Leben

Eine für alle Ist das Vintage oder kann das weg?

Links: Bei diversen Anlässen vor Jahren getragen. Mitte: Hemd vom Freund und Hose von der Mutter (bei ihrer ersten Hochzeit getragen). Rechts: Von der großen Schwester bei einer Hochzeit getragen.

Links: Bei diversen Anlässen vor Jahren getragen. Mitte: Hemd vom Freund und Hose von der Mutter (bei ihrer ersten Hochzeit getragen). Rechts: Von der großen Schwester bei einer Hochzeit getragen.

(Foto: soe)

Familienfest, was Schickes soll her, ein guter Anlass, neue Klamotten zu shoppen. Für die Kinder, weil sie eh immer wachsen, für sich selbst, weil einfach mal wieder an der Zeit, und dann plötzlich dieser Gedanke: Muss das echt sein? Die Kolumnistin trägt diese Woche auf.

Ich bin wirklich gefährdet. Bei unzähligen Newslettern angemeldet, auf Instagram coolen Läden folgend, Second Hand Shops oder Vintage-Boutiquen im Urlaub sind mein Untergang. Es muss nicht nur Kleidung sein, es dürfen auch Schuhe sein. Es sind aber vor allem alte Gläser, Karaffen, Decken, Kissen, Vasen, Schmuck, die mich faszinieren. Dieses Gefühl von "schon getragen/ benutzt" oder "bereits geliebt" macht mich an. "War mal teuer" spielt auch eine Rolle, aber mehr noch: War mal neu irgendwann, nur eben jetzt nicht. Man ist auf keinen Fall (zumindest seltener) ein peinliches Fashion-Victim, wenn man Retro trägt.

Ich gucke mir also Kleider an, die mir nicht stehen würden, krame in Läden nach Silberbesteck, wenn ich mit Handgepäck geflogen bin, nur um dann seufzend festzustellen, dass es nicht gehen wird, ein 24-teiliges Besteckset inklusive Messern mit an Bord zu nehmen. Nächstes Mal, ja, da komm' ich mit dem Auto, am besten mit dem Lieferwagen, denn dieser riesige Berberteppich da hinten hat es mir wirklich angetan, der passt prima zu der Bogenlampe, die ich erstaunlicherweise doch noch aus Marrakesch oder Tel Aviv transportiert habe, fragen Sie nicht wie, DHL hatte damit nichts zu tun.

Aber Klamotten, das ist so eine Sache. Muss man ab und zu neu kaufen, denn auch - und vor allem - die liebsten Teile lösen sich nach jahrelangem Tragen in ihre Bestandteile auf. Auf Facebook bin ich in einer Flohmarktgruppe, der 3000 Frauen angehören - da kursiert viel Mist, aber eben auch echte Knaller. Wenn man ein Jil Sander-Jackett für 200 statt 2000 Euro haben kann, dann glühe ich. Ein Rudergerät für'n schmalen Taler? Kein Ding. Selbst Autos gibt es dort zu kaufen. "Horst" macht mich seit zwei Jahren glücklich, denn er fährt bei Sonne oben ohne und ich weiß nicht, wie ich je ohne Horst leben konnte, auch wenn ich meinen Autos früher nie Namen gegeben habe, weil ich das albern fand. Horst habe ich aber nunmal so übernommen.

Zurück zum Anlass, wie gesagt, eine große Feier, Familie und Freunde kommen, es wird warm, wir hauen auf den Putz. Na ja, die Frauen der Familie gehen vorsichtshalber auf den KuDamm, recherchieren. Das erste Kleid gefällt uns gleich am besten, das eine Kind probiert, sitzt wie angegossen, der Preis ist ok, da sagt das andere Kind: "Jetzt mal echt, wenn sie das anzieht, dann kann sie auch das anziehen, was bei mir noch im Schrank hängt von vor fünf Jahren." Wir gucken uns an, nicken, lassen das Kleid sicherheitshalber trotzdem zurückhängen und fahren nach Hause.

Es stimmt: Das Kleid im Schrank ist viel schöner als es das neue wäre, es war damals nicht billig, der Onkel hat's geschenkt, und auch hier muss man sagen: Sitzt wie maßgeschneidert. Sind halt Schwestern, super. Ich habe gespart. Aber jetzt wir anderen beiden. Man muss nun sagen, dass das Kind, das an dem Tag die Hauptattraktion sein wird, jetzt also das alte Kleid ihrer Schwester aufträgt. Soll ich der jetzt ein neues Kleid kaufen? Wäre' ja irgendwie ungerecht, und das ist eh schon so schwer mit der Gerechtigkeit.

War nicht billig, sieht aus wie neu

Wir examinieren also meinen - übersichtlichen - Kleiderschrank. Ich habe nach Covid freundlicherweise mal drei Kilo weniger auf der Hüfte und passe tatsächlich in ein Kleid (es könnte gerne noch lockerer sitzen), das ich vor Jahren bereits sehr gerne und auch oft getragen habe bei festlichen Anlässen, als es noch mehr davon gab. Aber seit Jahren hab' ich es eben nicht getragen, es ist wie neu. Ich werde es anziehen. Weiteres Kramen im Keller fördert eine Hose zutage, die ich aus sentimentalen Gründen aufbewahrt habe, denn sie stammt von meiner ersten Hochzeit, die ich im Nachhinein getrost als Kinderhochzeit bezeichnen würde, so unreif war ich da, aber damals hatte ich immerhin einen ausgezeichneten, eher zeitlosen Geschmack (was ich nicht von jeder Phase meines Lebens behaupten würde.)

Meine ältere Tochter greift zu dem guten Stück - man ahnt es, es war nicht billig, sieht aus wie neu und sitzt wie angegossen, als wäre dieses Beinkleid für sie gemacht. Ich pfeife anerkennend machomäßig, nicht ohne zu denken: "Wow, da hab' ich mal reingepasst?!!!" und bin dennoch sehr zufrieden mit mir und der Gesamtsituation. Schuhe haben wir alle mehr als genug, wir sehen top aus und es hat keine Puseratze gekostet, ich erhöhe bereits innerlich die Getränkepauschale, die ich mir für die Familienfeier gesetzt hatte.

Bestätigung meiner Vintage-Strategie finde ich an unserem Festtag vielfach: Der alte Vater der Hauptattraktion ist mit dem neuen Vater ein Herz und eine Seele, das Hauptattraktions-Kind wird über den grünen Klee gelobt für ihren Look (sie könnte allerdings eine Mülltüte anziehen und würde die Schönste sein), das andere Kind (das auch schon oft Hauptattraktion und die Schönste war) wird ebenfalls komplimentiert für die Idee, die alte Hose von der Mutter mit dem Hemd vom jungen Freund zu pimpen, und mir sagt meine erwachsene Patentochter, dass das Kleid, das ich trage, doch eigentlich für sie gemacht sei, eines Tages, wenn ich mal dicker bin. Ich hole mir einen Drink, ich kann ihn mir ja leisten.

Quelle: ntv.de

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