
Die Säulenhalle Stoa169 steht mitten im bayerischen Pfaffenwinkel, "umschlossen von der Natur und nicht erhaben auf einem Hügel", das war Bernd Zimmer wichtig.
(Foto: Erwin Rittenschober)
Gemeinsam tragen Künstlerinnen und Künstler ein Dach. Völlig gleich, welche Kunstrichtung sie vertreten, welcher Religion sie angehören und von welchem Kontinent sie kommen. Klingt verrückt? Gar nicht - das Ergebnis steht mitten in der bayerischen Landschaft bei Polling und nennt sich Stoa169. Stoa - wie? Dahinter steckt eine Säulenhalle, die fast eine kleine Weltausstellung ist. Staunen inklusive, denn neben bemalten Säulen finden sich auch Exemplare aus Knochen. Dazu eine Platane, ein Kajak, ein Streichholz und sogar eine Gurke. Die 121 Säulen wurden von Stars, Unbekannten oder Kunststudenten gestaltet. Zudem ist das Kunstwerk rund um die Uhr geöffnet und ohne Eintritt zu besuchen. Hier ist die vielbeschworene Demokratisierung der Kunst auf den Punkt gebracht. Der Maler Bernd Zimmer hatte vor 30 Jahren auf einer Reise durch Indien die Inspiration zu Stoa169 und sie schließlich verwirklicht. Mit ntv.de hat er sich getroffen, zu einem Rundgang durch diese erstaunliche und erfreuliche Kunsterfahrung. Im Interview spricht er über Hartnäckigkeit, Naturverbundenheit, den Vorteil von Heimat, Bier und die Neuen Wilden.
n-tv: Sie haben 30 Jahre lang den Traum von der Stoa169 gewälzt - gab es einen Tiefpunkt?

Bernd Zimmer als Bau-Kontrolleur. "Den Namen Stoa habe ich aus dem Stoizismus entliehen. Das ist keine abgeschlossene Philosophie, man kann sie noch heute leben, als eine Art Gelassenheit."
(Foto: Gerald Meier)
Bernd Zimmer: Ja, ab dem Jahr 2004 hatte ich mich damit abgefunden, die Idee der Künstlersäulenhalle nicht zu verwirklichen. 2015 tauchte die Idee plötzlich wieder in meinem Kopf auf. Schließlich habe ich meine Frau Nina überredet, nochmal mit mir nach Indien zu fahren. Vor Ort in Tiruchirappalli haben wir uns dafür entschieden, in das Risiko zu gehen. Die Finanzierung ist das Hauptproblem gewesen.
Angeblich mussten Sie sechs Millionen Euro von verschiedensten Sponsoren einsammeln?
Am Ende sind wir etwas günstiger davongekommen. Die Stoa169 ist aber viel mehr wert und ich bin glücklich, dass die Künstlerinnen und Künstler großzügig mitgemacht und nicht ihre Marktpreise aufgerufen haben. Wir haben jede Skulptur finanziert und auch alle Arbeiten an den Säulen durchgeführt. Die Künstlerinnen und Künstler haben lediglich eine Art Ausfallhonorar bekommen.
Warum haben die Künstlerinnen und Künstler bei dieser kuriosen Idee mitgemacht? War das Ihre Überzeugungskraft?
Nein, ich glaube, sie fanden das wirklich gut. Dieses gleichberechtigte Nebeneinander, das langfristig Gedachte hat überzeugt. Alles bleibt so, wie es jetzt installiert ist, unverrückbar. Und zugleich zeigt es Kunst, die analog und auch digital hergestellt wurde. Die Kunstwelt ist ja gerade im Wandel.
Mit den Säulen bilden Sie den Ist-Zustand der Kunstwelt ab. Die Sinnhaftigkeit der Stoa169 wird damit noch stärker unterstrichen. Wie viele Biere mussten Sie mit den Pollingern trinken, um sie von Ihrem Projekt zu überzeugen?
Im Vorfeld war es gut, ein Einheimischer zu sein und klar, ein paar Biere mussten schon sein (lacht). Am Stammtisch gab es nur wenige größere Diskussionen. Allerdings hatte ich großes Glück, dieses Stück Land an der Ammer zu bekommen. Dass ich hier lange sesshaft und beheimatet bin, war hilfreich. Das Land wurde nicht zum Kauf angeboten, aber ich kenne eben Leute aus der Landwirtschaft und so kam eins zum anderen. Ich habe die Auflage bekommen, dass der Restgrund, der nicht bebaut ist, landwirtschaftlich genutzt wird, was ich sowieso wollte.
Die Halle ist sehr malerisch in der Landschaft eingebettet und nur zu Fuß erreichbar. Natur ist auch in Ihrer Malerei ein Riesenthema.

Hier versammeln sich Säulen von Karin Kneffel, Flatz oder Roman Singer gleichberechtigt nebeneinander.
(Foto: Juliane Rohr)
Es ist mein Grundthema seit den 80er Jahren. Wie ist das Verhältnis von uns Menschen in der Natur? Wir sind Nutznießer von der herrlichen Natur und ein Teil davon. Dass wir die Herren über die Tiere und Natur sind, ist Quatsch. Man muss alles in einen großen Zusammenhang stellen. Wir können froh sein, dass wir auf diesem privilegierten Planeten leben können.
