Historischer Rote-Khmer-Prozess Kambodscha verarbeitet Folter-Geschichte
31.07.2014, 08:09 Uhr
Eine Gedenkstätte erinnert heute an die Opfer der Schreckensherrschaft der Roten Khmer.
(Foto: picture-alliance/ dpa)
Keine vier Jahre herrschten die Ultramaoisten der Roten Khmer in Kambodscha. Die Narben der Vernichtung sind bis heute zu spüren. Kurz vor dem Prozess gegen ranghohe Regimevertreter ist das Land mit den Grausamkeiten von einst konfrontiert.
Unter der Schreckensherrschaft der Roten Khmer sind in Kambodscha zwischen 1975 und 1979 geschätzte 1,7 Millionen Menschen umgekommen, ein Viertel der Bevölkerung. Vor dem Völkermordtribunal bei Phnom Penh fällt am 7. August das Urteil gegen die beiden ranghöchsten noch lebenden Regimevertreter: "Bruder Nummer 2", der 88-jährige Nuon Chea, und "Bruder Nummer 4", der 83-jährige Ex-Staatschef Khieu Samphan, müssen sich verantworten. Sie sind zwar gebrechlich, aber geistig topfit. Ihnen werden unter anderem Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Verstoß gegen die Genfer Konventionen vorgeworfen.
Regimeführer Pol Pot, "Bruder Nummer 1", starb 1998. "Bruder Nummer 3", Außenminister Ieng Sary, war auch angeklagt. Er starb während des Prozesses 2012. Der Prozess gegen seine Frau und Ex-Sozialministerin, Ieng Thirith, wurde wegen Demenz ausgesetzt. Das Regime hatte Zehntausende Mitläufer, von denen viele ihre Familienangehörigen, Nachbarn und Kollegen überwacht, verraten, drangsaliert, gefoltert und ermordet haben. Das Dokumentationszentrum Kambodscha lässt im Zuge der Aufarbeitung Opfer, Täter und die Jugend zu Wort kommen.
"Mutter, hilf mir! Lasst mich sterben!"
Chum Mey ist einer von höchstens 14 Überlebenden des Tuol-Sleng-Foltergefängnisses. Mindestens 12.000 Menschen kamen dort um. "Sie brüllten mich an: "Wann bist du der CIA beigetreten? Wer hat dich rekrutiert?!", berichtet der heute 84-Jährige. Doch er habe gar nicht gewusst, was die CIA sei. Die Foltermethoden des Regimes waren grausam. Chum wurden die Fußnägel gezogen, er bekam Elektroschocks. "Wir waren viele in einer Zelle, mit den Füßen an eine Eisenstange gekettet. Ich habe die Schreie von anderen gehört: 'Mutter, hilf mir! Lasst mich sterben!'" Zwölf Tage lang habe er durchgehalten, dann habe er alles gesagt, was man von ihm hören wollte. "Noch heute wache ich im Schlaf auf und schreie, weil ich von Schlägen träume."
Ein ähnliches Schicksal hatte Bou Meng. Auch er überlebte das Schreckensgefängnis. Der Grund dafür ist ein ungewöhnlicher: Er konnte schöne Bilder von Regime-Chef Pol Pot malen. Man habe ihn ohnmächtig geschlagen und mit Bambusstöcken blutig gestochen, berichtet Bou. "Tötet ihn nicht!", habe dann ein Aufseher gerufen. Er müsse noch ein Bild von "Bruder Nummer" eins malen. Die Bedrohung war damit jedoch noch nicht vorbei. Es folgte eine klare Ansage: "Wenn das nicht perfekt wird, bringen wir Dich um und machen aus Dir Düngemittel." Die Drohung war wörtlich gemeint: Im Terrorregime von Pol Pot war es üblich, die vielen Toten in Massengräbern zu verscharren und darüber Beete mit Nutzpflanzen anzulegen - die Menschen sollten sogar noch im Tod ihrem Land dienen.
Wie sehr jedoch auch die Täter des Systems heute von Erinnerungen verfolgt werden, beweist die Geschichte von Prak Khan. Er war Folterer im gleichen Gefängnis, in dem Chum und Bou leiden mussten. Prak notierte auf einer der 51 Akten, die er abgezeichnet hat: "Folter ist eine Maßnahme zur Unterdrückung des Feindes. Dies ist die Pflicht eines jeden, der das Land im Klassenkampf verteidigt." Als das Dokumentationszentrum ihn aufspürt, sagt er, er sei nur Wachmann gewesen. Dann jedoch bricht es aus ihm heraus: "Ich habe Bitteres erlebt. Ich musste Regeln befolgen. Es war so schrecklich, ich kann es gar nicht aussprechen. Ich hasse Waffen."
"Kampf und Nation immer treu"
Weniger einsichtig zeigt sich da Aom An. Er ist Jahrgang 1933, war Rote-Khmer-Sekretär in der "Region 41".""Ich war dem Kampf und der Nation immer treu. Ist es Völkermord, wenn man versucht, die Menschen zu schützen?", fragt er. "Wenn ich vor Gericht gestellt würde, würde das nur meine Familie berühren, nicht die Gesellschaft. Was soll das?"
Sopheak Pheana, eine junge Studentin und Praktikantin im Dokumentationszentrum, hat vor allem die Begegnung mit Chum tief berührt. Lange führte er Besucher durch das einstige Foltergefängnis. "Für Chum Mey sind die Erinnerungen wie Schnitte ins Fleisch, aber er nimmt den Schmerz auf sich, um andere aufzuklären," stellt Sopheak beeindruckt fest. "Sein Mut zeigt mir: Man muss sich den Erfahrungen stellen, um sie zu verarbeiten." Sie weiß, die Vergangenheit kann man nicht ändern, aber sie hat durch Chum gelernt, dass man so stark sein kann, dass sie einen nicht kontrolliert. "Chum Mey hat sich ans Leben geklammert, um seine Geschichte erzählen zu können. Daraus lerne ich: nie aufgeben, auch das Schlimmste geht vorbei."
Die ultralinke Bewegung des Rote-Khmer-Regimes stürzte 1975 eine US-Marionettenregierung in Kambodscha. Sie strebte einen maoistischen Bauernstaat an. Bildung war verpönt. Brillen wurden zertrampelt, Bücher verbrannt, Städter aufs Land getrieben und Geld wurde abgeschafft. Das Regime witterte bald überall Spione. Massenverhaftungen folgten. Nach Schätzungen kamen bis zum Sturz des Regimes durch Vietnam 1979 fast zwei Millionen Menschen um - durch Folter, Mord, Zwangsarbeit und Hungersnöte.
Nach dem Umbruch versank Kambodscha im Bürgerkrieg. Unter UN-Vermittlung kam in den 1990er-Jahren die Befriedung. Seitdem regiert Hun Sen, selbst Roter Khmer, ehe er dem Regime den Rücken kehrte. Er hat das Tribunal, ein UN-kambodschanisches Hybridgericht, lange torpediert. Deswegen läuft das Verfahren gegen die Verantwortlichen erst jetzt an.
Quelle: ntv.de, ame/dpa