Prozess in Halle Vor Gericht setzt Höcke auf Selbstverharmlosung


Mitte Mai fällt das Urteil im Prozess gegen Höcke.
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Dritter und voraussichtlich vorletzter Verhandlungstag im Höcke-Prozess: Die Verteidigung will beweisen, dass die von dem AfD-Politiker verwendete SA-Parole nicht als solche bekannt war. Die Anklage setzt darauf, Höckes Nähe zum Nationalsozialismus offenzulegen.
Sollten Björn Höcke und seine Verteidiger damit gerechnet haben, dass der Prozess gegen den AfD-Politiker aus Thüringen am heutigen Freitag endet, dann wurden sie enttäuscht. Er werde keinen Ärger mit dem Personalrat riskieren, witzelt der Vorsitzende Richter Jan Stengel mit Blick auf die Justizbeamten und deren frühen Dienstbeginn. Ein Urteil gibt es noch nicht.
"Wir dachten eigentlich, heute fertig zu werden", hatte Höckes Anwalt Ulrich Vosgerau am Morgen zu Beginn des dritten Verhandlungstags am Landgericht Halle (Saale) gesagt. Da hatte die Staatsanwaltschaft bereits eine Reihe von Anträgen präsentiert, und auch Vosgeraus Kollege Philip Müller stellte anschließend eigene Anträge. Beiden Seiten geht es darum, Texte für die Verhandlung zuzulassen, um die eigene Argumentation zu stützen.
All diese Dokumente müssten die Schöffen ja auch irgendwann mal lesen, sagt Richter Stengel. Es sei nicht so, "dass wir keinen Bock hätten, aber das soll rechtsstaatlich sein", fügt er noch an und macht wie im Scherz deutlich, dass er sich von der Verteidigung keine Verfahrensfehler aufschwatzen lassen will, die in einem Revisionsverfahren gerügt werden könnten. Das Urteil dürfte nun am vierten Prozesstag verkündet werden, am 14. Mai. Dann werde "mit aller Zeit der Welt" verhandelt, so Stengel.
Der Vorgang selbst ist unstrittig
Die Staatsanwaltschaft am Landgericht im sachsen-anhaltischen Halle wirft Höcke vor, "ein Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation öffentlich verwendet zu haben". Laut Anklage hat der AfD-Politiker im Mai 2021 im nahegelegenen Merseburg eine Wahlkampfrede mit dem Spruch "Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland" beendet. "Alles für Deutschland" war eine Losung der "Sturmabteilung" der NSDAP, besser bekannt unter dem Kürzel SA.
Der Vorgang selbst ist unstrittig: Es gibt ein Video der Rede, das die AfD selbst auf Facebook verbreitet hatte und das am zweiten Prozesstag im Gerichtssaal gezeigt worden war. Die Verwendung der Parole ist verboten, die Anklage bezieht sich auf die Paragrafen 86 und 86a des Strafgesetzbuches. Dort geht es um das Verbreiten und Verwenden von Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen. Höcke bestreitet allerdings, gewusst zu haben, dass der Slogan eine SA-Losung ist.
In Gera wiederholte Höcke die SA-Parole
Genau dagegen richten sich die Beweisanträge der Anklage. Staatsanwalt Benedikt Bernzen nennt eine ganze Reihe von Videos, darunter auch jenes von einem weiteren Höcke-Auftritt, in Gera, am 12. Dezember 2023. Dort sprach Höcke über die Anklage, wegen der er heute in Halle sitzt - und wiederholte die SA-Parole, wenn auch nicht vollständig: Er sagte "Alles für" und rief das Publikum dann mit Gesten auf, "Deutschland" zu ergänzen.
Zunächst sollte auch dieser Fall in Halle verhandelt werden, er wurde dann aber vom Prozess abgetrennt. Das Gericht begründete dieses Vorgehen damit, dass Höcke kurzfristig einen neuen Verteidiger berufen hatte - Ulrich Vosgerau, der auch bei dem Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam im November anwesend war. Am heutigen Freitag erklärt die Staatsanwaltschaft sich mit dem Vorgehen einverstanden. "Aus prozessökonomischen Gründen", sprich: damit das Verfahren beim nächsten Mal enden kann.
