Botox unter der Burka Schönheitskliniken boomen in Kabul
12.10.2025, 11:25 Uhr Artikel anhören
Botox oder Kinnstraffung - alles ist möglich, auch in Kabul.
(Foto: AFP)
Körperliche Merkmale zu verändern, ist nach Auffassung der Taliban gemäß dem islamischen Recht verboten. Doch in Kabul sind Schönheitsoperationen möglich und sogar üblich. Wie ist das möglich?
Von der Decke hängen Kronleuchter, die Klienten warten auf imposanten Samtsofas: Wer eine der rund 20 Schönheitskliniken in Kabul besucht, betritt eine andere Welt. Die strengen Regeln der islamistischen Taliban scheinen hier nicht zu gelten. Stattdessen zählt der Wunsch von Frauen nach straffer Haut oder die Unzufriedenheit von Männern mit ihrer Glatze.
Für Silsila Hamidi ist es schon die zweite Schönheitsoperation - obwohl sie erst 25 Jahre alt ist. Ihre Haut leide unter den "zahlreichen Belastungen", denen afghanische Frauen ausgesetzt sind, sagt sie. Vor zwei Jahren ließ Hamidi sich bereits Kinn und Wangen straffen, jetzt lässt sie Augenpartie und Stirn liften, die nach ihren Worten "anfingen, schlaff zu werden".
"Auch wenn andere uns nicht sehen, wir selbst sehen uns: Sich im Spiegel schön zu finden, verleiht Energie", sagt die 25-Jährige, bevor sie sich unters Messer legt. Hamidi ist selbst Ärztin, ihr Zahnmedizinstudium schloss sie gerade noch rechtzeitig ab, bevor die Taliban Frauen von den Hochschulen verbannten. Als Ärztin praktiziert sie aber nicht mehr.
Verboten und dann doch erlaubt?
Seit die Taliban 2021 an die Macht zurückkehrten, dürfen Frauen viele Berufe nicht mehr ausüben, nicht ohne männliche Begleitung reisen, auch Training im Fitnessstudio oder selbst ein Spaziergang im Park sind nicht mehr erlaubt. Friseur- und Schönheitssalons für Frauen mussten schließen. "Hätten sie geöffnet, wäre unsere Haut nicht in diesem Zustand und wir müssten uns nicht operieren lassen", kritisiert Hamidi.
Paradoxerweise florieren die Schönheitskliniken in Kabul ausgerechnet, seit die Islamisten wieder das Sagen haben. Ausländische Ärzte, vor allem aus der Türkei, reisen regelmäßig an, um Afghanen auszubilden. Die angehenden afghanischen Schönheitsmediziner wiederum machen Praktika in Istanbul. Die Geräte und das Material kommen aus Asien und Europa ins Land - eine Ausstattung, von der Ärzte in afghanischen Krankenhäusern nur träumen können.
Körperliche Merkmale zu verändern, ist nach Auffassung der Taliban gemäß dem islamischen Recht verboten. Aber warum sind Botox, Lifting und Haartransplantationen dann im Gegensatz zu Kosmetikbehandlungen erlaubt? Die Taliban-Behörden ließen mehrfache Anfragen der Nachrichtenagentur AFP dazu unbeantwortet.
Vertreter der Branche sagen, ihre Angebote würden als medizinische Eingriffe betrachtet. Die Regierung mische sich nicht in ihre Arbeit ein, die Sittenpolizei kontrolliere lediglich, ob in den Kliniken die Geschlechtertrennung eingehalten wird. Unter den Kunden seien sogar Taliban, tuscheln Klinikmitarbeiter.
Für die meisten unerschwinglich
"Hier gilt das Fehlen von Haaren oder Bart als Zeichen von Schwäche", erklärt Sajed Sadran, der stellvertretende Leiter der Klinik Negin Asia. Seit für Männer ein mindestens faustlanger Bart Pflicht sei, gebe es einen Boom bei den Transplantationen, sagt Bilal Khan von der EuroAsia-Klinik, die bald einen zweiten Standort in Kabul eröffnen will.
In der zur Klinik umgebauten vierstöckigen Villa würden die gleichen Methoden "ohne Risiko" wie im Ausland angewendet, versichert der Dermatologe Abdul Nassim Sadiki und nennt die Preise: Umgerechnet 37 bis 75 Euro für eine Botox-Behandlung, 225 bis 437 Euro für eine Haartransplantation. Ein Schnäppchen für Mohammed Shoaib Yarzada, einen in London lebenden afghanischen Gastronomen. Der 39-Jährige nutzt den ersten Besuch in seiner Heimat seit 14 Jahren, um sein schütteres Haar auffüllen zu lassen. In England müsste er Tausende Pfund dafür bezahlen.
Für die allermeisten der 48 Millionen Afghanen sind Schönheits-OPs dagegen unerschwinglich. Die Hälfte von ihnen lebt in Armut, zehn Millionen hungern, ein Drittel hat keinen Zugang zu medizinischer Versorgung.
"Manche investieren das Geld, das sie eigentlich für Essen bräuchten, lieber in ihre Schönheit", sagt Lucky Khaan, Co-Direktorin von Negin Asia, die täglich Dutzende neuer Patienten registriert. Auch in Afghanistan hätten Beauty-Influencer großen Einfluss, berichtet die Chirurgin. "Viele kommen ohne echte Probleme, wollen sich aber operieren lassen, weil sie die Trends auf Instagram gesehen haben."
Quelle: ntv.de, Claire Gounon, AFP