Politik

Ampel will das Hanf freigeben Wer kiffen will, soll selbst gärtnern oder in den Klub

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Ein Cannabis-Klub könnte auch mehrere Hundert Pflanzen für seine Mitglieder anbauen.

Ein Cannabis-Klub könnte auch mehrere Hundert Pflanzen für seine Mitglieder anbauen.

(Foto: picture alliance/KEYSTONE)

In Deutschland soll schon bald ganz legal gekifft werden dürfen. Die Konsumenten werden aber nicht - wie von der Ampel anfangs geplant - ihren Bedarf in Marihuana-Shops decken können. Das Vorhaben wird wegen europarechtlicher Hürden etwas komplizierter - und könnte dennoch scheitern.

Auf den ersten Blick ist es eine sehr deutsche Regelung, die Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und Bundesagrarminister Cem Özdemir am Mittwoch der Hauptstadtpresse vorstellen: eine Förderung des Vereinswesens nämlich. Wer in Zukunft legal Cannabis konsumieren möchte, soll sein Gras (Cannabis-Blüten) oder Haschisch (Cannabis-Harz) als Mitglied einer Vereinigung beziehen, die das Genussmittel gemeinschaftlich anbaut. Alternativ kann er oder sie selbst bis zu drei Pflanzen privat anbauen. Bis zu 25 Gramm Cannabis sollen Menschen straffrei mit sich führen dürfen. Daheim könnte dann aber durchaus auch mehr lagern: die Ernte des Privatanbaus oder die vom Cannabis-Klub ausgegebene Menge von bis zu 50 Gramm pro Monat. Selbst das Fahren unter THC-Einfluss soll möglicherweise bis zu einer bestimmten, als noch sicher eingestuften Konzentration erlaubt werden. Noch liegt der Grenzwert bei Nullkommanull.

"Wir wollen eine Möglichkeit schaffen, sich legal mit Cannabis zu versorgen", erläuterte Lauterbach das Vorhaben. Die strafrechtliche Verfolgung von Cannabiskonsumenten und -händlern sei gescheitert. Der Kinder- und Jugendschutz sei angesichts der Allgemeinverfügbarkeit der Droge durch den Schwarzmarkt nicht gegeben. Zudem gehe es um den allgemeinen Gesundheitsschutz, weil illegal gehandelte Cannabisprodukte oft verunreinigt sind oder unnötig potent. Die Hoffnung sei, ergänzte Özdemir, "dass mit den Cannabis-Klubs eine attraktive Alternative geschaffen wird, sodass der Schwarzmarkt eingedämmt, zurückgedrängt wird." Und: "Der Schwarzmarkt wird sich - wenn man so will - schwarz ärgern."

Geschmunzelt und gewitzelt wird ja gern beim Thema Cannabis. Özdemir erläuterte die Cannabis-Klub-Gründung am Beispiel einer potenziell interessierten Hauptstadtredaktion. Als Lauterbach auf Nachfrage einer niederländischen Reporterin bekannte, er kenne sich mit der niederländischen Cannabis-Politik seit seiner Studentenzeit in Aachen sehr gut aus, schmunzelte Özdemir wissend. Die offenbar noch zahlreichen ungeklärten Details erklärte Lauterbach so: "Ich will Ihnen einen Geschmack dafür auftischen, dass wir mit Präzision vorangehen."

Kein Widerstand von EU und Bundesrat erwartet

Ihren ursprünglichen Plan, kommerzielle Lieferketten und Fachgeschäfte zur Abgabe von Cannabis zu schaffen, verfolgt die Ampel weiter: Zusätzlich zur Legalisierung begrenzter Mengen soll es im Rahmen einer zweiten Säule künftig Modellregionen geben, in denen genau das ausprobiert werden darf. Dies sei die Konsequenz aus "vertraulichen" Gesprächen mit der EU-Kommission Ende letzten Jahres, sagte Lauterbach. Danach wurde der ursprüngliche Legalisierungsplan begraben und die nun vorgestellte Legalisierung light ausgearbeitet. Die auf fünf Jahre angelegten Modellprojekte sollen evaluiert werden und die Grundlage bilden, um die Cannabis-Legalisierung europaweit voranzubringen.

Einen Gesetzentwurf will Lauterbach nach der parlamentarischen Sommerpause vorlegen. Er soll am Bundesrat vorbeigehen und somit von der Union nicht verhindert werden können. Da die Umsetzung - beispielsweise die Kontrolle der Cannabis-Klubs - bei den Ländern liegt, ist Widerstand aber wahrscheinlich. Dagegen scheint sich Lauterbach sicher zu sein, dass die Teil-Legalisierung von Cannabis und die Zulassung von Modellregionen nicht an Brüssel scheitert.

