Politik

Interview zur Lage in Syrien "Die Hardcore-Islamisten sind auf dem Vormarsch"

Straße in der lange umkämpften Ortschaft Sbeineh südlich von Damaskus mit zerstörter Moschee.

Straße in der lange umkämpften Ortschaft Sbeineh südlich von Damaskus mit zerstörter Moschee.

(Foto: Fred Pleitgen)

Syrien ist ein Schlachtfeld, das auch für Journalisten sehr gefährlich ist. CNN-International-Journalist Frederik Pleitgen war dennoch gerade genau dort. Im Interview mit n-tv.de schildert er Eindrücke von der Gemengelage an der Front. Er ist überzeugt: "Wenn die Syrer nicht wollen, dass die Islamisten noch stärker werden, muss die Opposition mit der Armee gegen die Islamisten kämpfen."

n-tv.de: Sie waren gerade an mehreren Frontabschnitten in Damaskus unterwegs. Wie sieht es in den Vierteln aus, wo Regierungstruppen gegen Rebellen kämpfen?

Frederik Pleitgen: Die Armee und die Rebellen spielen beide ein übles Spiel mit der Bevölkerung. Es gibt Bezirke, die unter Oppositionskontrolle sind und von außen von der Armee umstellt. Die Regierung lässt dort kein Essen und keine Medikamente hinein. Die Rebellen unterhalten aber häufig Tunnel, durch die Waffen und Versorgung für die Kämpfer gebracht werden. Versorgung für die Bevölkerung lassen sie aber nicht hinein, um ihrerseits den Druck auf die Regierung zu erhöhen. Die Leute, die da drin sind, leiden teilweise richtig Hunger. Ich habe zum Beispiel gehört, dass sie versuchen, aus Blättern Suppe zu machen.

Wie sehr beeinträchtigt der Krieg die Gegenden, in denen gerade nicht gekämpft wird?

Fred Pleitgen in kugelsicherer Weste in einem umkämpften Bezirk von Damaskus. Das Foto entstand Ende November.

Fred Pleitgen in kugelsicherer Weste in einem umkämpften Bezirk von Damaskus. Das Foto entstand Ende November.

(Foto: Fred Pleitgen)

Wo die Regierung noch die Kontrolle hat, herrscht wesentlich weniger Chaos, als ich gedacht hätte. In Damaskus funktionieren die Behörden, die Leute gehen einkaufen und so weiter. Es gibt fast nichts, was es nicht gibt, außer Benzin. Allerdings war das möglicherweise die längste Zeit so. In den Außenbezirken von Damaskus geht es heftig zur Sache. Das bisher recht sichere Stadtzentrum kriegt häufiger Mörsergranaten ab als noch vor ein paar Monaten. Die berühmte Ummayyaden-Moschee ist getroffen worden und das früher beliebte Studenten- und Kneipenviertel Bab Tuma wird beschossen. Der Krieg brennt sich immer mehr in die Leben der Leute ein.

Zur Person
  • Frederik Pleitgen, geb. 1976, ist ein deutscher Fernsehjournalist.
  • Für den amerikanischen Sender CNN-International berichtet er als Korrespondent aus Berlin, reist aber regelmäßig für Reportagen nach Syrien und an andere Krisenherde wie Libyen, Ägypten, Pakistan und Irak.
  • Vor dem Wechsel zu CNN-International arbeitete Pleitgen sechs Jahre lang als Reporter und Chef vom Dienst für n-tv in Köln.
  • Seit Mai 2013 ist Pleitgen zudem Moderator des RTL-Nachtjournals.

Sie haben Reportagen gedreht in Stadtteilen, wo sich Scharfschützen gegenseitig belauern, wo es aber teilweise wochenlang nicht vor und nicht zurü ck geht. Was bringt beiden Seiten ein solcher Kleinkrieg um einzelne Straßenzüge?

Wo ich war, im Süden von Damaskus, hat sich kaum etwas bewegt, aber auf beiden Seiten sind sehr viele Menschen ums Leben gekommen. Dort belauern sich die Gegner und versuchen zu verhindern, dass der andere Sandsackbarrieren bauen oder überhaupt irgendetwas machen kann. An vielen Frontabschnitten wird lange ein Stellungskrieg geführt, bis eine Seite in die Offensive geht. Manchmal wird aber auch nur mühsam Haus um Haus zurückerobert. Es geht letztlich darum, der anderen Seite Versorgungswege abzuschneiden oder sie zu zermürben.

Wie sieht die Strategie der syrischen Armee aus?

Die Armee ist mittlerweile viel besser organisiert als sie am Anfang des Krieges war. Sie agiert jetzt auch mehr und nutzt Überraschungsmomente. Was sie im Moment versucht, ist, wichtige strategische Routen freizukriegen. Das sind die Autobahn entlang der libanesischen Grenze, der Damaskus-Homs-Highway, die Strecke Richtung Latakia und die Vororte von Damaskus. Dort sind im Moment die Rebellen eingekesselt. Für die Armee ist der Weg zum Meer besonders wichtig. Auch Aleppo wollen sie nicht ganz verlieren.

Wer hat momentan die Oberhand?

Scharfschütze an der Front in Damaskus.

Scharfschütze an der Front in Damaskus.

