Leben

Ende der Abschottung Inis Oírr freut sich auf fremde Gesichter

Inis Oírr bietet Irland-Postkartenidylle, jetzt auch wieder für Besucher.

Inis Oírr bietet Irland-Postkartenidylle, jetzt auch wieder für Besucher.

Monatelang dient der Atlantische Ozean der irischen Insel Inis Oírr als natürlicher Schutz gegen Covid. Nun dürfen wieder Touristen kommen - das freut die wenigen Bewohner der Insel. Aber auch sie müssen sich an die Menschen erst wieder gewöhnen.

"Ich kann mich noch an den Tag erinnern, an dem das Schiff unterging", mit irischem Akzent und tiefer Stimme beginnt der Mann zu erzählen, während er liebevoll sein Pferd streichelt. "1960 passierte es." Als er merkt, dass kein Interesse an einer Rundfahrt über Inis Oírr besteht, hält er inne. Er ist einer von circa fünf Inselbewohnern, die Touristen von der Fähre abfangen, um sie von einer Kutschfahrt über die drei mal drei Kilometer große irische Insel zu überzeugen. Oftmals gelingt das auch. Schließlich ist es eine gute Möglichkeit, mit den Einwohnern ins Gespräch zu kommen und der einen oder anderen spannenden Geschichte zu lauschen, während man die Sicht auf von Steinmauern umgebene, saftig grüne Wiesen und glasklares Wasser ganz in Ruhe genießt.

Monatelang waren die Bewohner auf ihrer Insel allein.

Monatelang waren die Bewohner auf ihrer Insel allein.

Mit Stolz ihre Heimat an der Westküste Irlands zeigen, Geschichten erzählen - das haben die 250 Bewohner von Inis Oírr vermisst. Denn ein Jahr lang waren aufgrund von Covid keine Touristen auf der Insel. Der Schiffsverkehr wurde komplett gestoppt. Nur ein Boot fuhr regelmäßig nach Galway - für Arzt- und Krankenhausbesuche oder Einkäufe. Der ohnehin schon ruhige Ort schien wie ausgestorben. Die Abschottung funktionierte perfekt: Bis jetzt gab es auf Inis Oírr keine einzige Covid-Infektion. Das Wasser zwischen der Insel und der Grafschaft Galway diente als natürliche Festung gegen das Virus. Nur einen Covid-Fall hat es auf der Nachbarinsel Inis Móir gegeben, die mit Inis Oírr und Inis Meáin gemeinsam die Aran-Inseln bildet.

Während des ersten Lockdowns gab es Diskussionen darüber, ob Fähr- und Flugrouten für Besucher im Sommer geöffnet werden sollten, sobald die nationalen Einschränkungen gelockert werden. Eine Abstimmung im Frühsommer 2020 ergab jedoch, dass die überwiegende Mehrheit der Bewohner die Inseln abriegeln möchte. Masken tragen und Abstand halten mussten sie trotzdem. Auch die Schule und der einzige Pub schlossen für den Großteil des vergangenen Jahres. Für die Bewohner war das manchmal ziemlich frustrierend. Auch für Martin, der Touristen mit Leihfahrrädern ausstattet, mit denen sich auf schmalen und meist autofreien Straßen in nur wenigen Stunden die gesamte Insel erkunden lässt.

Endlich wieder Pub

Der Bauarbeiter ist froh, sich mit dem Fahrradverleih wieder etwas Geld verdienen zu können. Doch was er am meisten vermisst hat, ist der einzige Ort der Insel, an dem er seine sozialen Kontakte pflegt: der Pub. Hier sitzen am Freitagnachmittag nicht nur Touristen in der Sonne, sondern mit einem Pint Guinness vor sich auch die Einheimischen. Stundenlang flötet einer von ihnen traditionelle Musik - irischer geht es wohl kaum.

Martin ist froh, dass die Abende im Pub nun wieder zu seinem Alltag gehören. Wie die meisten Bewohner der Insel ging er nach der Schule wegen fehlender Arbeitsplätze ans Festland. Er jedoch kam zurück, heiratete, bekam Kinder und wurde wieder in seiner Heimat sesshaft. Damit gehört er zu einer Minderheit. Im 18. Jahrhundert lebten noch etwa 5000 Menschen auf den drei Inseln, heute haben nur noch knapp 1300 Menschen ihren festen Wohnsitz dort. Viele arbeiten auf dem Festland und verbringen meist nur die Sommermonate auf den Inseln. Vielleicht führt gerade das dazu, dass es dort irischer kaum sein könnte.

Inis Oírr gilt als "An Gaeltacht", was bedeutet, dass Irisch noch immer die vorherrschende Sprache ist und ihre Kultur und Traditionen eine große Rolle spielen. Mit ihrer Sprache, dem entspannten und fröhlichen Lebensstil der Einwohner und der durch Corona verstärkten Abgelegenheit ist die Insel eine eigene kleine Welt für sich. Sogar das Wetter ist anders als auf dem Festland. Während es dort kühl und frisch ist, dicke Wolken den Himmel bedecken, scheint auf Inis Oírr die Sonne. Der Sonnenbrand auf der Nase lässt nicht lange auf sich warten.