Auch ein Video, das zeigt, wie Höcke 2010 an einem rechtsextremistischen Aufmarsch in Dresden zum 65. Jahrestag der Bombenangriffe auf die Stadt teilnimmt, will die Staatsanwaltschaft als Beweis aufnehmen lassen. Bekannt ist dieser Auftritt seit Jahren. Unter Berufung auf eine Formulierung aus dem Strafgesetzbuch sagt Staatsanwalt Bernzen, die Teilnahme an diesem Aufmarsch zeige "die Gesinnung, die aus der Tat spricht". In einem weiteren Video sei Höcke zu sehen, wie er die Verurteilung einer rechtsextremen Aktivistin und Holocaust-Leugnerin 2016 als "schreiende Ungerechtigkeit" bezeichne. Bernzen zitiert zudem aus einem Buch von Höcke, in dem dieser schreibt, man müsse die "Grenze des Sagbaren durch kleine Vorstöße erweitern". Und der Staatsanwalt verweist auf den Nachahmereffekt: Der Anklagte habe "eine gemeinhin in Vergessenheit geratene Parole wiederbelebt und salonfähig gemacht".
Es kommt auf den Vorsatz an
All diese Argumente laufen darauf hinaus, Höcke als überzeugten Anhänger des Nationalsozialismus darzustellen, der es darauf anlegt, gegen jene Strafrechtsartikel zu verstoßen, wegen derer er nun vor Gericht steht. Diese Argumentation ist überaus plausibel. Auf X hatte Höcke in einem an X-Besitzer Elon Musk gerichteten Post auf Englisch geschrieben, es gebe in Deutschland Straftatbestände, die "Deutschland daran hindern, sich wieder zu finden". Auch das zitiert Bernzen.
Die zentrale Frage ist, ob das Gericht am Ende dieser Argumentation folgt. "Voraussetzung einer Bestrafung wegen des Verwendens von Kennzeichen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation ist, dass der Täter das Wesen des von ihm verwendeten Kennzeichens kennt oder billigend in Kauf nimmt", sagt Gerichtssprecherin Adina Kessler-Jensch ntv.de. Wenn der Angeklagte sagt, "er habe die Bedeutung der von ihm verwendeten Parole nicht gekannt", dann müsse das Gericht entscheiden, ob das glaubhaft ist.
Höcke hatte sich am zweiten Prozesstag am 23. April als "völlig unschuldig" bezeichnet. "Ich habe mit Nationalsozialismus nichts, aber auch gar nichts am Hut." Das war eine interessante Behauptung. Höcke hatte nicht nur an dem Aufmarsch in Dresden teilgenommen, sondern mutmaßlich auch unter dem Pseudonym "Landolf Ladig" Artikel in Neonazi-Zeitschriften veröffentlicht. Darin behauptete er unter anderem, die beiden Weltkriege seien "ökonomische Präventivkriege gegen das Deutsche Reich" gewesen. Höcke bestreitet zwar, Ladig zu sein, hat dies aber bis heute nicht gerichtlich klären lassen. Auch auf Basis der Arbeiten des Soziologen Andreas Kemper, der "Ladig" als Erster auf die Spur kam, bescheinigte der damalige AfD-Bundesvorstand Höcke 2017 eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus".
Die Verteidigung kommt mit dem "Spiegel"
Dennoch bleibt die Frage, ob die Staatsanwaltschaft beweisen kann, dass Höcke wusste, dass "Alles für Deutschland" eine Nazi-Parole ist. Die Verteidigung legte diverse Texte vor, die nahelegen sollen, dass die Floskel nur ein "Allerweltsspruch" ist, wie Höcke im TV-Duell gegen den Thüringer CDU-Vorsitzenden Mario Voigt gesagt hatte. Darunter ist beispielsweise eine Kolumne, die im vergangenen Jahr im "Spiegel" erschienen war und als Überschrift den Slogan genutzt hatte. Inzwischen hat die Redaktion dies geändert. Mit leicht spöttischem Unterton verweist der Anwalt auf die hohen Standards des Nachrichtenmagazins, das keinen Text ungeprüft ins Heft lasse.
