Politik

Strategisch unter Druck Das falsche Spiel mit der Brandmauer

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Die Abgrenzung zur AfD gerät strategisch und durch die Macht des Fatischen unter Druck.

Die Abgrenzung zur AfD gerät strategisch und durch die Macht des Fatischen unter Druck.

(Foto: picture alliance / Eibner-Pressefoto)

Die Abgrenzung von CDU/CSU zur AfD verkommt zusehends zum wahllos gebrauchten Kampfbegriff. An einer Debatte über Sinn und Zukunft der Brandmauer führt trotzdem auf Sicht nichts vorbei.

Je länger der jüngste Aufguss der Brandmauer-Debatte anhält, umso deutlicher wird, wer alles diesen Begriff braucht, missbraucht und schließlich verbraucht. Ohne "Brandmauer", so scheint es, kommen weder CDU/CSU strategisch klar - noch SPD oder Grüne. Selbst die AfD braucht die martialische Abgrenzung, um ihre beiden Flügel halbwegs zusammenzuhalten. Wer sie heute plötzlich niederrisse, würde die Union so tief spalten wie die AfD auch. SPD und Grüne (und die Linke) würde es kurzfristig zwar mächtig mobilisieren, aber bald jeder Mehrheits- und Machtperspektive berauben.

Weil neben der objektiv großen Steuerungswirkung so viel destruktives Potenzial in der Brandmauer steckt, ist der Umgang mit ihr so schwierig und so heikel. Abzulesen ist das auch an der enormen Nervosität, die in der CDU/CSU zwei "has beens" mit ein paar vagen, vorsichtigen Worten des Zweifels am ewiglichen Bestand der Vollabgrenzung ausgelöst haben.

Ex-Generalsekretär Peter Tauber und Ex-Hoffnungsträger Karl-Theodor zu Guttenberg haben keiner Koalition oder Kooperation auf Bundes- und Landesebene das Wort geredet. Sie haben lediglich die Frage aufgeworfen, was wird, wenn es nichts wird mit der herkömmlichen Methode, die da lautet: "Die Politik" adressiert durch gutes Regierungshandeln halbwegs erfolgreich den Prostest der Enttäuschten und Besorgten – und dann lässt der Protest auch wieder nach. Derzeit aber geht die Zahl der neu Asyl-Suchenden steil nach unten, doch bislang sinken die Umfragewerte der AfD nicht.

Es braucht einen Plan B

Zum einen gerät die Brandmauer also strategisch unter Druck: In dem Raum, den sie für CDU/CSU vorgibt, vollzieht sich Politik, die nicht lange ohne Wirkung bleiben darf, soll die Mauer halten. Zum anderen gerät die Brandmauer besonders in Ostdeutschland durch die Macht des Faktischen unter Druck: In Stadtparlamenten, Kreistagen, Landratsämtern gibt es naturgemäß vielfältige Sachzwänge und weniger Berührungsängste oder "Kontaktschuld"-Vorwürfe. Deshalb findet die AfD einen Weg in den politischen Alltag. Das kleinteilige, häufige "Muss ja" oder "Geht doch" tut sein Werk.

In einer so komplizierten Lage ist guter Rat teuer, aber eins ist klar: Sich mit absolut gesetzten Maßstäben oder reinem Schwarz/Weiß der Sache zu nähern, wird nicht mehr ewig funktionieren. Es braucht jetzt mindestens einen Plan B für den Moment, in dem das nachhaltige Scheitern von Plan A zu konstatieren wäre – man also der AfD selbst mit bestmöglichen Regierungshandeln dieser Koalition nicht beikommt.

Wenn man sich auf diesen Befund einigen könnte, wäre viel gewonnen, weil einige Schlussfolgerungen zu ziehen wären:

  • Die "linke" Hälfte von CDU und CSU müsste aufhören, mit der Spaltung der Partei schon für den Fall zu drohen, dass die Debatte um Konsequenzen aus einer dann gescheiterten "konventionellen" Antwort auf die AfD beginnt.
  • SPD und Grüne müssten aufhören, den politischen Gestaltungsspielraum von CDU/CSU bei Sachfragen immerfort minimieren zu wollen. Wenn nach einem handfesten Ruck in Richtung Rechts bei der letzten Bundestagswahl die Regierungspolitik nicht sichtbar entsprechend nachzusteuern beginnt, wird die Brandmauer ihrem Ruf bei den Kritikern leider gerecht: "Eiserner Käfig" zu sein. Das kann nicht gutgehen.
  • Ebenso müssten Grüne, Linke und Teile der SPD aufhören, bei jeder kleinsten (vermeintlichen) Grenzüberschreitung in Wortwahl oder lokalem Handeln das "Ende der Brandmauer" zu beschreien. Schon jetzt ist diese Warnung in einem Maß inflationiert, das lächerlich und gefährlich zugleich ist.

Gewiss, Grenzüberschreitungen durch CDU/CSU sind relevant und machtvoll. Als CDU/CSU nur einmal bereit waren, mit der AfD im Bundestag aktiv zu stimmen, fingen die Verhältnisse an zu tanzen. Das eigentlich überflüssige Manöver von Friedrich Merz vor der Bundestagswahl rettete der Linkspartei den verloren geglaubten Wiedereinzug in den Bundestag.

Lieber die AfD spalten?

Ist Verzicht oder ein maßvollerer Umgang mit dem "Brandmauer"-Alarm also de facto zu viel verlangt von allen links der Mitte? Vielleicht, aber was soll die Alternative sein? Wenn die CDU als letzte verbliebene Volkspartei sich spaltet, ist es um das parlamentarische System Deutschlands, wie wir es kennen, geschehen. Dann wäre es übrigens auch um die SPD geschehen, weil auch ihr jedwede Machtperspektive abhanden käme.

In den Reihen von CDU und CSU hingegen wird sich niemand auf Dauer vor diesen Fragen drücken können: Wie kann die Union es (strategisch) verhindern, sich von der AfD mithilfe der "Brandmauer"-Diskussion langsam, aber sicher spalten zu lassen? Und, schwieriger: Wenn es kein vertretbares Gegenmittel gibt, soll die Union dann nicht lieber versuchen, ihrerseits die AfD zuerst zu spalten?

Funktionieren könnte das, denn die AfD ist weitaus weniger stabil und kohärent, als sie wirkt. In der Debatte ums Bürgergeld schweigt sie, weil sie außer der Wut auf die vermeintlichen Schmarotzer ohne deutschen Pass nichts zu mobilisieren hat – und in Ostdeutschland nicht auf die drastischen Einschnitte beim Arbeitslosengeld aufmerksam machen will, die sie im letzten Wahlprogramm forderte.

Bei der Wehrpflicht ist die Partei in einen Pro-Wehrpflicht-Westteil und den Kreml-freundlichen Ostteil gespalten. Zuletzt schien sich der rechtsextreme (Ost-)Teil um Björn Höcke durchzusetzen. Was würde passieren, wenn CDU/CSU Kooperation anbietet und dafür die Abspaltung der großen rechtsextremen Teile fordert?

Gut möglich, dass die Union schneller auf solche Fragen Antwort finden muss, als ihr lieb ist. Eine Brandmauer-Debatte in Alles-oder-Nichts oder reinem Schwarz/Weiß – so, wie sie gerade geführt wird – wäre dann allerdings Zeitverschwendung.

Quelle: ntv.de

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