Politik

Neue Kommunal-Taktik Wie die AfD die Brandmauer einstürzen lassen will

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Hannes Loth ist der erste direkt gewählte Bürgermeister der AfD - in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt).

Hannes Loth ist der erste direkt gewählte Bürgermeister der AfD - in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt).

(Foto: picture alliance/dpa)

In Berlin schult die AfD ihre Kommunalpolitiker bei einem zweitägigen Kongress. Dahinter steckt mehr als nur eine Professionalisierung der eigenen Leute. In den Kommunen soll die Union in Bündnisse gelockt werden.

Die Veranstaltung beginnt mit einem Versprechen. "Keiner soll hier verloren gehen in den großen Räumen des Bundestags", ruft die AfD-Abgeordnete Caroline Bachmann der Menge zu. Die Gefahr ist real, das Paul-Löbe-Haus ist weitläufig und die heutigen Gäste der AfD-Fraktion Neulinge im inneren des Regierungsviertels.

An diesem Freitag und Samstag veranstaltet die Fraktion der AfD hier ihr "1. Kommunalpolitisches Forum". Bis zu 500 Kommunalpolitiker der Partei sollen im Paul-Löbe-Haus lernen, wie sie im Interesse der Partei ihre Arbeit machen. Initiator des Ganzen ist neben Bachmann der Parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Stephan Brandner. "Wir wollen Bund und Kommunen vernetzen", sagt Brandner.

Für die Partei ist dieses Wochenende nach den Plänen von Brandner auch eine notwendige Professionalisierung. Anders als zum Beispiel Union oder SPD haben viele ihrer Kommunalpolitiker wenig bis gar keine Erfahrung. Eine Jugendorganisation wie Jusos oder Junge Union, wo der Nachwuchs das Handwerk lernt, fehlt. "Wir haben gerade in Nordrhein-Westfalen über 1000 neue Mandate dazu gewonnen", sagt Brandner. Denen müsse man nun unter anderem beibringen, wie man Anträge schreibe.

"Wir sehen uns auch im Supermarkt"

Für die Ausbildung ihrer Truppen veranstalten die Bundestagsabgeordneten Seminare zu verschiedenen Themen. Manche könnten genau so auch bei anderen Parteien im Bundestag abgehalten werden, etwa "Wohnungsnot: Die neue soziale Frage" oder "Mobilität: Individualverkehr und ÖPNV". Andere wiederum klingen nach Alternative für Deutschland: "Klimapolitik: Windkraft und Photovoltaik zurückdrängen" oder "Parallelgesellschaften und Problemviertel: Der dänische Weg als Vorbild". Einer der Sprecher fordert auf der Bühne, alle Klimamaßnahmen in den Städten zu beenden und einfach mehr Bäume zu Pflanzen. Er bekam dafür viel Zustimmung.

Lernen sollen die AfD-Kommunalpolitiker auch von ihm: Hannes Loth aus Raguhn-Jeßnitz in Sachsen-Anhalt. Er wurde als Erster deutschlandweit zum hauptamtlichen AfD-Bürgermeister gewählt. Eine Brandmauer gibt es laut ihm in seiner Heimat schon lange nicht mehr. "Wir kennen uns auf kommunaler Ebene aus dem Leben. Wir sehen uns auch im Supermarkt, da ist halt Ausgrenzung schlecht möglich", so Loth. Alle Mitglieder des Stadtrates würden gut zusammenarbeiten, Parteipolitik sei außen vor.

Solche Berichte sind für die AfD auch ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg, die Brandmauer der Union im ganzen Land einzustürzen. Während gemeinsame Abstimmungen oder Mehrheiten für Anträge im Bundestag einen Skandal produzieren, sind sie in manchen Stadträten oder Kreistagen längst Realität. Auch, weil AfD-Mehrheiten hier ein anderes Vorgehen unmöglich machen. Studien zeigen: Hier werden AfD-Kandidaten mit Stimmen der Union in Präsidien gewählt und Anträgen zugestimmt.

Keine Eile bei der Brandmauer

In den Kommunen müsse man die Brandmauer umpusten und nicht einreißen, behauptet einer der Teilnehmer der Veranstaltung in Berlin. Von dort geht es über die Landesebene auf irgendwann auf die Bundesebene - das ist der Traum der AfD. Auf beiden Ebenen sei es noch schwierig, meint Brandner - Betonung auf "noch". Wie es auf kommunaler Ebene laufe, ist für Brandner "die Vorlage" für die nächsten Ebenen. Sein Parteikollege Loth stimmt ihm zu: "Die Kommune ist die Grundfeste."

Doch die Partei hat mit ihrer Taktik keine Eile. Sie spekuliert darauf, dass es die Union zerreißt. Wenn CDU-Chef und Bundeskanzler Friedrich Merz die Brandmauer aufrechterhält, so das Kalkül, desto häufiger müssen die Christdemokraten Koalitionen eingehen, die sie nur zähneknirschend akzeptieren. In Sachsen-Anhalt, dem Bundesland des AfD-Bürgermeisters Loth, wird im kommenden Jahr gewählt. Laut aktuellen Umfragen müssten sich vermutlich alle Parteien im Landtag zusammenschließen, um eine AfD-geführte Regierung zu verhindern.

Das Dilemma: Auch wenn Merz seine Taktik ändern sollte, was er bislang immer klar ablehnte, könnte das seine Partei zerreißen, warnte der Extremismus-Experte Peter R. Neumann im WDR: "Die CDU würde ganz bestimmt von einer solchen Kooperation gespalten werden, vielleicht sogar auseinandergehen." Viele führende Köpfe, beispielsweise der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein Daniel Günther, schließen das kategorisch aus. Doch zur Wahrheit gehört auch: Die Umfragewerte der abgeschotteten AfD steigen immer weiter, laut Forsa liegen sie seit Wochen stabil vor der Union. "Friedrich Merz wird hinter seiner Brandmauer gegrillt", frohlockte Parteichef Tino Chrupalla im Frühstart von RTL und ntv.

Den lautesten Applaus gab es beim Kommunalkongress für ein anderes Versprechen: "Alice Weidel wird Bundeskanzlerin." Auch das dürfte die AfD aber zu spüren bekommen: Je realistischer dieses Ziel scheint, desto härter dürfte der Widerstand werden. Politisch, gesellschaftlich.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen