Zwischenruf Obama: Vom Paulus zum Saulus
10.05.2011, 14:19 Uhr
Muslime verbrennen in Pakistan ein Banner mit dem US-Präsidenten.
(Foto: AP)
Systematisch versuchen die USA, die Al-Kaida-Terrorführer auszuschalten. Osama bin Laden ist bereits tot. Doch hätte er – wie alle anderen Verbrecher auch – vor ein ordentliches Gericht gehört. Das Völkerrecht, an dem insbesondere Washington einst stark mitwirkte, muss gelten.
Die Einschläge werden dichter, und das ist im Falle von Barack Obama ganz wörtlich zu nehmen. Vorgestern Osama bin Laden, gestern Anwar al-Awlaki und morgen? Wohlgemerkt: Bei den Getöteten oder jenen, bei denen die Tötung (noch) nicht gelungen ist, handelt es sich um Verbrecher, die vor ein ordentliches Gericht gehören. Doch immer noch gilt der eherne Völkerrechtsgrundsatz der territorialen Integrität und Souveränität. Die Vereinigten Staaten gehören zu den Gründungsmitgliedern der Vereinten Nationen und mithin zu den Erstunterzeichnern der Charta. Mehr noch: Die USA haben an entscheidender Stelle an der Erarbeitung des Textes mitgewirkt. Zu Recht haben die parlamentarischen Demokratien und sogar Moskau-kritische Linke die Breschnew-Doktrin der eingeschränkten Souveränität der Mitgliedsstaaten des Warschauer Vertrages kritisiert.
Nichts anderes praktizierten und praktizieren die USA mit ihrem Einmarsch in Somalia, im Irak und Afghanistan, mit dem Einsatz von Drohnen genannten unbemannten Tötungsmaschinen und Killerkommandos außerhalb des eigenen Territoriums. Es ist unstrittig, dass pakistanische Stellen, Dienste oder Ämter von der Anwesenheit des Mordbuben in ihrem Lande gewusst und ihn geduldet, wenn nicht unterstützt haben.
Völkerrecht verletzt
Gleichwohl bleibt es eine eklatante Verletzung des Völkerrechts, wenn US-Spezialeinsatzkräfte bei Nacht und Nebel in das Hoheitsgebiet eines fremden Landes, das obendrein noch als Verbündeter gilt, eindringen. Gleiches gilt für die misslungene Tötung des Hasspredigers Anwar al-Awlaki im Jemen. Dort hatten die US-Streitkräfte "Drohnen" nur zu Aufklärungszwecken eingesetzt. Was, wenn irgendeine Terrorgruppe oder gar ein Staat auf die Idee käme, eine "Drohne" auf den evangelikalen US-Hassprediger und Koranverbrenner Terry Jones abzufeuern?
Um weltweit glaubhaft demokratische Werte vertreten und durchsetzen zu können, müssen die USA die Militarisierung ihrer Außenpolitik aufgeben und auf den Weg des Dialogs zurückkehren. Die Hoffnung war groß, als Barack Obama sein Amt antrat und wohl der erste Friedensnobelpreisträger war, der geehrt wurde, obgleich er noch nichts für den Frieden getan hatte, außer darüber zu reden. Mit jeder Drohne und jedem Killerkommando aber steigt die Wahrscheinlichkeit, dass aus der Friedentaube endgültig ein Racheengel wird. Der umgekehrte Saulus-Effekt, sozusagen.

Manfred Bleskin kommentiert seit 1993 für n-tv das politische Geschehen. Er war zudem Gastgeber und Moderator verschiedener Sendungen. Seit 2008 ist Bleskin Redaktionsmitglied in unserem Hauptstadtstudio in Berlin.
Quelle: ntv.de