Bereit für "No-Deal-Szenario" May schließt zweites Brexit-Referendum aus
02.09.2018, 12:36 Uhr
Ein zweisprachiges Schild am Hafen von Dover.
(Foto: REUTERS)
Die britische Regierung bereitet sich auf ein "No-Deal-Szenario" vor, auf einen EU-Austritt ohne Regelung des künftigen Verhältnisses. Der Chef-Unterhändler der Europäischen Union macht derweil klar, dass Brüssel den "Chequers-Plan" nicht akzeptieren wird.
Die britische Premierministerin Theresa May hat Hoffnungen auf eine Revision des Brexit-Votums eine Absage erteilt. Sie werde Forderungen nach einem zweiten Referendum nicht nachgeben, schrieb sie im britischen "Telegraph" in einem Gastbeitrag. "Diese Frage noch einmal zu stellen, wäre ein grober Verrat an unserer Demokratie."
Die Briten hatten sich im Juni 2016 in einem Referendum mit einer Mehrheit von knapp 52 Prozent für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union ausgesprochen. Da die britische Regierung der EU am 29. März 2017 offiziell mitteilte, dass Großbritannien die Gemeinschaft verlassen will, wird der Austritt zwei Jahre später, am 29. März 2019 in Kraft treten - also bereits in gut einem halben Jahr.
Bei den Verhandlungen über ein Austrittsabkommen, das das künftige Verhältnis zwischen Großbritannien und der EU regeln soll, gab es bislang allerdings keinen Durchbruch. May schrieb in ihrem Gastbeitrag, dass sie keine Kompromisse akzeptieren werde, "die nicht in unserem nationalen Interesse" seien. "Wir wollen die EU mit einem guten Deal verlassen und wir sind zuversichtlich, dass wir einen solchen erreichen können. Aber natürlich sind noch viele Verhandlungen nötig."
Es sei daher "nur verantwortlich", dass Großbritannien sich auf ein "No-Deal-Szenario" vorbereite, wie dies ja auch die Europäische Union tue. "In einigen Bereichen würde es große Herausforderungen sowohl für das Vereinigte Königreich als auch die EU geben. Aber wir würden da durchkommen und am Ende erfolgreich sein. Wir werden daher bereit sein für keinen Deal, wenn es sein muss."
Keine Abstriche am "Chequers-Plan"
May muss nicht nur mit Brüssel verhandeln. In Großbritannien muss sie sich zudem mit Hardlinern in ihrer eigenen Partei auseinandersetzen, die jede Abkehr von einem "harten Brexit" - einem radikalen Bruch mit der EU - als "Verrat" anprangern. An diese Gruppe richtet sich offenkundig ihr Hinweis, es werde kein zweites Referendum und keine Kompromisse zulasten Großbritanniens geben. Angesichts der stockenden Verhandlungen wurde bereits eine Verlängerung der Gespräche bis in den Dezember hinein vorgeschlagen. Eigentlich müsste der Austrittsvertrag schon im Oktober ausverhandelt sein, denn danach müssen noch das europäische und das britische Parlament zustimmen.
Die Premierministerin schrieb, sie werde keine Abstriche bei den "Vorschlägen von Chequers" machen. In Chequers, dem Landsitz der Regierungschefin in der Grafschaft Buckinghamshire nordwestlich von London, hatte sich die britische Regierung im Juli auf eine Position verständigt, die als "weicher Brexit" bezeichnet wird. Die Pläne sehen eine Freihandelszone zwischen der EU und Großbritannien für Waren vor. Das Land will sich auch künftig an europäische Regeln und Produktstandards halten. In Sachen Dienstleistungen, zum Beispiel für Banken und Versicherungen, will London aber eigene Wege gehen, was den Zugang zum Binnenmarkt einschränken würde. Die unkontrollierte Zuwanderung von EU-Bürgern soll ein Ende haben.
Für die Anhänger eines "harten Brexit" geht dieser Kurs zu weit: Außenminister Boris Johnson und Brexit-Minister David Davis traten nach der Einigung von Chequers zurück. Für die EU sind Mays Vorschläge dagegen Rosinenpickerei. Der EU-Chefverhandler für den Brexit, Michel Barnier, sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", würde man den Briten einen privilegierten Zugang zum Binnenmarkt für Güter gewähren, führte dies zu einem "unfairen Wettbewerb" mit gravierenden Konsequenzen. "Das wäre das Ende des Binnenmarkts und des europäischen Projekts!"
Diese Positionierung des EU-Chefverhandlers erfolgte nach Wochen der intensiven Abstimmung unter den EU-Staaten. Damit ist klar, dass eine Einigung in den Austrittsverhandlungen auf der Grundlage des sogenannten Chequers-Plans nicht möglich ist. Barnier hatte schon Ende Juli praktische Einwände in Frageform vorgetragen. Die EU wollte jedoch wegen der internen Spannungen unter den britischen Konservativen Mays Plan nicht sofort vom Tisch wischen - das hätte die Premierministerin vermutlich ihr Amt gekostet.
Außerdem brauchten die EU-Staaten Zeit, um den Chequers-Plan, der in einem Weißbuch detailliert ausgeführt wurde, im Detail zu prüfen. Diese Prüfung ist nun abgeschlossen. Die Europäische Union verlangt von London, dass es sich für eines der Kooperationsmodelle entscheidet, die Brüssel mit anderen Staaten entwickelt hat.
Barnier nannte als spätesten Termin für einen Abschluss der Verhandlungen "Mitte November". Er lehnte es ab, die Verhandlungen über das geplante Austrittsdatum hinaus zu verlängern. "Wir brauchen nicht mehr Zeit", sagte er. "Was wir brauchen, sind politische Entscheidungen."
Quelle: ntv.de, hvo/DJ/dpa