Diagnose Down-Syndrom "Mütter entscheiden sich trotzdem für das Kind"
21.03.2024, 18:40 Uhr Artikel anhören
Zwei Drittel der Frauen, die sich an die Beratungsstelle wenden, behalten Trenner zufolge ihr Kind.
(Foto: picture alliance / Shotshop)
Wenn werdende Eltern ein Kind mit Down-Syndrom erwarten, können Sie sich an Wolf-Dietrich Trenner wenden. Im Interview berichtet der Vorsitzende des Arbeitskreises Down-Syndrom Deutschland, warum er nicht glaubt, dass Menschen mit Down-Syndrom eines Tages verschwinden - trotz der Zunahme von vorgeburtlichen Bluttests. In Zukunft erwartet er jedoch harte Verteilungskämpfe um öffentliche Gelder. Inklusions-Bekenntnisse von Politikern zum Welt-Down-Syndrom-Tag hält er darum für wohlfeil.
ntv.de: Gibt es bald keine Menschen mit Down-Syndrom mehr? Diese Frage stellt sich angesichts der Zunahme von Tests, die eine mögliche Behinderung während der Schwangerschaft frühzeitig erkennen.
Wolf-Dietrich Trenner: Das glaube ich nicht. Es hat schon immer Frauen gegeben, die schwanger waren, aber kein Kind bekommen wollten. Wenn Frauen ein Kind mit Behinderung erwarten, haben sie einen zusätzlichen Grund, darüber nachzudenken, welche Verpflichtungen damit einhergehen. Wir haben jede Woche zwei bis drei Anrufe von werdenden Müttern, die fragen, was auf sie zukommt. Wir sagen dann: Selbst, wenn das zu erwartende Kind keinerlei behinderte Anzeichen zeigt, kann trotzdem eine Menge passieren - chronische Erkrankungen, Erziehungsprobleme, Drogenkonsum, Kriminalität. Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen, weshalb eine Elternschaft unerfreulich verlaufen kann.
Behindertenverbände sehen es jedoch kritisch, dass NIPT-Tests, also Blutuntersuchungen ab der zehnten Woche, seit Juli 2022 von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden.
Auch vor der Einführung als Kassenleistung waren die Kosten für so einen Test nicht unüberwindlich. Er wird gemacht, seit es ihn gibt, und trotzdem entscheiden sich Mütter für ein Kind mit Down-Syndrom. Diese Entscheidung treffen nur sie selbst, unabhängig davon, wer den Test bezahlt.
Wofür entscheiden sich denn die Eltern, die bei Ihnen anrufen?
Sie entscheiden sich zu über zwei Dritteln für das Kind. Bei dem anderen Drittel gibt es zudem noch andere Faktoren, etwa, dass das Kind in keinem lebensfähigen Zustand geboren wird. Übrigens wird inzwischen die Hälfte der Anrufe von den Paaren gemeinsam gemacht. Das ist für viele Mütter eine entscheidende Frage: Wird sich mein Partner an den besonderen Aufgaben, vor die uns das Kind stellt, beteiligen?
Welche Bedenken tragen werdende Eltern an Sie heran?
Eltern haben Bedenken, was die Inklusionsleistung unserer Gesellschaft betrifft. Die ist nicht besonders gut darin, Abweichungen zu akzeptieren. Das führt sicherlich zu Vorbehalten. Menschen mit Behinderung finden oftmals keinen Arbeitsplatz im ersten Arbeitsmarkt, weil man ihnen das nicht zutraut. Menschen ohne Behinderung sind zunächst überrascht, wenn sie Menschen mit Down-Syndrom zum Beispiel als Schauspieler erleben. Es gibt ein inneres Bedürfnis nach Normalität und Gesundheit. Dabei sind Kinder mit Down-Syndrom oft ausgesprochen sozial kompetent. Sie sind vielleicht nicht so schnell im Lernen des traditionellen Schulstoffs, aber haben ein feines Gespür dafür, wie es anderen geht. Und wenn Sie an die aktuellen Verhältnisse denken: Menschen mit Down-Syndrom haben keine Kriege angefangen.
Die Bedenken sind also unberechtigt?
Grundsätzlich halte ich alle Bedenken, die Eltern haben, für berechtigt. Gleichzeitig haben wir in Deutschland ausgesprochen gute Voraussetzungen, um Menschen mit Behinderung ein gutes Leben zu geben, auch wenn da noch Luft nach oben ist. Betroffene beschweren sich häufig, und das macht Menschen, die nicht vorbereitet sind, zusätzlich Angst.
Wo genau ist denn noch "Luft nach oben"?
