Die Kanzlerin geht in die Schule Spaß mit Merkel
13.08.2013, 15:41 Uhr
Am ersten Arbeitstag nach ihrem Urlaub geht Angela Merkel in die Schule. Die Bundeskanzlerin gibt eine Geschichtsstunde an einem Berliner Gymnasium. Selbst Schülerinnen, die eigentlich den Grünen nahestehen, sind begeistert.
Von der Kanzlerin ist noch nichts zu sehen, aber Herr Merkel ist schon da. Er passt auf, dass die Schüler ihre Fahrräder nicht zu nah an den Schulhof stellen. Denn hier wird um 10 Uhr Bundeskanzlerin Angela Merkel erwartet.
Herr Merkel ist der Hausmeister am Schliemann-Gymnasium im Berliner Stadtteil Prenzlauer Berg, seine Namensvetterin gibt hier eine Vertretungsstunde. Angestoßen hat die Aktion das Jugendmagazin "Spiesser", mehr als 50 Vertretungsstunden habe es bislang schon gegeben, erzählt eine Mitarbeiterin der Zeitschrift auf dem Schulhof, unter anderem mit dem Komiker Otto Waalkes, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und dem Schauspieler Florian David Fitz. "Wir suchen noch einen Prominenten, der eine Schwimmstunde gibt", sagt sie.
Dafür kam die promovierte Physikerin Merkel offenbar nicht infrage, am Schliemann unterrichtet sie einen Grundkurs Geschichte der Jahrgangsstufe 12. Thema: der Mauerbau. Am 13. August 1961, exakt vor 52 Jahren, begann die DDR mit der Errichtung von Sperranlagen rings um West-Berlin. Merkel war damals neun Jahre alt. Der Mauerbau sei "das erste politische Ereignis" gewesen, "das sich mir richtig eingeprägt hat", sagte Merkel einmal in einem Interview mit dem Journalisten Hugo Müller-Vogg, das 2005 als Buch erschien. "Ich weiß noch genau, dass wir aus dem Urlaub im Westen zurückkamen. Wir waren mit der Oma mütterlicherseits in Bayern unterwegs gewesen. Sie lebte in Hamburg und hatte den Wunsch, einmal mit einem VW Käfer durch Bayern zu fahren. Das war ihr Traum."
Die Kastners lebten damals im brandenburgischen Templin. "Mein Vater hatte an dem Sonntag Gottesdienst, und es war eine furchtbare Stimmung in der Kirche. Ich werde das nie vergessen. Die Leute haben geweint, auch meine Mutter hat geweint. Alle waren fassungslos."
"Die meisten hier sind eher links"
Vielleicht hat Merkel dies auch den 26 Schülerinnen und Schülern des Geschichtskurses erzählt - Journalisten waren bei der Vertretungsstunde nicht zugelassen, nur zwei Kolleginnen vom "Spiesser". Öffentlichkeitswirksam war der Auftritt auch so: Selbst die "New York Times" und der arabische Sender Al-Dschasira haben Vertreter geschickt. Immerhin ist es Merkels erster öffentlicher Termin nach ihrem Urlaub - die Vermutung liegt nahe, dass hier jemand Wahlkampf macht. Alles Zufall, sagt das Bundespresseamt. Die Vertretungsstunde mit Merkel sei eine alte Forderung der Leser gewesen, sagen die "Spiesser"-Leute.
Die Wahl der Schule sieht jedenfalls nicht nach Wahlkampf aus. "Die meisten Schüler hier sind eher links", sagt ein 17-Jähriger. Wie zur Bestätigung hängen vor der Schule Plakate der Linkspartei und des grünen Direktkandidaten Andreas Otto, der sich Hoffnung machen darf, hier ein Direktmandat zu erobern. An dieser Schule hätte er vermutlich exzellente Chancen: Ein Mädchen verteilt Aufkleber mit Sonnenblumen darauf. "Wir sind gegen Merkel", sagt die 17-Jährige, die Chefredakteurin der Schülerzeitung ist. "Außerdem wollen wir mehr grüne Inhalte", ergänzt ihre 16 Jahre alte Freundin. An der Bundeskanzlerin stört die beiden die Asylpolitik der Bundesregierung, die Bildungspolitik und der ihrer Meinung nach zu langsame Ausstieg aus der Atomenergie.
"Besser als Unterricht"
Mehrere Schüler kleben sich eine Sonnenblume ans Revers, andere tragen Buttons mit dem Symbol der Anti-Atom-Bewegung. Auf die Frage, ob sie diesen Anstecker extra für die Bundeskanzlerin angelegt hat, lacht eine Schülerin: "Ja, natürlich!"
Mittlerweile ist der Schulhof voll, der Beginn der dritten Stunde wurde verschoben, damit die Kinder Merkel begrüßen können. "Besser als Unterricht", meint ein 17-Jähriger, der ansonsten erkennbar wenig Interesse an dem Besuch hat. Dann fügt er noch hinzu, die Schule habe sich "krass rausgeputzt" für den Besuch der Bundeskanzlerin.
Die kommt pünktlich, schüttelt Hände, lässt sich fotografieren. Die 18-jährige Louise Debatin fragt Merkel, ob sie sich mit ihr zusammen fotografieren lasse. Die Kanzlerin nickt, die Schülerin knipst das Bild mit ihrem Handy. Auch der Aufkleber mit der Sonnenblume ist auf dem Bild. Louise ist begeistert. "Das ist unglaublich!" Wen sie wählt, weiß sie aber noch nicht.
"Wir hatten unseren Spaß"
Applaudiert wird zunächst gar nicht, sondern passenderweise erst in dem Moment, als Merkel vor dem Pulk von Fernsehkameras stehen bleibt. Dann verschwindet sie im Schulgebäude - sie ist ja nicht zum Spaß hier.
Als alles vorbei ist, stehen die Chefredakteurin der Schülerzeitung und ihre Freundin am Ausgang des Schulhofs. Wie ihnen das Ganze gefallen habe? "Bisschen übertrieben. Aber wir hatten unseren Spaß." Den beiden "Spiesser"-Redakteurinnen hat die Vertretungsstunde "super" gefallen. "Ich glaube, anfangs waren beide ein bisschen nervös, die Bundeskanzlerin und die Schüler", sagt die 23-jährige Milena Zwerenz. "Erst war sie mehr in der Rolle der klassischen Geschichtslehrerin, dann ist sie aufgetaut und hat mehr von ihrer Jugend in der DDR erzählt. Das war sicher auch für die Kanzlerin besonders, man hat gesehen, dass es ihr und den Schülern Spaß gemacht hat." Ihre Geschichte wird nun mit einer Auflage von 500.000 an die Leser gebracht. Mit Wahlkampf hat das alles natürlich nichts zu tun.
Quelle: ntv.de