
Johanna Klug fühlt sich durch ihre Arbeit lebendiger.
(Foto: Lilli Veneta Berger)
Junge Leute sind in Clubs oder auf Reisen, der Tod hat in ihrem Leben keinen Platz. So ist es häufig, aber nicht immer. Johanna Klug begleitet in ihrer Freizeit Menschen in den Tod. Was treibt die 27-Jährige an?
Wenn Johanna Klug von ihrer Arbeit erzählt, ist es immer derselbe Satz, der ihr nahezu mechanisch entgegnet wird: "Das könnte ich nie." Dass sie es nicht nur kann, sondern auch will, wurde der jungen Frau schon mit 20 Jahren klar. Johanna Klug ist Sterbebegleiterin.
"Für mich hatte das Thema Tod nie einen krassen Schrecken", erinnert sich Johanna Klug im Gespräch mit ntv.de. "All unsere Vorerfahrungen prägen uns auf eine gewisse Art und Weise", meint die junge Frau. In ihrer Kindheit erkrankt die heute 27-Jährige. Lange gab es keine Diagnose. Was folgt ist ein regelrechter Krankenhausmarathon und eine ungewisse Zeit für die Familie. "Ich glaube, meine Eltern haben sich damals auch damit auseinandergesetzt, was wäre, wenn ich das nicht überleben sollte", sagt sie. Am Ende ist es kein tödlicher Krebs, sondern "nur eine Entzündung, die wieder heilt. Klug selbst geht mit ihren elf Jahren sehr locker mit der Situation um. Trotzdem spürt das Mädchen die Angst ihrer Eltern.
Als sie 16 Jahre alt ist, hilft Klug im Altersheim aus. Während sich andere nach einem stressigen Schulalltag entspannen oder Fußball spielen, schmiert Klug Brote für Senioren und Seniorinnen. Wenn sie von der Zeit erzählt, wirkt sie nachdenklich. Es ist eine Zeit, die sie prägt. Denn im Altersheim wird ihr bewusst, dass nicht über den Tod gesprochen wird. "Oft war ein Bett plötzlich einfach leer, wenn ich das nächste Mal zur Arbeit kam. Es wurde dann neu belegt, ohne dass wirklich darüber geredet wurde", erinnert sie sich zurück. Das habe sie überhaupt nicht verstanden.
Auch wenn der Tod allgegenwärtig ist - etwa in Nachrichten, Filmen oder im privaten Umfeld - wird er oft tabuisiert. "Ich glaube, es ist einfach eine unserer größten Urängste", sagt Klug. "Man redet irgendwie nicht so drüber, weil man Angst hat, sich verletzlich zu zeigen. Und deswegen bleibt man oft in seiner eigenen Welt."
Palliativstation statt Club
Nach zwei Jahren im Altersheim geht Klugs Schulzeit zu Ende. Sie macht eine Pause. "Vielleicht braucht das die Seele, um alles zu verarbeiten", sagt sie. Der Weg führt sie in den Hörsaal und in den Club. Sie arbeitet dort, wo andere feiern. Es ist ein Job, den viele junge Studierende wählen. Nachtleben, Menschen, Ekstase. Doch Klug fehlt etwas. "Ich habe einfach gemerkt, wie ich von den ganzen Oberflächlichkeiten müde geworden bin", erinnert sie sich. "Ich wollte etwas machen, das Sinn stiftet." Sie tauscht den Job hinter der Theke gegen Stunden auf der Palliativstation.
Klug ist 20 Jahre alt, als sie beginnt, sterbende Menschen zu begleiten. Ihre Ausbildung zur Sterbebegleiterin absolviert sie anschließend in Hamburg. Seitdem ist viel passiert. Neben zwei abgeschlossenen Studiengängen und Auslandsaufenthalten in Groningen, Oslo und Südafrika, hat die heute 27-Jährige ein Buch geschrieben. In "Mehr vom Leben" erzählt sie über ihre Begegnungen mit Sterbenden. Von Inge, die sich aufgrund der vielen körperlichen Einschränkungen fremd im eigenen Körper fühlt. Von Heinz, der trotz Lungenkrebs weiter rauchen will. Oder von Professor Doktor Meyer, dessen Ehefrau darauf besteht, dass er so angesprochen wird.
