Politik

"Wir haben die Koffer gepackt" Putin zerstört die Hoffnung in Russland

Proteste werden in Russland von Sicherheitskräften  in der Regel im Keim erstickt.

Proteste werden in Russland von Sicherheitskräften in der Regel im Keim erstickt.

(Foto: REUTERS)

Der Einmarsch in die Ukraine sorgt bei Oppositionellen in Russland für Entsetzen. Viele reagieren fassungslos, einige posten Fotos von gepackten Koffern. "Ich kann nicht atmen", sagen sie.

Russisches Staatsfernsehen, Politiker, Nationalisten und orthodoxe Kirche bejubeln den Angriff auf die Ukraine. Für die verbleibenden Liberalen in Russland ist der Einmarsch dagegen eine Katastrophe.

"Ich habe die Hoffnung verloren", sagt eine Moskauerin und drückt damit aus, was die vor allem in den Großstädten lebende Intelligenzia fühlt: die dumpfe Leere, die entsteht, wenn es keine Hoffnung mehr gibt. Dabei haben sich die meisten schon seit Langem in die innere Immigration zurückgezogen. Die Repressionen und die Einschüchterungstaktik des autoritären Regimes und das Trommelfeuer staatlicher Propaganda zermürben.

Führende Oppositionelle sind entweder im Gefängnis oder im Exil. Freier Journalismus erreicht nur eine winzige Anzahl von Menschen. Demonstrationen werden schon im Ansatz aufgelöst. Als mit Alexej Navalny das Symbol der verbliebenen Opposition erst vergiftet und dann in Lagerhaft gesteckt wurde, fühlte sich die liberale Minderheit, als würde sie ersticken. Und genau das empfindet sie jetzt wieder. "Ich kann nicht atmen", ist häufig zu hören.

Trotz des russischen Militäreinsatzes und trotz der düsteren Rede von Präsident Wladimir Putin lebte auch in Russland die Hoffnung, dass es irgendwie doch nicht zum Äußersten kommen wird. Mit dem Einmarsch hat sich der Optimismus in Luft aufgelöst. Und nun? Fassungslosigkeit.

Putin zerstört die Zivilgesellschaft

Nach dem Überfall auf die Ukraine erwarten westlich orientierte Russen, dass sie noch isolierter sein werden als bisher. Einige posten in sozialen Netzwerken Fotos von Koffern. "Ich habe die Koffer schon gepackt", schreiben sie. Ihre letzte Hoffnung ist jetzt, irgendwann das Land verlassen zu können. Doch bei den meisten wird es nur ein Traum bleiben.

Putin hat in Russland die Zivilgesellschaft weitgehend zerstört. Und genau das hat er auch in der Ukraine vor. Das sind schlimme Aussichten für das überfallene Land. Denn auf Proteste und Widerstand kennt der russische Präsident nur eine Antwort: grenzenlose Gewalt.

Die Verzweiflung der Liberalen in Russland hat auch damit zu tun, dass die Ukraine für sie etwas verkörpert, was in Russland nicht gelungen ist. Mit der Orangen Revolution von 2004 sorgten Ukrainer dafür, dass eine gefälschte Wahl annulliert wurde. Neun Jahre später vertrieben sie einen Präsidenten, der ihr Land an Russland ausliefern wollte - und der Sicherheitskräfte auf die eigene Bevölkerung schießen ließ. Sie wählten in einer freien Wahl einen neuen Präsidenten. Die meisten Ukrainer wollen eine stärkere Nähe zur Europäischen Union, nicht zum Russland Putins.

Viele Russen - sowohl die Mehrheit, die Putin unterstützt, als auch die Minderheit, die in der Opposition ist - blicken auf die Entwicklung der Ukraine und ziehen daraus Rückschlüsse auf die Zukunft ihres eigenen Landes. Für die Opposition war sie bisher durchaus eine Verheißung: Wenn die Ukrainer ihre Freiheit gewinnen können, dann können das die Russen vielleicht auch. Für den Kreml ist diese Aussicht eine Bedrohung.

Putin will in der Ukraine das fortsetzen, was er in Russland begonnen hat. Bei russischen Oppositionellen gibt es deshalb ein weiteres Gefühl: Scham. "Wir alle werden in der Hölle schmoren, weil wir das zugelassen haben", sagt eine junge Russin mit ohnmächtiger Wut. Die Intelligenzia fürchtet, dass oppositionellen Ukrainern das gleiche Schicksal droht wie Putin-Gegnern in Russland.

Quelle: ntv.de

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