Also für Kinder ist relativ gut gesorgt, auch wenn die Eltern natürlich die Hauptbelastung tragen. Das ändert sich, wenn die Kinder erwachsen werden. Wir haben zu wenig Wohneinrichtungen. Zudem hat Deutschland kaum Erfahrung mit verrenteten Menschen mit Behinderung. Bis 1945 wurden sie von den Nationalsozialisten systematisch ermordet. Menschen mit Down-Syndrom, die vielleicht früher in Rente gehen, wird oft gesagt, sie seien zu jung für Altersheime. In Wohneinrichtungen für junge Menschen wird jedoch gesagt, die haben einen höheren Pflegeaufwand, das wird nicht bezahlt. Generell gibt es Schwierigkeiten mit der Kostenübernahme bei den Sozialämtern und bei den Pflegekassen. Anträge müssen jedes Jahr neu gestellt werden, obwohl sich nichts geändert hat. Der Umgang mit Behörden ist ausgesprochen zäh.
Gibt es da Aussicht auf Besserung?
Die sehe ich nicht. Was uns in Zukunft erwartet, ist ein neuer Verteilungskampf um öffentliche Gelder. Wir befinden uns jetzt im Wettbewerb mit allgemeinen Schulen, anderen Sozialleistungen, der Bundeswehr, dem Energiesektor. Aber unsere Kinder sind nicht so protestgeeignet wie deutsche Bauern. Wir können keine Straßen mit Traktoren blockieren, wir können uns nicht festkleben und wir können auch nicht streiken. Wir sind nicht kampferprobt. Das führt zu einer wehrlosen Situation gegenüber mancher Willkür in den Verteilungskämpfen.
Dabei gibt es am heutigen Welt-Down-Syndrom-Tag doch zahlreiche Statements von Politikerinnen und Politikern, in denen es sinngemäß heißt, wir müssen mehr tun, damit unsere Gesellschaft inklusiver wird?
Das sind wohlfeile Erklärungen, die kommen am Welt-Down-Syndrom-Tag an allen Ecken und Enden. Da steht überall das Gleiche drin. Das haut mich nicht vom Sockel.
Weil es die Realität verschleiert?
Vielen Eltern ist nicht bewusst, dass diese Kämpfe Raum greifen werden. Das geht auch aus solchen Presseerklärungen nicht hervor, obwohl klar ist, dass jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann. Der Punkt ist: Übernimmt die Gesellschaft Verantwortung für ihre behinderten Mitglieder? Meines Erachtens ist das alternativlos. Denn eine Gesellschaft ohne Menschen mit Behinderung, das ist ähnlich wie eine Gesellschaft ohne Kranke. Woran würde der Gesunde denn dann merken, dass er gesund ist?
Statt auf den ersten Arbeitsmarkt führt der Weg vieler Menschen in Behindertenwerkstätten, die oft keine Inklusion ermöglichen. Steht das nicht auch der Selbstbestimmung im Weg?
Es ist eine Unterstellung, dass wir alle nur glücklich sind, wenn wir Arbeit haben. Aber sinnstiftend ist sie schon. Es ist jedoch ausgesprochen ärgerlich, dass die Träger der Behindertenwerkstätten völlig intransparent wirtschaften, während dort für einen Minilohn gearbeitet wird. Die Träger sind oftmals Vereine, die aber keine neuen Mitglieder aufnehmen, nicht einmal Eltern der dort arbeitenden Menschen. Wenn man sich anschaut, wer in solchen Vereinen im Vorstand sitzt und somit wirtschaftlich profitiert, ist man überrascht, wie viele ausgeschiedene Politfunktionäre man da plötzlich findet. Die haben eine auskömmliche Existenz nach ihrer Karriere. Das ist höchst ungerecht. Und es gibt leider keine Gewerkschaft, die sich für die Rechte von Menschen in Werkstätten einsetzt.
Es gibt Stimmen, die Behindertenwerkstätten ganz abschaffen wollen.
Das ist eine radikale Forderung. Ich halte sie zwar grundsätzlich für richtig, bin da als Vater aber noch zurückhaltend. Das würde ich erst machen, wenn wir wirklich für alle eine Alternative haben. Gleichzeitig frage ich mich, warum wir überhaupt einen Extraarbeitsmarkt für Menschen mit Behinderung brauchen? Würde es das Klima in vielen Betrieben nicht erheblich verbessern, wenn wir unterschiedliche Arbeitsgeschwindigkeiten erleben würden? Würde es die Inklusion nicht insgesamt befruchten, bei der Arbeit mit Menschen mit Down-Syndrom in Kontakt zu kommen? Hoffnung macht mir in dieser Hinsicht der Arbeitskräftemangel. Das könnte Arbeitgeber dazu ermutigen, Menschen mit Behinderung einzustellen.
Aber ist das realistisch?
Wann haben Sie das letzte Mal einen Menschen mit Down-Syndrom gesehen? Die meisten müssen bei dieser Frage überlegen. Wir haben vielleicht 40.000 Menschen mit Down-Syndrom in Deutschland, so viele sind das nicht. Rechnen Sie das mal hoch auf 80 Millionen. Diese Menschen besser in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wäre nicht mit exorbitant hohen Kosten verbunden. Die Last wäre zu tragen.
Mit Wolf-Dietrich Trenner sprach Marc Dimpfel
Quelle: ntv.de