Panorama

Überlebende von Solingen Friedensbotschafterin Mevlüde Genç ist tot

Mit dem Tod von Mevlüde Genç verliere das Land ein "großes Vorbild der Versöhnung", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst.

Mit dem Tod von Mevlüde Genç verliere das Land ein "großes Vorbild der Versöhnung", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Wüst.

(Foto: imago/Deutzmann)

Bei einem rechtsradikalen Brandanschlag 1993 in Solingen verliert Mevlüde Genç fünf Familienmitglieder. Schon kurz nach dem Attentat ruft sie zur Versöhnung auf und erhält für ihre Bemühungen das Bundesverdienstkreuz. Nun stirbt die Friedensbotschafterin mit 79 Jahren.

Die Friedensbotschafterin und Überlebende des rechtsextremistischen Brandanschlags von Solingen 1993, Mevlüde Genç, ist im Alter von 79 Jahren gestorben. Das teilte die nordrhein-westfälische Staatskanzlei am Sonntag mit. Nach Informationen des deutsch-türkischen Magazins "Merhaba" in Berlin soll Genç nach der Trauerfeier am Dienstag in Solingen in ihre türkische Heimatstadt Amasya überführt und dort beigesetzt werden.

Mevlüde Genç und ihr Mann Durmus Genç hatten im Mai 1993 zwei Töchter, zwei Enkelkinder und eine Nichte verloren, nachdem Rechtsextremisten Brandsätze in ihr Haus in Solingen geworfen hatten. In der Nacht des 29. Mai 1993 hatten die vier rechtsradikalen Männer das Haus der türkischstämmigen Familie in Solingen angezündet. 17 Familienmitglieder waren dabei schwer verletzt worden. Vier Täter wurden 1995 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Schon kurz nach dem Attentat hatte Genç zur Versöhnung aufgerufen. Für ihre Bemühungen wurde ihr 1996 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen stiftete außerdem 2018 die Mevlüde-Genç-Medaille. Diese wird an Einzelpersönlichkeiten oder Gruppen verliehen, die sich für Toleranz, Versöhnung zwischen den Kulturen und um das friedliche Miteinander der Religionen einsetzen. Die Auszeichnung wird jährlich rund um den Jahrestag des Brandanschlags verliehen.

Mit ihr "verliert unser Land ein großes Vorbild der Versöhnung", sagte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst der Mitteilung zufolge. "Wie wenige andere hat Mevlüde Genç den Glauben an das Gute im Menschen verkörpert." Sie habe den Frieden und die Versöhnung immer an erste Stelle gesetzt. "Sie verstand es, den unermesslichen Schmerz, der ihr zugefügt wurde, umzuwandeln in Kraft, um sich für andere Menschen einzusetzen." Sie habe den Hass, die Gewalt und die Missgunst, die ihr entgegengeschlagen seien, als Großherzigkeit und Toleranz zurückgegeben.

"Große Frau mit großem Herzen"

Solingens Oberbürgermeister Tim Kurzbach sagte, er sei tief traurig gewesen, als ihn diese plötzliche und unerwartete Todesnachricht erreicht habe. "Genauso wie wir in Solingen eben auch alle traurig sind, weil wir sie immer in Erinnerung haben, als die Frau, die in der dunkelsten Stunde unserer Stadt nach dem Zweiten Weltkrieg uns zu Freundschaft aufgerufen hat", betonte er. "Und wenn diese große Frau mit ihrem großen Herzen, das jetzt aufgehört hat zu schlagen, von uns gegangen ist, ist ein Gefühl der großen Leere und auch der großen Trauer, was in mir und in uns herrscht", unterstrich der Oberbürgermeister.

Mevlüde Genç würdigte er als Inbegriff einer Mutter. "Aber sie war eben auch eine große Frau, weil sie diese mütterliche Art auch übertragen hat, selbst da, wo es zum Schlimmsten für ihre Familie gekommen ist, allen die Hand zu reichen. Und das hat sie tief ausgezeichnet", erklärte Kurzbach.

Schweigeminute im Landesparlament

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir äußerte sich "tieftraurig" über den Tod von Mevlüde Genç. "Sie wird für immer mein großes Vorbild bleiben", schrieb er auf Twitter. Der Präsident des Landtags von Nordrhein-Westfalen, André Kuper, hob hervor, sie sei "Hass und Gewalt mit Vergebung und Liebe entgegengetreten. Er kündigte für kommenden Mittwoch eine Schweigeminute im Parlament an.

Der nordrhein-westfälische SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty betonte, Genç habe stets "für Respekt, Toleranz und Wertschätzung zwischen allen Menschen" gestanden. "Damit hat sie viele Menschen beeindruckt." Der türkische Moscheeverband Ditib sprach im Zusammenhang mit dem Tod von Genç unter anderem von einer "kummervollen Mahnung für gesellschaftlichen Zusammenhalt" und einem "unerschütterlichen Symbol der Versöhnung".

Quelle: ntv.de, mbu/dpa/AFP

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