit der Ermittler in Deutschland Telekommunikation im Internet überwachten, was erlaubt ist. Der Trojaner eröffne aber auch den ferngesteuerten Zugriff auf Kamera, Mikrofon und Bildschirminhalt - was nicht zugelassen ist und nach Ansicht der Hackervereinigung gegen das Urteil des Bundesverfassungsgerichts verstößt. Denn mit dem Trojaner sei quasi durch die Hintertür eine Online-Durchsuchung möglich. Für diese Maßnahme hat das Bundesverfassungsgericht aber Ende Februar 2008 hohe Hürden gesetzt.
Der bayerische Anwalt Patrick Schladt hatte sich als Informant des CCC zu erkennen gegeben und mitgeteilt, der Trojaner sei auf der Festplatte eines seiner Mandanten gefunden worden. "Aufgespielt wurde der Trojaner bei Gelegenheit einer Kontrolle meines Mandanten durch den Zoll auf dem Münchener Flughafen." Auch wenn die Maßnahme von bayerischen Behörden kontrolliert worden sei, stehe für ihn außer Frage, dass Stellen des Bundes - etwa der Zoll - beteiligt gewesen seien.
Der Vorsitzende der Linken, Klaus Ernst, sagte n-tv.de, sollten die Vorwürfe des CCC zutreffen, sei diese "staatlich sanktionierte Computerschnüffelei" nicht hinnehmbar. "Wir werden Herrn Friedrich dazu zwingen, dem Parlament Rechenschaft abzulegen. Der Vorwurf ist ernst. Auch personelle Konsequenzen sind kein Tabu." Die Piraten-Partei reichte eine Bundestagspetition ein. Das Parlament möge umgehend klären, was es mit dem Trojaner auf sich habe. Sollten die Berichte stimmen, müssten die Durchsuchungen umgehend beendet werden, heißt es.
Zahl der Überwachungen steigt
Aus einer Statistik des Bundesamtes für Justiz geht hervor, dass in Deutschland im vergangenen Jahr rund 21.000 Telefon- und Internetanschlüsse überwacht wurden. Das waren rund 400 mehr als ein Jahr zuvor. Insgesamt wurden 5439 Überwachungsverfahren angeordnet - eine Steigerung im Vergleich zum Vorjahr um 138. In vielen Fällen nutzen Verdächtige mehrere Telefon- oder Internetanschlüsse. Das Bundesland mit den meisten Überwachungsverfahren war erneut Bayern mit 1341. Auf den beiden nächsten Plätzen folgen Baden-Württemberg mit 639 und Niedersachsen mit 559.
Quelle: ntv.de, rpe/tis/jmü/rts/dpa/AFP