Lebensfreunde und das Begleiten von Sterbenden. Es sind Dinge, die für viele nicht zusammengehen. Johanna Klug vereint diesen vermeintlichen Widerspruch. Dass ihre Jugend gerade deshalb als etwas Besonderes angesehen wird, kann sie nur schwer verstehen. "Was ist schon normal?", fragt sie. Klug kritisiert, dass die Gesellschaft ein bestimmtes Konzept von Jugend vorgibt. "Wenn du nicht auf viele Partys gehst, bist du angeblich langweilig." Langweilig hat sie ihre Jugend aber nie erlebt. Auch gegen Behauptungen, der Tod sei so schwer und trübsinnig, wehrt sie sich. "Nur weil ich mich mit dem Tod beschäftige, habe ich nicht weniger Lebensfreude. Es ist eher etwas ganz anderes, was mich nachdenklich stimmt", erklärt sie. "Ich begegne oft Menschen, die zwar leben, aber nicht lebendig sind."
Mit ihrer Entscheidung, Sterbende zu begleiten, ist Johanna Klug dem Leben näher gekommen, wie sie sagt. Etwa in ihrer Arbeit mit Zugehörigen oder Kolleginnen und Kollegen. Dass sie heute auch in den kleinen Momenten des Alltags etwas Schönes sehen kann, beschreibt sie als Kunst. Eine Kunst, die sie durch die Begleitung Sterbender lernen durfte. Denn dank ihnen merkt sie schnell: selbstgebackene Kekse, eine mitgebrachte Blume oder das gemeinsame Schweigen können viel verändern.
Kommunikation als Schlüssel
In ihrer Arbeit als Sterbebegleiterin steht Klug auch mit den Zugehörigen im engen Austausch. "Der Tod ist nie ein alleiniges Ding, sondern zieht immer auch andere Menschen mit rein", sagt sie. Von Zugehörigen spricht die junge Frau ganz bewusst. Für sie ist wichtig, dass es nicht immer die Angehörigen sind, die Sterbende begleiten. Das können alle Menschen sein, die der Person nahestehen. Etwa Freunde oder Kolleginnen. Wie so oft im Leben ist Kommunikation in diesen Situationen der Schlüssel.
Es kann wichtig sein, dass Zugehörige in engem Austausch mit den Pflegekräften bleiben, findet Klug. Denn viele Sterbende haben Angst, nahestehende Menschen zu belasten. Das führt nicht selten dazu, dass der eigentliche Wille der Personen aus dem Fokus gerät. So erlebt sie immer wieder, wie bemühte Zugehörige das Lieblingsessen der sterbenden Person mitbringen. "Das ist natürlich nett gemeint. Doch auch das Essen und Trinken verändert sich", sagt sie. Dann hält sie kurz inne: "Essen hält uns am Leben. Aber irgendwann kann der Körper nicht mehr."
Den selbstbestimmten Willen der sterbenden Person zu berücksichtigen, scheint oft schwer. Wie durch einen Tunnel fangen Zugehörige an, vor allem die kranken und schutzbedürftigen Seiten der Person zu sehen. Johanna Klug erinnert sich an Heinz. "Rauchen gehörte für Heinz dazu. Er wollte nicht auf seine Zigarette verzichten", sagt sie. Wieso ein todkranker Mann mit Lungenkrebs nicht aufhört zu rauchen, ist nur schwer zu verstehen. "Da geht es um Lebensqualität, die nicht aufgegeben werden will", erklärt Klug. Wenn eine Person weiß, dass sie sterben wird, sind ihr die gesundheitlichen Folgen einer Zigarette meist sehr egal.
Aus ihren Erfahrungen weiß sie, dass sie als fremde Person häufig eine ganz andere Möglichkeit hat, mit den Sterbenden zu interagieren. Oft begegnet Klug den Menschen nur einige wenige Male. Es sind Begegnungen, bei denen Biografien keine Rolle spielen und Begegnungen ohne Vorurteile, wie sie sagt. Gerade auf der "Palli", wie Klug die Palliativstation nennt, taucht sie oft in die Welt der Zugehörigen ein. "Die besten Gespräche entstehen immer zwischen Tür und Angel", scherzt Johanna Klug.
Mehr Raum für den Tod
Die meisten Kinder kommen erst mit dem Tod in Berührung, wenn jemand aus ihrem nahen Umfeld stirbt. Meist sind es die Großeltern. Viele Eltern versuchen dann, den Tod vor den Kindern zu verbergen. "Oma schläft" oder "Oma macht eine lange Reise" sind nur zwei der Sätze, die dann fallen. Auch von Beerdigungen werden Kinder oft ferngehalten. Das ist falsch, findet Johanna Klug. Daraus spricht oft vielmehr die Angst der Eltern als die der Kinder, wie sie sagt. Dabei könnten Kinder damit gut umgehen, wenn man es ihnen kindergerecht erklärt. "Die wissen um ihre Grenzen und wann es genug ist, über das Thema zu sprechen", sagt sie.
