Erfahrungen als Jugendlicher Pelicots Anwältin erklärt seine Perversität
27.11.2024, 19:47 Uhr Artikel anhören
Dominique Pelicots Anwältin Zavarro (r) und sein Opfer, Gisèle Pelicot, im Gerichtsgebäude.
(Foto: picture alliance/dpa/AFP)
Der geständige Serienvergewaltiger Pelicot fordert für sich selbst eine harte Strafe. Seine Strafverteidigerin schildert in ihrem Plädoyer, wie er zu dem Mann wurde, der seine Ehefrau betäubte und sie anderen Männern überließ. Die Anwältin verweist auf frühe Erfahrungen mit sexueller Gewalt.
Im Vergewaltigungsprozess in Avignon hat die Anwältin des geständigen Serienvergewaltigers Dominique Pelicot die Wurzeln seines perversen Verhaltens geschildert. "Man wird nicht pervers geboren, man entwickelt sich dazu", so zitierte Béatrice Zavarro, die Anwältin des Hauptangeklagten, ihren Mandanten. Sie verwies auf den tyrannischen Vater von Dominique Pelicot und auf dessen frühe Erfahrungen mit sexueller Gewalt, die er geschildert hatte.
Nach eigener Aussage war er als Jugendlicher im Krankenhaus von einem Pfleger vergewaltigt worden und als Lehrling auf einer Baustelle gezwungen worden, sich an der Gruppenvergewaltigung einer jungen Frau zu beteiligen. "Ist Dominique Pelicot nicht sein eigener schlimmster Feind?", fragte Zavarro in ihrem etwa einstündigen Plädoyer, das sie mit ruhiger Stimme vortrug.
Sie sprach sich vorsichtig dafür aus, "sich etwas von den Forderungen der Anklage wegzubewegen", die die Höchststrafe von 20 Jahren Haft gefordert hatte. Während des Prozesses hatte der Hauptangeklagte selber gesagt, dass er eine harte Strafe verdient hat. Dominique Pelicot ist der einzige unter den 51 Angeklagten, der die Taten von Anfang an gestanden hatte.
"Weigerung der Frau war Auslöser"
Seine Anwältin verwies auch darauf, dass er "ein guter Vater und Großvater" gewesen sei und seine Frau "mehr als alles andere geliebt" habe. Der Umzug des Paares in den Süden und ihre Weigerung, seine sexuellen Fantasien mit ihm auszuleben, seien Auslöser für "seine kriminellen Pläne" gewesen.
Zuvor hatte die Staatsanwaltschaft ihre Plädoyers abgeschlossen und Haftstrafen zwischen vier und 20 Jahren für die 51 Angeklagten gefordert. Das Urteil solle deutlich machen, "dass es keine normale, versehentliche oder unfreiwillige Vergewaltigung gibt", betonte die Staatsanwältin Laure Chabaud. Sie wies die Argumentation vieler Angeklagter zurück, sie hätten "nicht die Absicht gehabt", Pelicots Frau Gisèle zu vergewaltigen. Dies sei nur ein Versuch, "sich ihrer Verantwortung zu entziehen", betonte Chabaud. Insgesamt forderte die Staatsanwaltschaft höhere Strafen als üblicherweise für Vergewaltigungen verhängt werden. 2022 lag die durchschnittliche Haftstrafe für Vergewaltiger in Frankreich bei 11,1 Jahren.
Die 50 Mitangeklagten hatten alle Pelicots Einladung angenommen, seine damalige Ehefrau Gisèle im Zustand der Bewusstlosigkeit zu vergewaltigen. Er hatte ihr zehn Jahre lang immer wieder Schlafmittel verabreicht, um sich allein oder gemeinsam mit Internetbekanntschaften an ihr zu vergehen. Für einen einzigen Angeklagten forderte die Staatsanwaltschaft lediglich vier Jahre Haft wegen sexueller Nötigung. Wegen einer Erektionsstörung war es nicht zu einer Vergewaltigung gekommen. Für die übrigen Angeklagten forderte sie zwischen zehn und 18 Jahre Haft.
Vier Männer kamen sechs Mal
Bei mehreren Angeklagten waren zudem kinderpornografische Bilder gefunden worden. Ein anderer war bereits wegen der Vergewaltigung seiner Tochter verurteilt gewesen. Mehrere der Angeklagten kamen mehrfach zu Pelicot, um dessen bewusstlose Frau zu vergewaltigen. Vier von ihnen kamen sechs Mal. Einer der Angeklagten benutzte kein Kondom, obwohl er HIV-positiv war. Ein anderer kopierte Dominique Pelicots Vorgehen und vergewaltigte zusammen mit ihm seine eigene Ehefrau. Wieder ein anderer hatte argumentiert, dass die Anwesenheit des Ehemanns ausreiche, um das Einverständnis der Frau anzunehmen.
Nach dem Plädoyer der Pelicot-Anwältin kommen die Anwälte der übrigen Angeklagten an die Reihe. Viele von ihnen dürften argumentieren, dass sich ihre Mandanten nicht bewusst waren, dass es sich um eine Vergewaltigung handelte. So hatten 33 der Angeklagten erklärt, nicht zurechnungsfähig gewesen zu sein. Staatsanwältin Chabaud hatte dies als "medizinischen und juristischen Unsinn" bezeichnet. "Im Jahr 2024 kann niemand mehr sagen: 'Sie hat nichts gesagt, also war sie einverstanden'", betonte sie. Das Urteil in dem Prozess soll spätestens am 20. Dezember fallen.
Der Prozess hat in Frankreich Forderungen nach einer Änderung des Sexualstrafrechts neu aufleben lassen. Bislang steht dort im Gesetz, dass ein Täter Gewalt oder Zwang angewendet oder angedroht haben muss, um ihn wegen Vergewaltigung zu verurteilen. Von einer fehlenden Zustimmung des Opfers ist nicht die Rede. Ein parteiübergreifender Gesetzesentwurf soll demnächst eingebracht werden, um dies zu ändern.
Quelle: ntv.de, mau/AFP