Politik

Obama spendiert Merkel Edel-Dinner Indiens weißer Tiger isst mit

Obama vor dem Restaurant: In seiner Hand das Buch "Der Weiße Tiger".

Obama vor dem Restaurant: In seiner Hand das Buch "Der Weiße Tiger".

(Foto: REUTERS)

US-Präsident Obama würdigt Deutschland als "Schlüssel" für die weltweiten Ziele der USA. Für Kanzlerin Merkel nimmt er sich bei deren Amerikabesuch sogar besonders viel Zeit. Doch ein winziges Detail zeigt, wie die globalen Machtverhältnisse wirklich sind.

Vielleicht hat sich Barack Obama beim Essen mit Angela Merkel einfach gelangweilt und etwas zum Lesen mitgenommen. Vielleicht wollte sich der US-Präsident auch einfach nur mit der Bundeskanzlerin über seine aktuelle Lektüre austauschen. Aber vielleicht erzählt auch das kleine Buch, das Obama nach dem gestrigen Abendessen mit Merkel in den Händen hielt, die ganze Geschichte über die Amerikareise der deutschen Kanzlerin: Für die Europäer reserviert Obama Pomp und Gloria, seine Gedanken aber kreisen um die aufstrebenden Weltmächte von morgen. Zum Beispiel Indien.

Der US-Präsident hatte Kanzlerin Merkel zum Vier-Augen-Gespräch beim Abendessen gebeten.

Der US-Präsident hatte Kanzlerin Merkel zum Vier-Augen-Gespräch beim Abendessen gebeten.

(Foto: AP)


Denn beim Verlassen des exklusiven Restaurants "1789" im Washingtoner Nobelbezirk Georgetown hatte Obama am Montagabend den Roman "Der Weiße Tiger" in der Hand. Ein kleines Detail, eigentlich kaum der Rede wert – wäre das Buch von Aravind Adiga nicht ausgerechnet ein Schlüsselroman für das boomende Indien des 21. Jahrhunderts.

Der indisch-amerikanische Journalist und Autor Adiga ergründet darin die dunkle Realität hinter dem Aufstieg seiner Heimat. Von Bollywood-Romantik in zauberhaftem Safran-Glanz keine Spur: Adiga schildert die Karriere des Dorfjungen Balram Halwai als schmutzigen Überlebenskampf in einer brutalen, ultra-kapitalistischen Ausbeutergesellschaft; in einem Land, in dem Millionen Diener einer kleinen Elite gefügig sind, in dem Arme und Reiche dicht beieinander wohnen und doch Welten voneinander entfernt leben. Es ist nicht das Indien der Demokratie, des Optimismus und der meditativen Gelassenheit, sondern das Indien der Korruption, der Dekadenz und der sozialen Ungerechtigkeit.

Der Autor erhielt für seinen Erstlingsroman 2008 den Man Booker Preis, eine der wichtigsten Auszeichnungen der englischsprachigen Literaturwelt. Viele indische Kritiker gingen daraufhin auf die Barrikaden: Überzogen sei Adigas Buch, unausgewogen, schlicht falsch.

Indien boomt, aber nicht für alle

Indische Tagelöhner verladen Baumaterial.

Indische Tagelöhner verladen Baumaterial.

(Foto: REUTERS)

Christian Wagner von der Stiftung Wissenschaft und Politik findet Adigas Schilderungen dagegen gar nicht so fernab von der Realität. "Der Roman zeichnet einfach ein Bild des Landes, das im starken Gegensatz zum aktuellen Indien-Hype steht." Zwar habe das Land einen enormen Aufstieg erlebt seit seiner wirtschaftlichen Öffnung in den 90er Jahren. "Die Mehrheit der Bevölkerung hat an den Früchten dieses Aufstiegs aber bisher keinen Anteil", sagt Wagner. Für eine - an der Bevölkerungszahl gemessen – kleine Mittelschicht von rund 150 Millionen Indern gehe es bergauf, der Großteil der Menschen lebe aber bis heute von gerade einmal 2 US-Dollar am Tag. Nur die wenigen hervorragend gebildeten Inder seien Dank familiärer Verbindung weltweit ideal für die Globalisierung aufgestellt, sagt Wagner. "Die Frage der sozialen Gerechtigkeit ist nicht gelöst." Fakt aber sei: Trotz aller Schwächen sei Indien einer der wichtigen neuen Spieler auf dem internationalen Parkett.

"Ein bisschen bin ich ja schon enttäuscht von der Buchauswahl des Präsidenten", sagt die indisch-stämmige Politikwissenschaftlerin Jivanta Schöttli vom Südasien-Insititut der Universität Heidelberg. Adigas Buch sei recht einseitig in der Themenauswahl und etwas zu aggressiv in der Sprache. "Indien ist ein Land mit einer Milliarde Menschen und negative Aspekte findet man in jeder Gesellschaft." So menschenverachtend wie der Roman es beschreibe sei das moderne Indien jedenfalls nicht – zumindest nicht überall. Dass sich der US-Präsident aber über Indien auch abseits der Briefings durch seine Experten informiert, findet Schöttli bemerkenswert. "Ich hoffe nur, er liest auch einige der anderen neueren Bücher, die über Indien geschrieben wurden."

Obama würdigt Merkel - und stellt Forderungen

Wie und warum Obama das Buch gestern in den Händen hielt, ist unklar. Ein Gastgeschenk Merkels, das sie von ihrer Indienreise im Mai mitgebracht hat, war es wohl nicht. Von der Delegation, die Merkel nach Washington D.C. begleitet, weiß jedenfalls niemand davon. Auch der Pressestab des Weißen Hauses war auf Anfrage von n-tv.de ratlos. "Ich bezweifle, dass wir Ihnen auf diese Frage überhaupt eine Antwort liefern können", sagte eine Sprecherin.

Merkel und Obama im "1789".

Merkel und Obama im "1789".

(Foto: dpa)

Dass der PR-Profi Obama den Roman jedoch zufällig beim Treffen mit Merkel dabei hatte, ist eher unwahrscheinlich. Obama liebt Symbolik: Schon das Restaurant "1789", in dem sich die beiden Regierungschefs trafen, erinnert an das Jahr, in dem die amerikanische Verfassung in Kraft trat. Dass 200 Jahre später die Mauer in Deutschland fiel, passt wiederum zum Besuch Merkels. "Aufgewachsen im kommunistischen Ostdeutschland, träumte Angela Merkel von Freiheit", hatte Obama gesagt, als er Merkel für die Freiheitsmedaille nominierte. "Und als die Mauer endlich fiel und Deutschland sich wiedervereinigte, durchbrach sie selbst Barrieren und wurde die erste Ostdeutsche und die erste Frau als Kanzlerin Deutschlands." In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" bezeichnete Obama Merkels Biografie nun als "Inspiration für mich persönlich, für meine amerikanischen Mitbürger und für Menschen rund um die Erde".

Dass mit der Vergabe der Freiheitsmedaille an Merkel auch politische Erwartungen geknüpft sind, macht Obama ebenfalls klar. Vor allem bei den militärischen Einsätzen in Libyen und Afghanistan will Washington mehr Engagement aus Berlin. Im diplomatischen Ton fügt Obama im "Tagesspiegel"-Gespräch noch hinzu: Zu allem, was die USA weltweit erreichen wollen, sei "Deutschland der Schlüssel".

Die Lektürewahl des US-Präsidenten lässt nun vermuten, dass er noch ein paar Zweitschlüssel in Arbeit hat.

"Der weiße Tiger" im n-tv-Shop bestellen

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen