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Grüne Tondelier erfand Bündnis Die "wahre Marine" steckt hinter Le Pens Niederlage

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Tondelier nennt sich die "wahre Marine aus Hénin-Beaumont".

Tondelier nennt sich die "wahre Marine aus Hénin-Beaumont".

(Foto: picture alliance / abaca)

Nach deutschen Maßstäben sind Frankreichs Grüne eine Splitterpartei. Ihre Chefin Marine Tondelier ist 37 Jahre jung und war bisher nicht sonderlich erfolgreich. Doch die Frau aus dem Wahlkreis von Marine Le Pen schmiedete geistesgegenwärtig das siegreiche Linksbündnis.

"Ich heiße Marine, aber ich bin die wahre Marine aus Hénin-Beaumont - die, die vorher da war", sagt Marine Tondelier bei einer Wahlveranstaltung im Pariser Vorort Montreuil am 17. Juni. Und damit war eigentlich schon alles gesagt: Diese Marine kannte bis vor ein paar Wochen kaum ein Franzose, anders als die Rechtspopulistin Marine Le Pen. Die Anführerin des Rassemblement National kommt eigentlich aus Paris. Ihren Wahlkreis aber hat sie in Hénin-Beaumont. In der verarmten früheren Bergbauregion schmettert Le Pen gerne Bergarbeiterlieder und gibt sich volksnah. Dabei ist sie in einem Schloss groß geworden, das ihr Nazi-Vater Jean-Marie Le Pen einst von einem Bewunderer geerbt hatte. Marine Tondelier dagegen ist in Hénin-Beaumont aufgewachsen - und hat nun Le Pen eine schmerzhafte Niederlage bereitet.

Die 37-Jährige ist Chefin der französischen Grünen, die sich Europe Écologie Les Verts nennen. Bei den Europawahlen war ihre Partei gerade einmal knapp oberhalb der Fünf-Prozent-Marke gelandet. Eine herbe Niederlage auch für Tondelier, die der Partei seit Dezember 2022 vorsteht. 2019 waren es noch mehr als 13 Prozent. Klima- und Umweltschutz stehen auch im Nachbarland gerade nicht ganz oben auf der Agenda. Als aber Präsident Emmanuel Macron am Abend der Europawahlen das Parlament auflöst, reagiert Tondelier geistesgegenwärtig: Sie fordert unter dem Eindruck des Europawahlsieges von Le Pen "eine größtmögliche Versammlung der progressiven Kräfte". Und lädt deren Parteichefs zu Verhandlungen ein.

Ein wenig wedelte da der Schwanz mit dem Hund. Die traditionsreichen Sozialdemokraten der Parti Socialiste und die Linkspopulisten von La France Insoumise haben eine größere Reichweite und stärkeren Zuspruch bei den Wahlen. Dennoch gelingt das Vorhaben: Zusammen mit den Kommunisten bilden die vier Parteien binnen Tagen die "Neue Volksfront" (Nouveau Front Populaire). Der Name geht auf die historische Volksfront zurück, die die linken Parteien in den Vorkriegsjahren erfolgreich gegen den auch in Frankreich virulenten Faschismus gebildet hatten.

"Die Rechtsextremen oder wir"

Die Linke ist in Frankreich tief gespalten. Eine Sollbruchstelle des neuen Linksbündnisses war daher die Frage, wer es anführen würde. Der Parteigründer von La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, gilt seinen Anhängern als charismatischer Anführer. Politischen Mitbewerbern gegenüber tritt der 72-Jährige unversöhnlich auf und verschreckt Wähler mit antisemitischen Äußerungen genauso wie mit seiner strammen Abneigung gegen EU und NATO. Sozialdemokraten und Grüne schlossen daher aus, dass Mélenchon gemeinsamer Spitzenkandidat würde.

Im Fall eines Wahlsiegs ihres Wahlbündnisses werde die Neue Volksfront "einen Konsens finden", um einen Kandidaten für den Posten des Regierungschefs vorzuschlagen. "Wir diskutieren, bis wir eine Lösung haben, die allen Parteien passt", betonte Tondelier vor dem ersten Wahlgang am 30. Juni. Nötig sei eine Persönlichkeit, die die Lage beruhigen könne.

"Entweder werden die Rechtsextremen gewinnen oder wir", sagte Tondelier bei der Vorstellung des Wahlprogramms in Paris, stets im gleichen hellgrünen Blazer gekleidet. Aber nicht im selben: Sie hat zwei davon. "Es besteht zum ersten Mal seit der Vichy-Regierung die Gefahr, dass die extreme Rechte an die Macht kommt", sagte Sozialisten-Chef Olivier Faure mit Blick auf die französische Vichy-Regierung, die mit Nazi-Deutschland kollaboriert hatte.

Tondelier kennt sich aus mit Allianzen gegen Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN). In der Kommunalpolitik von Hénin-Beaumont hatte Tondelier ebenfalls ein Bündnis mit anderen Parteien geschmiedet und angeführt. Der RN ist im Pas-de-Calais übermächtig. Die Tochter eines Homöopathen und einer Zahnärztin berichtet aus dieser Zeit von "Versuchen der Einschüchterung und der Erniedrigung" durch den politischen Gegner. Lehrreich sei das gewesen. Für Tondelier ist es eine politische Maxime geworden, Le Pens Griff nach der Macht zu verhindern, notfalls mit viel Pragmatismus und mit Bündnissen tief ins konservative Lager hinein.

Hauptsache nicht Le Pen

Entsprechend leicht fiel es Grünen und Sozialdemokraten, nach dem ersten Wahlgang in allen Wahlkreisen ohne absolute Mehrheit für einen Kandidaten ihre jeweils drittplatzierten Kandidaten aus dem Rennen zu nehmen. So sollten die Wählerinnen und Wähler im zweiten Wahlgang jeweils einen aussichtsreichen Gegenkandidaten zum Rassemblement National zur Auswahl haben. Macrons Parteienbündnis ging denselben Schritt. Einigen aus dem Lager von La France insoumise und aus Macrons Bündnis Renaissance fiel das ungleich schwerer.

So sagte etwa Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire, der Renaissance angehört, er werde niemals einem Kandidaten Mélenchons die Stimme geben. Der Linkspopulist Mélenchon attackiert die Macron-Regierung seit Jahren scharf. Man steht einander unversöhnlich gegenüber. Als Marine Tondelier nach Le Maire befragt wurde, kamen ihr die Tränen. "Das ist feige und der historischen Tragweite nicht angemessen", sagte sie dem Sender France Inter.

Wie anders die Stimmung am Sonntagabend, als ihr Linksbündnis entgegen aller Erwartungen stärkste Kraft des zweiten Wahlgangs geworden war, Le Pens Bündnis dagegen nur auf Platz drei landete. "Heute Abend hat die soziale Gerechtigkeit gewonnen, heute Abend hat die ökologische Gerechtigkeit gewonnen und heute Abend hat das Volk gewonnen und jetzt geht es erst los." Die seit 1981 höchste Wahlbeteiligung habe belegt, wie wichtig den Menschen in Frankreich die Parlamentswahl gewesen sei, sagte Tondelier. "Das ist ein schöner Sieg der Demokratie, er gehört euch allen."

Möglich, dass Tondelier einem neuen Kabinett angehören wird. Einen Parlamentssitz hat sie nicht ergattert. Die Grünen stellen nach der Wahl nach eigenen Angaben 26 Abgeordnete von insgesamt 577. Hénin-Beaumont ging schon im ersten Wahlgang mit 58 Prozent der Stimmen an Le Pen, die Marine aus Paris.

Quelle: ntv.de, mit dpa und AFP

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