Auch beim ersten hessischen Ministerpräsidenten Karl Hermann Geiler wurden Höckes Anwälte fündig: Der habe "in klarer Gegnerschaft zum NS-Regime" gestanden und 1946 trotzdem eine Rede mit den Worten "Alles für Deutschland" beendet.
Ob die von der Staatsanwaltschaft genannten Videos als Beweise zugelassen werden, muss das Gericht noch entscheiden. Die Verteidigung argumentiert, eine Verwendung des Videos aus Gera verstoße gegen das sogenannte Doppelverwertungsverbot. Beim Höcke-Auftritt in Dresden 2010 könne man "geteilter Meinung" sein oder ihn "sehr ungehörig" finden, sagt Rechtsanwalt Müller, aber das Video dürfe für das Verfahren keine Rolle spielen. Auch Höckes Forderung, bestimmte "Meinungsdelikte" nicht unter Strafe zu stellen, sei "für sich bezogen kein Indiz für eine nationalsozialistische Gesinnung", das sei "eine Meinung, die man haben kann".
Schließlich argumentiert Müller, nicht Höcke habe die Parole wieder in Umlauf gebracht, sondern die Staatsanwaltschaft: Der Satz sei auf einer unbedeutenden Wahlkampfveranstaltung als "Nebensatz" gefallen. Erst durch das Strafverfahren sei die Redewendung einer Bevölkerungsmehrheit in Erinnerung gerufen worden.
Es geht um "Selbstverharmlosung"
Bislang ist unklar, ob die Taktik der Verteidigung juristisch aufgeht. Klar ist, dass das Vorgehen Methode hat: Die "Süddeutsche Zeitung" wies erst kürzlich darauf hin, dass Höckes "Spiritus Rector", der rechtsradikale Vordenker Götz Kubitschek, schon vor Jahren für eine Strategie der "Selbstverharmlosung" plädierte. In der in diesen Kreisen üblichen schwülstigen Sprache schreibt Kubitschek, die Methode bestehe darin, "in Grenzbereichen des gerade noch Sagbaren und Machbaren provozierend vorzustoßen und sprachliche oder organisatorische Brückenköpfe zu bilden, zu halten, zu erweitern und auf Dauer zum eigenen Hinterland zu machen".
Die bewusste Verwendung eines SA-Slogans und das anschließende Abstreiten, dies wissentlich getan zu haben, würde sehr gut zu dieser Methode passen. Zumal Höcke bereits vor einigen Jahren in einer Mail an einen Parteifreund die Abschaffung der Paragrafen 86 und 130 des Strafgesetzbuches forderte: "Hinfort damit - und zwar schnell." Nicht nur das Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen wäre dann legal, auch Volksverhetzung und das Leugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus wollte Höcke zulassen.
"9000 Euro netto, bisschen weniger vielleicht"
Der Richter bestand gegen Ende des heutigen Verhandlungstags darauf, dass Höcke Fragen zu seiner Person beantwortet, die mit der Anklage in keinem klar erkennbaren Zusammenhang stehen. Er mache das immer so, betonte Stengel. So erfuhr das Publikum, dass Höcke nach eigener Schätzung 9000 Euro netto im Monat hat, "bisschen weniger vielleicht", und dass seine Frau "im Rahmen eines, ich glaube das nennt sich 450-Euro-Job", beschäftigt ist.
Bereits am zweiten Verhandlungstag war klar geworden, dass Höcke wohl maximal eine Geldstrafe droht. Der nach dem Thüringer Wahlgesetz theoretisch mögliche Verlust des aktiven und passiven Wahlrechts ist damit praktisch vom Tisch. Nicht vom Tisch ist die Anklage wegen der Rede in Gera. Das Verfahren wurde bereits vom Landgericht Halle eröffnet. Verhandlungstermine gibt es noch nicht, sie könnten in Kürze veröffentlicht werden.
Quelle: ntv.de