Sie haben sich als sogenannter Neuer Wilder in der Kunst einen Namen gemacht. Gemeinsam mit anderen waren Sie als figurativer Maler unterwegs, in einer Zeit, in der Abstraktion das Maß aller Dinge war. Was haben Sie damals gelernt, was Sie bei der Verwirklichung der Stoa169 anwenden konnten?
Ich habe eine Lehre als Verlagsbuchhändler gemacht und auch als solcher gearbeitet, weil sich meine Eltern einen anständigen Beruf wünschten. Mit 28 habe ich mich endgültig in die Malerei geschmissen. Wenn man als Künstler arbeiten will, braucht man eine wahnsinnige Hartnäckigkeit und eine Art Sturheit. Anpassung wäre absolut falsch. Man muss eine Idee verfolgen und wenn sie Sinn hat, dann kann man sie lange fruchtbar mit seinen Bildern erzählen. Malerei entwickelt und verselbständigt sich, man muss sie immer wieder zähmen und einen neuen Erzählstrang entwickeln. Am Anfang dieser Malerei, also in den frühen 80er Jahren, haben wir auf den Putz gehauen und einfach die Farbe explodieren lassen. Damals waren in der Malerei eher grau-braune Töne angesagt.
Das war neu und anders. Sind Sie ein gnadenloser Idealist?
Genau. Das hat was von Hegelschem Idealismus, gepaart mit dem Wollen, es dann auch durchzuziehen. Und ein Stück Unternehmergeist gehört dazu. In der Stoa ist deutlich formuliert, was ich mir unter einem demokratischen Bild vorstelle. Da müssen viele mitspielen, das geht nur im Team. Wenn ich ein Bild male, ist das Individualismus pur.
Sind Hartnäckigkeit und ein bisschen Wahnsinn Ihr Erfolgsrezept?
Ich glaube, alle Künstler, die hartnäckig an ihrer Arbeit dranbleiben, tragen ein Stückchen Wahnsinn in sich (lacht). Zeitgleich darf man sich nicht ablenken lassen, denn die Bilder, die man malt, sollen die Öffentlichkeit erreichen. Ich erzähle mit einem Bild entweder die Geschichte der Farbe, der Nichtfarbe, der Abstraktion, der Willkür oder der Geste. Es sind Denkprozesse, die sichtbar werden und so eine Form bekommen. Wenn Sie in meiner Malerei einen Baum erkennen, erzählt das Bild auch die Geschichte, wie ich über die Natur nachdenke.
Sie sind der figurative Maler, der ein riesiges Konzeptkunstwerk für alle realisiert hat. Nervt es Sie, dass Sie plötzlich hinter Ihrem eigentlichen Werk, das Sie als Maler geschaffen haben, verschwinden?
Das, was ich 50 Jahre lang gemacht habe, nämlich als Künstler und Maler zu arbeiten, ist der fruchtbare Humus. Nur aus und in ihm konnte das Große, nämlich die Stoa169, entstehen. Mit diesem Super-Konzept habe ich mich wohl selbst über mich als Maler gestellt, was ich aber nicht so empfinde. Das Risiko, mit der Stoa169 zu scheitern war groß. Mit meiner Malerei habe ich allerdings viel Erfolg gehabt. Ich glaube, man muss das, was man aus der Kunst schöpft, auch wieder zurückgeben. Nicht horten oder ansammeln, egal ob Geld oder Besitztümer. Ich gebe gerne etwas zurück. Schenken finde ich mindestens so gut wie geschenkt bekommen. Das macht mir eine Riesenfreude. Das mag Idealismus oder Konfuzianismus sein, auf jeden Fall ist es für mich der richtige Weg.
Geht es jetzt wieder mit der Malerei auf diesem Weg weiter? Die Stoa169 ist fast fertig und das Buch dazu ist gerade auf den Markt gekommen.
Ich habe immer weitergemalt. Morgens habe ich Briefe in der Sache Stoa169 geschrieben und geguckt, dass ich wieder vor die Leinwand komme. Ich bin ein bisschen aus dem Galeriegeschehen rausgerutscht, weil ich auch anderes zu tun hatte.
Wünschen Sie sich, dass der Maler Bernd Zimmer wieder sichtbarer wird und die Stoa das befeuert?
Die Leute sollten sich mal Mühe geben, beides parallel zu sehen. Die Stoa169 ist eine parallele Geschichte und war der Versuch, eine demokratische Idee umzusetzen und darzustellen. Ein Versuch, der gelungen ist, weil auch Leute hingehen können, die normalerweise nicht ins Museum gehen.
Hat sich Ihre Malerei über das Projekt Stoa verändert?
Ich habe von den vielen unterschiedlichen Künstlerinnen und Künstlern gelernt. Deren Denkweisen haben meiner Malerei einen Schub gegeben. Ich habe dieses Jahr sehr schöne große, fast monochrome Bilder gemalt, die sehr malerisch sind. Am Ende soll mein Werk eine große Geschichte erzählen.
Sie sind also noch nicht fertig?
Nein, ich lege den Pinsel bestimmt nicht aus der Hand.
Mit Bernd Zimmer sprach Juliane Rohr
Stoa169 in 82398 Polling - so kommt man hin.
Quelle: ntv.de