(Foto: Fred Pleitgen)

Um Damaskus herum ist die Regierung besser. An anderen Orten, etwa im Osten, verliert sie dagegen immer mehr. Da haben die Rebellen gerade ein wichtiges Ölfeld eingenommen. In Aleppo sind die Rebellen auch recht stark. Wer momentan am meisten gewinnt, sind die Al-Kaida-nahen Hardcore-Islamisten, die zum Teil auch den anderen Rebellen Territorium wegnehmen. Sie haben eine große Schlagkraft, weil sie am meisten Geld kriegen, die meisten Waffen haben und von immer mehr ausländischen Kämpfern unterstützt werden.

Welche Oppositionsgruppen muss man kennen, um das Geschehen in Syrien einigermaßen zu verstehen?

Die Opposition ist in sich gespalten in die eher säkularen Kräfte, die unter dem Begriff Freie Syrische Armee (FSA) erfasst werden. Auf politischer Ebene gibt es die Syrische Nationale Koalition, die von weiten Teilen der FSA und auch vom Westen als Exilregierung anerkannt ist. Auf der anderen Seite gibt es die Islamisten und die sind gerade dabei, die Säkularen abzuhängen. Die Islamisten sind selbst auch wieder in viele verschiedene Fraktionen unterteilt. Die bekanntesten Gruppen sind die Al-Nusra-Front, Islamischer Staat in Irak und Syrien (ISIS) und die gemäßigtere Islamische Front. Die sind alle locker miteinander verbandelt, aber wenn etwas schiefläuft, dann übernimmt da keiner Verantwortung.

Syrien war – anders als etwa Ägypten – nie ein Staat, in dem Islamisten besonders viel zu sagen hatten. Gibt es vonseiten der Bevölkerung Bestrebungen, etwas gegen das Vorrücken der Islamisten zu unternehmen?"

Der Häuserkampf zwischen Armee und Rebellen hinterlässt verwüstetes Niemandsland.

Der Häuserkampf zwischen Armee und Rebellen hinterlässt verwüstetes Niemandsland.

(Foto: Fred Pleitgen)

Viele Leute haben Angst davor, dass die Islamisten in diesem Krieg zu stark werden. Es gibt einige, die sich aus  diesem Grund freiwillig zum Militärdien st gemeldet oder einer der freien Assad-nahen Milizen angeschlossen haben. Die Mitglieder kontrollieren zum Beispiel Checkpoints, teilweise kämpfen sie auch an der Seite der Soldaten. Gerade in Damaskus haben die Leute große Angst vor den Islamisten. Insbesondere die Alawiten und Christen haben keine Lust darauf, dass ihr Leben von Islamisten bestimmt wird.

Hat diese Angst möglicherweise auch dem Präsidenten Baschar al-Assad in die Hände gespielt?

Es gibt viele Leute, die anfangs gegen Assad waren aber mittlerweile wieder hin zu Assad tendieren, weil sie sehen, dass die Oppositionskräfte die Islamisten nicht unter Kontrolle haben. Sie wollen keinen Staat, der die Minderheiten nicht beschützt und sie wollen die Freiheiten, die es gab, nicht verlieren.

Assad allerdings ist immer noch für einen großen Teil der Opposition der ärgste Feind. Der Westen unterstützt diesen Teil der Opposition, auch in Konfrontation zu Russland und Iran. Die Gegner Irans finanzieren die Islamisten. Ist auf dem syrischen Schlachtfeld nicht längst auch ein Stellvertreterkrieg im Gange?

Es sieht zumindest sehr nach aus. Die syrische Regierung hängt an der iranischen Regierung und erhält auch viel Hilfe von den Russen. Es ist auch bestätigt, dass die Hisbollah auf dieser Seite kämpft. Auf der anderen Seite spenden viele Leute aus Saudi-Arabien, auch Katar spielt eine sehr wichtige Rolle. Der Westen unterstützt währenddessen die Freie Syrische Armee. Insofern ist es ein Stellvertreterkrieg. Ich glaube allerdings nicht, dass sich der Westen selbst in einem Stellvertreterkrieg sieht. Das war vielleicht am Anfang so. Mittlerweile sieht er aber, wie zerstritten die Opposition ist. Gerade die USA sehnen sich nach einer politischen Lösung.

Haben die Oppositionsgruppen jenseits der Hardcore-Islamisten denn eine echte Alternative zu Assad anzubieten?

Es ist weit und breit keiner zu sehen, der das Land regieren könnte. Das haben auch viele Syrer erkannt. Die Oppositionsgruppen haben es ja bisher nicht einmal geschafft, sich auf eine Person zu einigen, von der sie geschlossen sagen: Das ist unsere Alternative zu Assad. Immer wenn man sie fragt, sagen sie, Assad ist das schlimmste was es gibt. Aber eine Alternative haben sie nicht zu bieten.

Wie sehen Sie die Zukunft von Syrien?

Ich glaube, dass die politischen Positionen gar nicht so weit auseinander liegen. Die Syrer könnten es selbst lösen. Wenn sie nicht wollen, dass die Islamisten noch stärker werden, müssen die jetzigen moderaten Oppositionskräfte sich mit den jetzigen Pro-Regierungskräften zusammentun und gegen die Islamisten kämpfen. Sonst ist dieser Staat nicht zu retten.

Mit Frederik Pleitgen sprach Nora Schareika

Quelle: ntv.de

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