Panorama

Long-Covid-Expertin bei ntv "Wir können diesen Menschen helfen"

Jördis Frommhold ist Chefärztin an der Median-Reha-Klinik in Heiligendamm und gilt als führende Expertin für die Behandlung von Long Covid.

Jördis Frommhold ist Chefärztin an der Median-Reha-Klinik in Heiligendamm und gilt als führende Expertin für die Behandlung von Long Covid.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Etwa jeder zehnte Corona-Patient leidet an Long Covid. Die Omikron-Welle könnte daraus ein Riesenproblem machen: Wenn so viele Menschen berufsunfähig werden, "haben wir irgendwann ein ganz anderes volkswirtschaftliches Problem", sagt Long-Covid-Ärztin Jördis Frommhold.

ntv: Die Infektionszahlen sind in der fünften Welle so hoch wie in keiner zuvor. Was für eine Bedeutung hat das für die Langzeitfolgen durch Long Covid?

Jördis Frommhold: Wir können zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht abschätzen, wie viele Patienten weiterhin von Langzeitfolgen betroffen sind, weil sich die Long-Covid-Symptome ja erst mit einer gewissen Latenz von ein bis drei Monaten zeigen. Das heißt, im Frühling, Anfang Sommer werden wir wissen, welche Auswirkungen die fünfte Welle auf die Spätfolgen haben wird.

Wie viel Prozent der Infizierten betrifft Long Covid, und was hatten diese Menschen für einen Verlauf?

Long Covid trifft häufig die Patienten, die nur milde bis moderate Akutverläufe hatten. Studien gehen von 10 bis 40 Prozent der Infizierten aus, die von Spätfolgen betroffen sind. Wir hoffen, dass es nicht wirklich so hohe Zahlen sind, sondern dass wir eher so von 10 bis 15 Prozent der Infizierten ausgehen, die weiterhin Spätfolgen haben und denen dadurch auch Arbeitsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit drohen.

Was weiß man darüber, wann Long Covid genau bei Patienten auftritt? Woher kommt das letztendlich?

Da gibt es zwei Hypothesen, die die Studien im Moment verfolgen. Es ist ähnlich wie nach anderen viralen Infektionen auch, dass es postvirale Symptome geben kann. Die eine Überlegung ist, dass es sich um eine Autoimmunerkrankung handelt, also dass sich nicht nur günstige Antikörper während der Infektion bilden, sondern auch fehlgeleitete Antikörper, sogenannte Auto-Antikörper, die dann weiterhin im Körper schwelen und an verschiedensten Stellen Entzündungsprozesse auslösen können. Oder aber, so die andere Hypothese, dass ein geringer Anteil des Virus im Körper persistiert und sozusagen chronisch unser Entzündungssystem anfeuert. Egal, welche Möglichkeit richtig ist, es ist letztendlich immer ein chronischer Entzündungszustand, der sich zeigt und der dann auch diese sehr vielfältigen Symptome von Long Covid hervorrufen kann.

Wie wichtig ist das Impfen, um Long Covid zu verhindern?

Das Impfen ist ganz, ganz wichtig, um Spätfolgen zu verhindern. Das ist in der ganzen Diskussion im Moment ein Punkt, der häufig noch hinten überfällt. Es gibt gute Studien mittlerweile. Eine aus Israel, die jetzt gerade veröffentlicht wurde, zeigt, dass es bei Durchbruchsinfektionen bei geimpften Patienten, die eine akute Infektion erleiden, deutlich geringer zu Long Covid und Spätfolgen kommt. Das Risiko ist um fast zwei Drittel geringer.

Wie sind mittlerweile die Behandlungsmöglichkeiten bei Long Covid? Wie groß ist die Chance auf Heilung?

Im Moment ist Long Covid eine chronische, nicht heilbare Erkrankung, bei der wir aber symptomorientiert arbeiten und den Patienten durchaus helfen können. Es gibt noch nicht das eine Medikament, es gibt noch nicht die eine Therapieform, die wir anwenden, sondern wir müssen gerade im Bereich der Rehabilitation, sei es im stationären, aber auch im ambulanten Bereich, dem Patienten beibringen, mit Long Covid umzugehen.

Bedeutet das auch, dass die Patienten nie wieder ihren alten Leistungsstand erreichen können?

Im schlimmsten Fall kann das sein, aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und unser größtes Anliegen ist natürlich, die Patienten wieder in ihr altes Leben einzugliedern. Was wir aber schon merken, ist, dass das nicht im Hauruck-Verfahren funktioniert, sondern die Patienten lernen müssen, Geduld aufzubringen. Das heißt nicht, nur abzuwarten und gar nichts zu tun, sondern die Strategien anzuwenden, die wir ihnen beibringen, ihr Leben neu zu gestalten und sich dann stetig wieder an ihr altes Niveau anzugleichen. Aber es wird nicht so funktionieren: Ich mache drei Wochen Reha und danach bin ich so wie früher. Den Zahn müssen wir leider ziehen. Es ist wirklich, wie bei anderen chronischen Erkrankungen auch, ein stetiger Prozess. Und wenn man sich an neue Lebensumstände hält und auf diese Therapiestrategien einlässt, kann man mit Long Covid ein gutes Leben führen. Aber wenn man natürlich in seine alten Muster zurückfällt, kann es sein, dass die Lebensqualität deutlich schlechter ist als vorher.

Haben Sie den Eindruck, dass Long Covid von der Politik immer noch nicht ernst genug genommen wird?

Long Covid steht sicherlich immer noch so ein bisschen im Schatten, aber man muss ganz klar sagen, auch die Politik bewegt sich gerade. Wir haben die Versorgung und Erforschung von Long Covid im Koalitionsvertrag. Es muss sich aber sicherlich noch mehr tun. Long-Covid-Patienten sind Menschen, die eigentlich in der Blüte ihres Lebens stehen, die die Leistungsträger unserer Gesellschaft sind. Wenn die auf Dauer arbeitsunfähig oder erwerbsunfähig bleiben, haben wir irgendwann ein ganz anderes volkswirtschaftliches und ökonomisches Problem. Und wichtig ist dabei aber: Wir können diesen Menschen helfen. Wir können es hinkriegen, dass wir sie begleiten und sie auch wieder in ein Arbeitsleben integrieren. Das muss man aber tun.

Mit Jördis Frommhold sprach Nele Balgo

Quelle: ntv.de

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