Wer soll das alles kontrollieren?

Damit steht die Bundesrepublik vor nicht weniger als einem Paradigmenwechsel in der Cannabispolitik: Wer volljährig ist, soll die Möglichkeit zum legalen Besitz und Konsum erhalten. Wie das in der Praxis genau funktionieren soll, ist aber mit zahlreichen Fragezeichen versehen. Die von Lauterbach und Özdemir angedachten Cannabis-Klubs müssten aufwendig kontrolliert werden, damit die Anbau-Orte von Hunderten bis wenigen Tausend Pflanzen sicher sind vor einem Zugriff durch Dritte. Auch die Qualität und die Abgabe nur an Klubmitglieder soll sichergestellt werden.

Da Gelegenheitskonsumenten mit ihren Privatpflanzen oder Klubmitgliedschaften sich eher einem Überangebot ausgesetzt sehen, ist eine Weitergabe an Vertraute im Alltag wohl eher Regel als Ausnahme. Auch dass der private Anbau von bis zu drei Pflanzen nicht Kinder und Jugendliche gefährdet, die im gemeinsamen Haushalt leben, dürfte sich in der Praxis jeder Kontrolle entziehen. Die erlaubten Besitzmengen, die jeden vernünftigen Privatkonsum weit übersteigen, dürften es zudem der Polizei erschweren, den verbleibenden Schwarzmarkt zurückzudrängen. Dass es irgendwo "verdächtig riecht", dürfte in Zukunft kaum noch Anlass zu polizeilichen Maßnahmen geben.

Noch mehr Fragen wirft das angedachte Modellvorhaben mit kommerziellen Lieferketten auf. Wer soll wo Cannabis unter welchen Auflagen für den Verkauf en gros anbauen dürfen? Wer möchte auf Verdacht hin einen kommerziellen Cannabis-Shop eröffnen, wenn das Ganze nach wenigen Jahren schon wieder vorbei sein könnte? Welche Regionen haben überhaupt Interesse daran, Versuchsregion zu werden? Zumal ihnen eine neue Form des Tourismus droht: Kiffer aus anderen Regionen, die zum Einkaufen anreisen.

"Wir werden umfängliche Schutzmaßnahmen ergreifen gegen Tourismus", sagt Lauterbach. So könnte etwa die maximal erlaubte Abgabemenge eines Geschäfts an die maximal mögliche Konsummenge einer Region gekoppelt und so gedeckelt werden. Özdemir räumt ein, dass bei den Auflagen für Cannabis-Klubs und kommerziellen Anbau ein "Spannungsverhältnis" bestehe. Wird das legale Cannabis zu teuer, bleibt der Schwarzmarkt attraktiv. Das lehrt das Beispiel der kanadischen Legalisierung.

Wo ist die FDP?

Auch andere Fragen sind ungeklärt: Strittig ist, ob in den Cannabis-Klubs auch konsumiert werden darf, wie es etwa in den spanischen social clubs erlaubt ist. Zuwider sind Lauterbach zudem sogenannte edibles: oft in Form von Gummibärchen, Keksen oder anderen Lebensmitteln verkaufte Cannabis-Produkte. Diese sind in Nordamerika, wo das Rauchen noch verpönter ist als in Europa, populär. Özdemir und beteiligte Abgeordnete der Ampel-Fraktionen sind mit Blick auf den Raucherschutz deshalb offen für diese Produkte. Lauterbach will sie zum Wohl des Kinder- und Jugendschutzes lieber nicht gestatten.

Auffällig war, dass bei der Vorstellung des Vorhabens kein FDP-Vertreter anwesend war. Die Partei hat sich die Legalisierung eigentlich auf die Fahnen geschrieben. Bundesjustizminister Marco Buschmann entschuldigte sich durch Urlaub und ließ sich mit der Erklärung zitieren: "Der bisherige restriktive Umgang in Deutschland mit Cannabis ist gescheitert. Das Verbot von Cannabis kriminalisiert unzählige Menschen, drängt sie in kriminelle Strukturen und bindet immense Ressourcen bei den Strafverfolgungsbehörden."

Özdemir hingegen erschien zu der Pressekonferenz, obwohl das Thema nicht in sein Ressort fällt. Er sei hier "auch als Vertreter einer politischen Kraft", sagte er. Die Grünen kalkulieren offenbar damit, dass das Thema ihren Wählerinnen wichtig ist. Bei der FDP scheint man sich da weniger sicher zu sein.

(Dieser Artikel wurde am Mittwoch, 12. April 2023 erstmals veröffentlicht.)

Quelle: ntv.de

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