Das merkt die Sterbebegleiterin auch dann, wenn sie etwa in Schulen Vorträge hält. "Wenn ich bei Kindern bin, im Grundschulalter oder der fünften Klasse, sind sie noch so unvoreingenommen und offen", sagt sie. Bei einem Vortrag fängt ein kleiner Junge an, über seinen Opa zu sprechen. Tränen fließen. Und plötzlich melden sich andere Kinder. Erzählen auch von ihren verstorbenen Großeltern. Weinen auch. "Da war eine richtige Verbindung", sagt Klug.
In ihrer Arbeit merkt sie schnell, dass ein solcher Safe Space - ein geschützter Raum - auch bei Erwachsenen helfen kann. "Dann ist man nicht alleine mit den ganzen Ängsten, aber wir kommen einfach zu wenig in Austausch darüber". Der Tod werde stattdessen als etwas Dunkles, Bedrohliches wahrgenommen. Ein Blick etwa nach Südafrika zeigt, dass es auch anders geht. "Die Trauerfeier wird dort größer als die Hochzeit gefeiert", erzählt Klug energisch. "Es wird viel gegessen und getrunken, es wird in bunten Kleidern gefeiert und alles ist lebendig", beschreibt Klug, die eine Weile in Südafrika gearbeitet hat.
Wenn Johanna Klug an ihre eigene Trauerfeier denkt, huscht der jungen Frau ein Schmunzeln über ihr Gesicht. "Bei meiner Trauerfeier werde ich nicht mehr dabei sein. Ich kann also immer nur Wünsche äußern", überlegt sie gelassen. Dass die Trauerfeier gerade für die Angehörigen wichtig ist, sollte nicht vergessen werden, findet sie.
Erinnerungen über den Tod hinaus
Doch während die Beerdigung für viele noch greifbar ist, scheinen wichtige Schritte davor nahezu vollkommen in Vergessenheit zu geraten. Zumindest so lang, bis es oftmals zu spät ist. Die Patientenverfügung legt fest, wer über die eigenen ärztlichen Entscheidungen bestimmen darf, wenn eine Person selbst nicht mehr dazu in der Lage ist. Der Tod betrifft uns also erst, wenn jemand stirbt? Das ist ein Trugschluss, sagt Johanna Klug.
"Bei mir war es um die Weihnachtszeit, als meine Eltern die Ordner aus dem Keller geholt und die Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht bei einem Glas Wein mit uns besprochen haben", sagt sie. So harmonisch geht es jedoch nicht immer zu. Nicht in allen Familien. "Wenn die Eltern das nicht möchten, ist es aber auch ein Stück weit egoistisch", erklärt Johanna Klug. Ihre Stimme wird ernster. "Es geht beim Sterben nicht nur um einen selbst, sondern auch um die Kinder oder eben um jene, die zurückbleiben."
Es ist nicht leicht, sich mit der eigenen Endlichkeit auseinanderzusetzen. Dennoch ist es eine Möglichkeit, die Viele nicht bekommen. So auch Sarah. "Ich begleite Sarah, seit sie elf Jahre alt ist", erzählt Klug mit geweiteten Augen und einem Lächeln im Gesicht. Sarah ist an Kinderdemenz erkrankt. "Sie wird alles, was sie bis zum Alter von fünf oder sechs Jahren gelernt hat, wieder verlernen. Motorisch und kognitiv. Sie wird immer schlechter laufen können, sprechen, essen, atmen", sagt sie. "Bis irgendwann gar nichts mehr geht."
Wann immer sich Johanna Klug nach Hamburg aufmacht, um sie zu besuchen, reist die Angst mit, Sarah könnte sie nicht mehr erkennen. Doch bisher ist Klug jedes Mal der "Radieschenkopf" geblieben, wie die heute 14-Jährige sie aufgrund ihres kahl geschorenen Kopfes nennt. Doch Sarahs Tod ist unausweichlich, denn ihre Krankheit ist unheilbar. Ihre Zeit mit dem Mädchen und ihrer Familie sieht Klug deshalb nicht nur als Sterbebegleitung, sondern auch als Trauerarbeit. "Das finde ich eigentlich das Wichtigste, wenn ich merke, ich schaffe Erinnerungen", sagt sie. Für Sarah und für sich selbst, aber auch gleichzeitig für die Familie. "Und deswegen ist das eine ganz, ganz wundervolle Arbeit."
Quelle: ntv.de