Frankreich muss weiter zittern Macrons zweiter Erzfeind neben Le Pen greift jetzt nach der Macht


Macron stehen harte Wochen bevor.
(Foto: REUTERS)
Frankreichs Präsident Macron bleibt es erspart, mit den Rechtspopulisten von Marine Le Pens Partei RN regieren zu müssen. Doch die Suche nach linken Verbündeten wird schwierig. Macron trifft auch dort auf Gegner. Der erbittertste unter ihnen ist der Linkspopulist Mélenchon, der bereits Forderungen stellt.
Der große Schock ist ausgeblieben: Die Rechtspopulisten von Marine Le Pens Partei Rassemblement National (RN) verpassen bei den Parlamentswahlen in Frankreich die absolute Mehrheit – und zwar bei Weitem. Das linke Bündnis Nouveau Front Populaire (zu deutsch: Neue Volksfront) ist der überraschende Wahlsieger. Es kommt laut Hochrechnungen auf 172 bis 215 der 577 Sitze in der Nationalversammlung. Macrons Lager Ensemble folgt ihm auf den Fersen, mit 150 bis 180 möglichen Abgeordneten. Der RN belegt den dritten Platz mit 120 bis 152 Sitzen.
Aufatmen kann Macron allerdings noch nicht. Sein Ziel, klare Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung zu schaffen, hat er verfehlt. Kein Lager hat die absolute Mehrheit gewonnen. Macron bleiben jetzt nur noch wenige Optionen. Gefallen dürfte ihm keine so wirklich.
Zwar hatte Macron im Wahlkampf stets Le Pen zu seiner persönlichen Staatsfeindin Nummer Eins erklärt. Er ließ sogar Kandidaten aus seinem Lager in der zweiten Wahlrunde auf die Stichwahl verzichten, um die Chancen für andere demokratische Parteien gegen Le Pens Kandidaten zu erhöhen. Doch auch im linken Bündnis stößt Macron auf erbitterte Gegner. Sein Erzfeind dort: Jean-Luc Mélenchon, Gründer der linkspopulistische Partei La France insoumise. Der Alt-Linke ist nicht nur bei Macron unbeliebt, sondern auch unter seinen politischen Verbündeten. Sogar Teile seiner eigenen Partei kritisieren Mélenchon scharf. Im Wahlkampf nannte Macron Le Pens Rechtspopulisten oft in einem Atemzug mit Mélenchons Partei. Beide sollten auf keinen Fall an die Regierung kommen, betonte Macron.
"Neue Volksfront bereit zum Regieren"
Mélenchon verachtet nicht nur die Europäische Union und die NATO. Ihm wird von seinen Kritikern auch vorgeworfen, Vorurteile gegen Juden zu schüren. Das zeigte sich bereits nach den Präsidentschaftswahlen 2022. Damals verprellte Mélenchon sogar Bündnispartner mit seinen antisemitischen Äußerungen.
Jetzt meldete Mélenchon direkt nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse für das Linksbündnis einen Anspruch auf Regierungsbeteiligung an. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte Mélenchon. Zudem forderte er den Rücktritt von Premierminister Gabriel Attal, der kurz darauf sein Amt abgab. Ob Mélenchon selbst es auf Attals Posten abgesehen hat, verrät er noch nicht. Mitglieder des linken Wahlbündnisses sind neben Mélenchons Linkspopulisten auch Grüne, Sozialdemokraten und Kommunisten. Sie sahen im Wahlkampf davon ab, einen gemeinsamen Spitzenkandidaten zu ernennen.
Dass Mélenchon sich nicht für den Posten in Stellung bringen konnte, mag pragmatische Gründe haben. Seine Unbeliebtheit hätte das Linksbündnis dann sprengen können. Auch Macron erteilte einer Zusammenarbeit mit Mélenchon eine klare Absage. Wenn die Neue Volksfront regieren will, muss sie sich vermutlich nach einem gemäßigteren Zugpferd umschauen. Doch auch falls ein Grüner oder ein Sozialdemokrat Premierminister werden sollte: Mélenchon wird weiter ein Wörtchen mitzureden haben, jedenfalls solange das Bündnis mit den anderen Parteien noch besteht. Das machte er mit seiner Forderung nach der Regierungsbildung noch einmal deutlich. Schließlich ist er Vorsitzender einer der Parteien, die in dem Verbund mit am besten abgeschnitten haben.
Eine Koalition mit den Linken wäre eine Zäsur
Sollte Macron mit dem Linksbündnis eine Regierung bilden, könnte Mélenchon ihm etwa bei seinem proeuropäischen Kurs in die Parade fahren. Zudem stänkerten Linke aus verschiedenen Parteien in der Nationalversammlung immer wieder gegen Macrons Rentenreform, der sie jetzt den Kampf angesagt haben. Und sie lockten Wähler mit dem Versprechen, die Sozialausgaben zu erhöhen. Dies wiederum schließt Macron mit Blick auf die hohe Staatsverschuldung Frankreichs kategorisch aus. Sollte es also eine Zusammenarbeit mit den Linken und Macrons Liberalen geben, wäre sie, gelinde gesagt: lebendig. Ausgeschlossen ist sie deshalb aber nicht.
Um Le Pens Rechtspopulisten das Wasser abzugraben, soll Macron sogar erwogen haben, eine Koalition mit dem Linksbündnis einzugehen. Dies wäre eine Zäsur. Anders als in Deutschland wurde in Frankreich noch nie eine Regierungskoalition gebildet. Deshalb wäre das Modell für eine Zusammenarbeit, das eher in Frage kommt, eine sogenannte Kohabitation. Das bedeutet, dass Präsident und Premierminister unterschiedliche politische Richtungen vertreten. Dies geschah zuletzt 1997, als der Mitte-Rechts-Präsident Jacques Chirac das Parlament auflöste. Er glaubte, seine Mehrheit ausbauen zu können, verlor aber unerwartet gegen eine von der sozialistischen Partei angeführte Linkskoalition. Der Sozialist Lionel Jospin wurde für fünf Jahre Regierungschef.
Der Premierminister ist in einer Kohabitation zuständig für das Tagesgeschäft und innenpolitische Fragen. Dem Präsidenten bliebe nur die Entscheidungsgewalt über die Außen- und Verteidigungspolitik. Macrons politische Handlungsfähigkeit wäre also deutlich beschnitten. Zudem kann er das Patt zwischen sich und dem Premierminister nach den Wahlen 2027 nicht mehr auflösen - die Verfassung verbietet es Macron, noch einmal für die Präsidentschaftswahlen anzutreten.
Frankreich droht der politische Stillstand
Theoretisch wäre auch ein Rücktritt Macrons möglich. Dies schloss er selbst allerdings sogar für den Fall aus, dass der RN die absolute Mehrheit holt. Es gibt kaum einen Grund, weshalb Macron jetzt umschwenken sollte.
Eine letzte Option steht im Raum, die für Frankreich fatale Folgen hätte: Die aktuelle Regierung könnte als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden. Kaum demokratisch legitimiert, könnte diese Regierung keine umfassenden Gesetze oder Reformen mehr auf den Weg bringen. Frankreich droht dann der politische Stillstand. Die Wahl ist schon entschieden, aber Frankreich muss noch zittern.
Quelle: ntv.de