Politik

"Was haben wir zu verlieren?" Popstar Tsipras feiert in Athen das "Όχι"

04.07.2015, 06:32 Uhr
imageVon Stefan Giannakoulis, Athen
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Rund 25.000 Griechen auf dem Syntagma sagen "Όχι" - und Ministerpräsident Alexis Tsipras sagt es vor. (Foto: AP)

Ja oder nein - diese Schicksalsfrage spaltet Griechenland. Vor dem Parlament in Athen setzen 25.000 Menschen ein Zeichen gegen das, was sie Spardiktat nennen. Aber Ministerpräsident Alexis Tsipras weiß: Es könnte verdammt eng werden. Auch für ihn.

Sie sind viele, und sie sind laut. Das ehrwürdige Hotel Grand Bretagne am Syntagma hat die Rollläden heruntergelassen - wer weiß, was passiert. Der Platz der Verfassung vor dem griechischen Parlament ist an diesem Freitagabend weiträumig abgesperrt - weil sich nur einen knappen Kilometer entfernt vor dem alten Olympiastadion in Athen die versammelt haben, die am Sonntag beim Referendum mit "Ja" stimmen wollen. Die Polizei wird hinterher davon sprechen, dass sich mehr als 25.000 Menschen auf dem Syntagma versammelt und Ministerpräsident Alexis Tsipras wie einen Popstar gefeiert haben.

Aber wer will das schon so genau sagen? Sie stehen nicht nur auf dem Platz, sondern auch auf den Straßen, die dorthin führen. Sie sind gekommen, um sich, ihrem Land und Europa zu zeigen, dass sie "Nein" sagen. An diesem warmen Juliabend und am Sonntag, wenn 9,8 Millionen wahlberechtigte Griechen darüber abstimmen, ob sie die Bedingungen der Gläubiger akzeptieren, also dem strikten Sparkurs zustimmen wollen - oder eben nicht. "Ναι ή Όχι", Ja oder Nein. Diese Schicksalsfrage spaltet das Land. Viele junge Menschen sind da - wie Eleni und Athanasia. Beide sind Mitte zwanzig und stehen für eine Generation, die droht, verloren zu gehen. Beide haben studiert, die eine Archäologie, die andere Pharmazie, beide wohnen immer noch bei ihren Eltern - denn beide haben keine Arbeit. Trotz "hervorragender Abschlüsse", wie sie ernsthaft versichern.

Auch Gregor Gysi bekommt seinen Applaus

Währenddessen holt sich der Fraktionschef der Linken im Bundestag auf der Bühne seinen Applaus ab. Gregor Gysi ist nach Athen geflogen, um zu zeigen, wie solidarisch er ist und das zu sagen, was er schon zu Hause im Parlament gesagt hat: "Eure Regierung kämpft wie David gegen Goliath und muss gestärkt werden." Er kämpfe in Deutschland für die Griechen. Und als Gysi beteuert: "Europa braucht Griechenland" - da klatschen auch Eleni und Athanasia. Denn genau dieses Gefühl haben sie nicht. Oder nicht mehr. Auch darum geht es den Menschen hier.

Im Grunde aber sind die Fronten längst verhärtet. Das wird deutlich, als der Ministerpräsident die Bühne betritt. Als nach Stunden die Dämmerung längst zur Dunkelheit geworden ist, kommt Alexis Tsipras. Er trägt wie stets ein weißes Hemd, keine Krawatte und ruft: "Wir wollen mit Würde in Europa leben." Minutenlang lässt er sich von der Menge feiern.

Es geht nicht mehr in erster Linie darum, die zu überzeugen, die anders denken. Das liegt in der Natur solcher Veranstaltungen. Tsipras sagt das, was er am Abend zuvor im Fernsehen gesagt hat. Er sagt, dass die Griechen am Sonntag "Nein" sagen sollen. Nein zum Spardiktat der Gläubiger. Nein zur Erpressung, nein zu Ultimaten und Fristen. Die Griechen müssten sich wehren - "gegen diejenigen, die Euch terrorisieren". Doch Tsipras, seine Syriza-Regierung und die Neinsager wissen, dass es eng wird. Das suggeriert zumindest eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes Alco, die erhoben wurde, nachdem Anfang dieser Woche die Banken schlossen. Demnach haben die Befürworter aufgeholt und liegen sogar mit 44,8 Prozent zu 43,4 Prozent knapp vorne.

Umso lauter rufen sie auf dem Syntagma: "Όχι! Όχι! Όχι!" Auch Athanasia und Eleni. Man kann viel über diese Menschen sagen, die sich an diesem Abend hier getroffen haben. Dass sie all ihre Hoffnung in ein Plebiszit legen, das sich letztlich als wertlos erweisen könnte. Dass sie den Versprechungen auf eine bessere Verhandlungsposition mit den Gläubigern der EU glauben, obwohl das sich als eine Illusion entpuppen könnte. Doch ihre Ernsthaftigkeit kann diesen Menschen niemand absprechen. Aber wer weiß schon, was passiert?

Quelle: ntv.de

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