Urlaub im eigenen Land

Es ist kein Wunder, dass die Bewohner nach all den Monaten der Abschottung froh sind, wieder ein paar fremde Gesichter zu sehen. Es scheint, als würde man auf der Insel mehr Touristen als Einheimischen begegnen. Wie sehr die sich über die Gäste freuen, die mit der Fähre entweder von Galway oder dem kleinen Dorf Doolin ankommen, merkt man ihnen deutlich an. Vom Tourismus abhängig ist keiner von ihnen. Sowohl die Kutschfahrer als auch der Besitzer des Fahrradverleihs machen das nur, um sich ein wenig Geld zusätzlich zu verdienen. Landwirtschaft und Fischerei dienen auf der Insel als Haupteinnahmequellen. Von dem weißen Sandstrand, der eher an die Karibik als an eine irische Insel erinnert, sind einige kleine Fischerboote im Wasser zu sehen. Eingezäunt von Steinmauern, welche das Bild der Landschaft prägen, grasen im Landesinneren Kühe, Esel und Pferde.

Eine der Attraktionen der Insel - das Wrack der "Plassey".

Eine der Attraktionen der Insel - das Wrack der "Plassey".

Die Bewohner sind sehr stolz auf diesen friedlichen Ort und wollen möglichst viel davon zeigen und vor allem darüber erzählen. Die wohl populärste Geschichte ist die des Schiffswracks, das neben dem Leuchtturm, einer alten Festung und einem Friedhof eine der Sehenswürdigkeiten der kleinen Insel ist. An einem Steinstrand gelegen, ist es wie ein riesiges Skelett von fast überall sichtbar. Sogar von der Fähre aus, die von Doolin circa 15 Minuten braucht. Zwischen Rost und löchrigen Schiffswänden haben sich mittlerweile Pflanzen ihren Platz zurückerobert.

Die "Plassey", wie das Schiff hieß, ging im März 1960 unter, weil sie zu nah an die Insel trieb. Bei schlechtem Wetter und Wind stieß sie schließlich auf einen Felsen. Durch eine Leuchtrakete wurden die Inselbewohner auf die Geschehnisse aufmerksam und rannten mit Rettungsausrüstung zur Küste. Mit vereinten Kräften wurde die gesamte Besatzung der "Plassey" sicher an Land gebracht - ein Mann nach dem anderen. Der Sturm und die Flut sorgten dafür, dass kurz danach auch das Schiff selbst an Land geschoben wurde. Seitdem ist es ein beliebtes Fotomotiv für Touristen. Die können von hier aus zu Fuß, auf dem Fahrrad oder in einer der Kutschen den Rest der Insel erkunden. Lange dauert das nicht. Kaum ist man vom Leuchtturm weg und nimmt die nächste Kurve, fährt man schon wieder auf ihn zu. Doch an der Landschaft kann man sich nicht sattsehen und so problemlos einige Stunden im Kreis fahren, um schließlich am Sandstrand oder im Pub zu entspannen, bis die vollgepackte Fähre am Nachmittag wieder zurück nach Doolin fährt.

Auch auf dem Festland nimmt der Tourismus langsam wieder Fahrt auf. Nach einem monatelangen strengen Lockdown zieht es die Iren aus den Städten in die Nationalparks und an die Küste. "Tut mir leid, ich bin etwas aus der Übung", sagt Susan, als sie einen Teller mit Bohnen und pochiertem Ei auf dem Frühstückstisch abstellt. Muffins, Brot und Müsli sind in kleine Plastiktüten eingepackt - eine Covid-Vorschrift. Die Besitzerin des Bed and Breakfast im Surfspot Lahinch, der 20 Minuten entfernt von Doolin liegt, darf seit Anfang Juni ihre Türen wieder öffnen. Die monatelange Schließung ihrer Unterkunft war schwierig für sie und ihre Familie. Nun ist sie froh, wieder Gäste empfangen zu dürfen: "Hoffen wir mal, dass es eine gute Saison wird."

Danach sieht es zumindest auf den Campingplätzen im Nationalpark Connemara im Westen Irlands aus. Selbst an einem regnerischen und kalten Wochenende sind alle Zeltplätze restlos ausgebucht. Wer kein Fleckchen Gras mehr ergattert, stellt sein Zelt eben irgendwo in der Wildnis auf. Das machen so viele, dass man selbst da nicht mehr alleine ist. Doch das wollen die meisten Urlauber auch gar nicht sein. Schließlich sehnt man sich nach Lockdown und Isolation danach, Menschen zu treffen, gemeinsam Zeit zu verbringen. Und sei es mit Fremden in der Wildnis Irlands.

Quelle: ntv.de

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