Ampel weckt falsche Erwartungen Legal Kiffen ist richtig, schützt aber die Jugend nicht


Kiffen sollte nur, wer volljährig ist.
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Die Analyse der Ampel-Parteien ist richtig: Die Verbotspolitik ist gescheitert und der Cannabis-Konsum gehört deshalb legalisiert. Allerdings ist eines ihrer Hauptargumente nicht überzeugend: Kinder und Jugendliche werden durch das Vorhaben nicht besser geschützt. Es droht sogar das Gegenteil.
Als "Fortschrittsprojekt" bewerben Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir ihr Vorhaben zur Cannabis-Legalisierung. Wer da aber Lauterbach reden hört, fühlt sich eher in die 90er-Jahre zurückversetzt. "Dealer" würden Deutschlands Jugendliche gezielt süchtig machen, um sie auch als Erwachsene dauerhaft zum Kunden zu haben. Özdemir wiederum hat als Beispiel für den Schwarzmarkt nur Berlins bekannten Görlitzer Park zur Hand. Dort verticken überwiegend afrikanische Männer mit unsicherem oder gar keinem Aufenthaltsstatus als Handlanger arabischstämmiger Banden Drogen, vornehmlich an Touristen. Beide Beispiele gehen an der Realität vorbei: Der Drogenverkauf an Jugendliche ist sehr viel unspektakulärer. Und so bekommt man eine Ahnung, warum die beiden Bundesminister mit einem falschen Versprechen für ihren Plan werben: dass die Cannabis-Legalisierung den Schutz von Kindern und Jugendlichen stärke.
Es ist richtig, den Irrweg der letzten Jahrzehnte zu beenden und endlich Erwachsenen in Deutschland zu ermöglichen, dass sie straffrei kiffen können. Zwar ist die Droge Cannabis im Vergleich zu Alkohol insbesondere für Heranwachsende durchaus gefährlicher, weil sie Psychosen und Depressionen triggern und das Gehirn auch bei überschaubarem Konsum dauerhaft schädigen kann. Das Ausmaß der individuellen Gefährdung für Erwachsene mag umstritten sein. Ein totales Verbot rechtfertigt sie nicht.
Sowohl der Aufwand für die Strafverfolgungsbehörden als auch die Strafen für den einzelnen Bürger, der ab und an einen Joint raucht, sind erstens unverhältnismäßig und zweitens zwecklos. Der Cannabiskonsum in Deutschland stagniert seit Jahren auf hohem Niveau, Strafandrohung hin oder her. Ein Staat, der seinem Schutzauftrag für alle Bürger nachkommen will, nimmt angesichts dieser Realität die Frage der Qualität der Drogen ernst. Es ist gut, dass Erwachsene bald einen geregelten Zugang bekommen sollen zu ungestrecktem Cannabis, das weniger potent ist und auch nicht von Menschen mit Verbindungen zur organisierten Kriminalität verkauft wird.
Der Schwarzmarkt verschwindet nicht
Dass aber die Legalisierung, wie sie jetzt geplant ist, die "Jugend besser schützen" werde und der "Kinder- und Jugendschutz von allergrößter Bedeutung" sei bei der für den Spätsommer zu erwartenden Gesetzesinitiative, wie Lauterbach sagt, stimmt schlicht nicht. Kinder und Jugendliche werden sinnvollerweise keinen legalen Zugang zum qualitätsgeprüften Marihuana der geplanten Cannabis-Klubs bekommen und damit auch nicht zu den begleitenden Aufklärungsangeboten. Das Gleiche gilt für den kommerziellen Verkauf, der in Modellregionen ausgetestet werden soll.
So setzt die Legalisierung auf ein deutliches Schrumpfen des Schwarzmarktangebots, was aber unwahrscheinlich ist. Erstens werden Gelegenheitskonsumenten eher nicht selber Marihuana anbauen und ernten oder dies gemeinschaftlich in Cannabis-Klubs samt eingetragener Mitgliedschaft tun. Beides bedeutet Arbeit und Kosten, während Interessierte in Deutschland fast immer wen finden, der ihnen in ihrer Stadt oder im Nachbardorf ein paar Krümel verkauft - für sechs bis zehn Euro das Gramm. Wer monatlich legal eine mittlere zweistellige Grammzahl erwerben will, wie es der Lauterbach-Plan für Cannabis-Klubs erlaubt, ist entweder schwer abhängig oder verteilt sein Zeug unter der Hand an andere weiter, die keinem Verein angehören.
Dies führt zum zweiten Argument: Der mit absehbar hohen Sicherheitsanforderungen verknüpfte legale Cannabis-Anbau muss sich erstmal gegen Schwarzmarktpreise durchsetzen. Die könnten absehbar weiter fallen, weil der Risikoaufschlag der organisierten Kriminalität sinkt. Die hohen legalen Besitzmengen, die künftig erlaubt sein sollen, dürften die Verfolgung des Schwarzmarktes ebenso erschweren wie die Tatsache, dass in jeder Wohnung bis zu drei Pflanzen pro Erwachsener stehen dürfen. Die organisierte Kriminalität wird das ebenso auszunutzen versuchen wie den Betrieb von Cannabis-Klubs, sollten diese nicht mit sehr hohem Aufwand kontrolliert werden.
Gesellschaft im Rausch
Kurzfristig könnte eher ein Überangebot am Schwarzmarkt entstehen und Kiffen für Jugendliche so erschwinglich und gefahrlos wie nie werden. Die Jugend geht jetzt schon nicht zum hauptberuflichen "Dealer", der nach Lauterbachs "Tatort"-Ideen seine Kunden mit einem Langzeitplan süchtig macht, und sie kauft auch nicht im von Özdemir erwähnten Görlitzer Park. Sie klingeln eher beim großen Bruder eines Mitschülers, der sich in Studium oder Lehre ein paar Euro hinzuverdient, indem er etwas Gras umschlägt.
Das alles heißt nicht, dass das Vorhaben falsch ist. Die Legalisierung hilft aber den Heranwachsenden nicht. Kinder und Jugendliche brauchen vor allem sinnvolle Präventionsprogramme und Beschäftigung. Die Regierungskampagnen gegen das Komasaufen bei Jugendlichen haben da handfeste Erfolge vorzuweisen. Andere Länder zeigen, wie wichtig ein umfassendes und für alle zugängliches Sport- und Kulturangebot für Kinder ist, damit diese nach der Schule sinnvoll beschäftigt sind.
Und dann wäre da noch die Vorbildfunktion der Erwachsenen: Sowohl die hohe Zahl an Drogen- als auch Alkoholkonsumenten verweist auf die - auch im globalen Vergleich - große Lust der Deutschen am Rausch. Die Ursachen dieses Rauschbedürfnisses einmal gesamtgesellschaftlich zu debattieren, wäre ebenfalls ein "Fortschrittsprojekt".
Quelle: ntv.de