Flächendeckende MusterungWorauf sich Schwarz-Rot beim Wehrdienst geeinigt hat
Ab nächstem Jahr bekommen alle 18-Jährigen einen Fragebogen zu ihrer Bereitschaft, in der Bundeswehr zu dienen. Junge Männer sollen zur Beantwortung sowie zur Musterung verpflichtet werden, nicht aber zum Dienst. Das umstrittene Losverfahren ist vom Tisch.
Ein Kompromiss legt den Streit der Regierungsparteien um den neuen Wehrdienst bei. Verteidigungsminister Boris Pistorius muss dafür auf Drängen der Union die Aufstockung der Truppe in Zielzahlen messbar machen. Mit der Forderung nach einer flächendeckenden Musterung für junge Männer setzt er sich aber durch.
Die Union wollte vor der Regierungsbildung eine Rückkehr zur Wehrpflicht. Sie forderte messbare Kriterien für den Erfolg eines zunächst freiwilligen Wehrdienstes - und setzte sich damit nun durch. "Auf Grundlage des militärischen Ratschlags wurde dafür ein Aufwuchspfad mit klar definierten Zielkorridoren festgelegt, der gesetzlich verankert und durch eine halbjährliche Berichtspflicht des Verteidigungsministeriums gegenüber dem Deutschen Bundestag überprüft wird", heißt es nun.
Wie sollen ganze Jahrgänge gemustert werden?
Mit dem Gesetz wird die Wehrerfassung wieder eingeführt. Alle 18-jährigen Männer und Frauen erhalten künftig einen Fragebogen, um ihre Motivation und Eignung für den Dienst in den Streitkräften zu ermitteln. Für Männer ist die Beantwortung des Fragebogens verpflichtend. Ebenso wird für alle Männer, die ab dem 1. Januar 2008 geboren wurden, die Musterung wieder zur Pflicht. Auf Basis der Fragebögen und der Musterungsergebnisse kann die Bundeswehr im Verteidigungsfall auf einen Pool potenzieller Rekruten zurückgreifen.
Die Militärverwaltung hat gut 18 Monate Zeit, um wieder eine Musterungsorganisation aufzubauen, die bis zu 300.000 Menschen im Jahr auf Eignung checken kann. Ältere haben daran und an sogenannte Kreiswehrersatzämter teils schlechte Erinnerungen. "Als ich damals gemustert worden bin, bin ich in ein ganz furchtbares Haus gekommen. Da hat es ganz furchtbar nach Bohnerwachs gerochen und die Menschen waren ganz deutlich unfreundlich zu mir", sagte Falko Droßmann, verteidigungspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, in einer Anhörung im Bundestag. "Und dann haben sie mir an Sachen gefasst, wo man nicht hingefasst werden möchte."
Generalleutnant Robert Sieger vom Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr antwortete, er teile dieses Bild von damals. Deswegen wolle man sich an Skandinavien orientieren. Er habe dort gesehen, dass die Durchführung der Musterung "insbesondere auch in Schweden hell, freundlich und positiv ist". Sieger sagte: "Und genau da wollen wir auch hin." Die Musterung solle nicht in Kasernen stattfinden, sondern es solle mit einer "Anmietlösung" gearbeitet werden.
Wehrdienstleistender oder gleich Soldat auf Zeit?
Pistorius hatte sich dafür starkgemacht, die neuen Rekruten gleich als sogenannte Soldaten auf Zeit in den Dienst zu nehmen. Da gibt es nun mit der Einigung eine Änderung: "Der freiwillige Wehrdienst als besonderes staatsbürgerliches Engagement bleibt erhalten. Ab zwölf Monaten Verpflichtungsdauer wird der Status Soldat auf Zeit (SAZ 1) eingeführt." Es bleibt aber bei einem Dienst, der mit höherer Bezahlung und zusätzlichen Ausbildungen wie Führerscheinen oder IT-Lehrgängen schmackhaft gemacht wird: "Wer freiwillig dient, erhält rund 2600 Euro brutto monatlich. Ab einer Verpflichtungszeit von einem Jahr wird ein Führerscheinzuschuss für Pkw oder Lkw gewährt."
Was, wenn sich nicht genug Freiwillige melden?
Schon jetzt soll für den Fall vorgesorgt werden, dass sich nicht genug junge Männer und Frauen freiwillig zum Dienst melden. Unter Abwägung der sicherheitspolitischen Lage soll der Bundestag dann entscheiden, ob eine sogenannte Bedarfswehrpflicht eingeführt wird. Das Parlament übt dann aber nur ein Recht aus, das ihm ohnehin zusteht, denn eine Mehrheit der Abgeordneten könnte die Wehrpflicht wieder einführen und auch mit der Feststellung des Spannungs- oder Verteidigungsfalls einen solchen Automatismus auslösen.
Welche Rolle spielt das Losverfahren?
Nur falls eine Bedarfswehrpflicht eingeführt würde, weil sich nicht genug Freiwillige melden, könnte zum Beispiel ein Losverfahren zur Auswahl eingesetzt werden. Das umstrittene und von der Union vorgeschlagene Losverfahren noch vor einer Musterung ist vom Tisch.
Wird die Freiwilligkeit funktionieren?
Pistorius und andere führende SPD-Politiker betonen dies. Andere Stimmen - darunter auch der Militärhistoriker Sönke Neitzel - zweifeln daran und sprechen von einem "Prinzip Hoffnung". Den Abgeordneten hielt er vor, sie führten eine Debatte losgelöst von der Mehrheitsmeinung in der Bevölkerung, die für eine Wehrpflicht sei. "Also historisch betrachtet ist die Wehrpflicht im Frieden nie gerecht gewesen", sagte er. Und: "Sie war immer gerecht im Krieg, weil dann alle Männer, die irgendwie laufen konnten, in der Armee dienen mussten. Aber im Frieden gab es dieses Problem immer, das ist uralt."
Was ist mit dem Zivildienst?
Parallel zur Stärkung der Bundeswehr sollen auch die zivilen Freiwilligendienste ausgebaut werden. Dafür werden im kommenden Jahr 50 Millionen Euro zusätzlich bereitgestellt, ab 2027 dann 80 Millionen Euro jährlich. Damit sollen über 15.000 neue Plätze geschaffen werden, etwa in Kitas, Schulen, Pflegeeinrichtungen sowie im Klima- und Katastrophenschutz. Ziel ist es, dass sich jährlich mehr als 100.000 junge Menschen in einem Freiwilligendienst engagieren. Die zusätzlichen Mittel sollen es den Trägern zudem ermöglichen, die Vergütung für die Freiwilligen zu erhöhen.
