Fotograf liefert verstörende Bilder Scharfschützen werden unsichtbar
29.01.2015, 14:37 Uhr
Der Scharfschütze verbirgt sich auf der linken Bildhälfte, hinter einem kleinen Baum mit gebogenem Stamm unter Moos.
(Foto: simonmenner.com)
Auf den ersten Blick wirken die Fotos von Simon Menner wie ästhetisch ausgefeilte Landschaftsbilder. Doch inmitten dieser Baumgruppen, Geröllberge und Moosteppiche verbergen sich Scharfschützen, die auf den Betrachter zielen.
Was glauben wir zu sehen, was sehen wir, was ist wirklich da? Auf den Fotografien von Simon Menner sind die Antworten auf diese Fragen nicht immer einfach. Schon mehrfach hat er sich in seinen Bildern mit dem Aspekt des Unsichtbaren auseinandergesetzt. In seinem aktuellen Projekt "Camouflage" treibt er das Spiel auf die Spitze. "Wenn wir glauben zu wissen, dass es in der Gesellschaft Attentätergruppen geben könnte, aber zugleich wissen, dass sie unsichtbar sind, dann können wir uns dem gar nicht mehr erwehren."
Auf den ersten Blick wirken die Camouflage-Fotos wie Landschaftsaufnahmen, idyllische Blicke in die unberührte Natur. Doch in jedem der Bilder verbirgt sich ein Scharfschütze. Menner hätte es sich einfach machen und die Existenz der Sniper lediglich behaupten können. Denn der Betrachter kann die verborgenen Tötungsexperten selbst mit großer Aufmerksamkeit kaum entdecken.
Doch für Menner gab es gute Gründe, in zwei aufwändigen Shootings auf Truppenübungsplätzen der Bundeswehr zahlreiche Fotos mit tatsächlich vorhandenen Scharfschützen zu machen: "Es funktioniert erst so richtig, wenn das Gegenüber zu wissen glaubt, dass es diese Bedrohung gibt. Dann kann der Scharfschütze hinter jedem Baum sein."
Die Bundeswehr hatte sich der Idee gegenüber, die Kunst der Tarnung zu fotografieren, überraschend aufgeschlossen gezeigt. So konnte der Fotograf in Schleswig-Holstein und in den bayerischen Alpen die bemerkenswerten Fähigkeiten der Soldaten dokumentieren, sich beinahe unsichtbar in ihre Umgebung einzufügen. Die insgesamt fünf Sniper mussten sich dazu an beliebig ausgewählten Orten verstecken. "Ich habe mich daran orientiert, was ein schönes Foto sein könnte und dann gesagt: Jetzt hier", erzählt Menner.
Innerhalb von Sekunden weg
Während die Soldaten ans Werk gingen, stand der 37-jährige Wahlberliner mit dem Begleitoffizier an der Kamera und wartete auf das Ergebnis. Manchmal war er für einen Moment abgelenkt. "Irgendwann rief der Soldat: Ich bin jetzt fertig. Dann guckten alle schweigend, und es hieß: Der war links neben dem Baum, nein, der war weiter rechts." In weniger als fünf Minuten waren die hochtrainierten Elitesoldaten vollkommen mit ihrer Umgebung verschmolzen. "Man sah sie nicht mehr. Es sei denn, man blieb die ganze Zeit über extrem aufmerksam und versuchte das zu verfolgen, sonst verschwanden sie einfach."
Menner wählte einen Abstand von etwa zehn, zwanzig Metern zur Kamera. Die Soldaten hatten dabei den Befehl, auf den Fotografen und seine Kamera zu zielen. Im Ernstfall würde es den Präzisionsschützen reichen, wenn sie sich am Horizont des Bildes positionieren könnten. Schon in 500 Metern Entfernung und erst recht in einem Kilometer sind die Sniper überhaupt nicht mehr zu finden. "Dann ist man komplett hilflos. Man weiß nicht mehr, aus welcher Richtung die Bedrohung kommen könnte, und dann ist sie überall. Mir war immer bewusst, das ist eine Spielerei, aber in anderen Teilen der Welt ist das nicht so. Das ist ja der Mechanismus des Scharfschützen, er ist das unsichtbare Gegenüber, das einem an den Kragen will."
Der Fotograf beobachtete, mit welch geringen Mitteln die Schützen wie durch Zauberei verschwanden. Meist machten sich die Soldaten ein bisschen Gestrüpp oder Zweige an den Helm. Sie verschwinden aber schließlich meist unter einem Tarnnetz. "Die wissen einfach, wie es geht. Das sieht man nicht." Selbst Wanderer, die Menners Fotosession beobachten, blieben vollkommen ahnungslos darüber, was sich noch in der Landschaft verbarg.
Immer wieder musste Menner die Scharfschützen bremsen. "Hätten sie noch fünf Minuten mehr gehabt, hätten sie in gar keinem Bild auch nur die geringste Spur von ihnen entdecken können." So erkennt der Betrachter auf manchen Bildern noch einen Gewehrlauf oder ein Stück Tarnnetz. Menner sieht darin ein "kleines Entgegenkommen an den Betrachter, die Realität ist noch viel verstörender".
Für Menner geht es bei dem Camouflage-Projekt um weit mehr als nur um die überragende Fähigkeit von Soldaten, sich vor dem Feind de facto unsichtbar zu machen. Seiner Ansicht nach geht es in vielen Konflikten genau darum: Der Gegner soll wissen, dass er die Bedrohung nicht sehen kann. Daraus entsteht psychische Anspannung, tiefe Verunsicherung. Ein wenig von dem wird fühlbar, wenn man in Menners Bilder eintaucht.
Quelle: ntv.de