Person der Woche

Person der Woche: Cem Özdemir Bauernproteste bringen Kretschmann-Erben ins Wanken

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Cem Özdemir hat beste Aussichten, für die Grünen die Kretschmann-Nachfolge in Baden-Württemberg anzutreten. Doch die Bauernproteste bringen den Karriereplan des Bundesministers schwer in Bedrängnis. Er blufft und laviert, doch er versteckt sich nicht.

Winfried Kretschmann regiert als Deutschlands einziger grüner Ministerpräsident. Er ist 75 Jahre alt und hört mit dieser Legislatur als Landesvater in Baden-Württemberg auf. Cem Özdemir gilt als Favorit der Grünen-Spitze, um die strategisch wichtige Position zu verteidigen - und alles schien bis vor wenigen Wochen gut vorbereitet. Laut einer vorweihnachtlichen Erhebung des Instituts Allensbach im Auftrag des "Staatsanzeigers" war Özdemir 23 Prozent der Befragten im Ländle als Kretschmann-Nachfolger am liebsten, noch vor denkbaren CDU-Konkurrenten. Die örtlichen Grünen-Konkurrenten wirken neben ihm chancenlos: Finanzminister Danyal Bayaz kam auf schmale drei Prozent, Grünen-Landtagsfraktionschef Andreas Schwarz auf zwei Prozent.

Doch mit den Bauernprotesten gerät Özdemirs Karriereplan gewaltig ins Wanken. Gerade im mittelständisch geprägten Baden-Württemberg kommt die Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Ampel gar nicht gut an. Mehrbelastungen für die Bauern, Handwerker und Spediteure sorgen im Südwesten für weiträumige Empörung. Bauernverbandspräsident Joachim Rukwied kommt selbst aus Baden-Württemberg und mobilisiert vor Ort eine breite Widerstandsbewegung.

Die Grünen im Allgemeinen und Cem Özdemir als Bundeslandwirtschaftsminister im Besonderen stehen im Zentrum der Kritik. An den Stammtischen im Ländle kursieren seither bohrende Fragen wie: Hat Özdemir die Steuererhöhungen für Bauern als Minister nicht doch direkt zu verantworten? Ruiniert die grüne Energie- und Klimapolitik den Wirtschafts- und Agrarstandort? Steht Özdemir für Öko-Verbotspolitik? Kurzum: Es wachsen Zweifel, ob Özdemir den Trick Kretschmanns wiederholen kann, eigentlich CDU-Politik zu betreiben, sie nur im grünen Gewand freundlich zu verkaufen.

Einer der Besten in den Reihen der Grünen

Özdemir gehört zum Besten, was die Grünen an Personal zu bieten haben: charismatisch, rhetorisch stark, konstruktiv, offen, bodenständig und verbindlich. Der anatolische Schwabe war zehn Jahre Parteivorsitzender; er verkörpert neben Winfried Kretschmann die mittig anschlussfähige, bürgerliche Grünenpartei und liegt in Beliebtheitsumfragen der Republik regelmäßig auf vorderen Plätzen. Doch seit dem Erfolg von Winfried Kretschmann bei der Wahl vor drei Jahren mit 32 Prozent für die Grünen hat sich die Stimmung gedreht: Die Grünen sind auch in Baden-Württemberg massiv im Abwärtstrend, jetzt kommen die Bauernproteste dazu. Die Aussichten sind für Özdemir schwierig geworden.

Das Amt des Bundeslandwirtschaftsministers ist ihm bei den Ampelkoalitionsverhandlungen unter grotesken Umständen zugefallen wie einem Diplomaten der Schweinestall. Ein Agrar-Experte war Özdemir nie - anders als etwa der lange hoch gehandelte Anton Hofreiter. Doch den Grünen-internen Machtkampf zwischen Fundis und Realos entschieden die Realos für sich - und für Özdemir. Doch für den studierten Sozialpädagogen war die Mission von Anfang an heikel. Er fremdelt mit Thema und Milieu. Er hätte als Außenminister, der auch einem Erdogan die Stirn bieten kann, besser gepasst.

Immerhin hat sich Özdemir bislang dem negativen Meinungsstrudel zur Ampel halbwegs entziehen können. Die katastrophalen Umfragewerte betrafen sein Amt kaum. Doch seit den hastigen Dezemberbeschlüssen steht er mitten im politischen Feuer. Özdemir hat die Krise offensiv angenommen. Anders als der Bundeskanzler duckt er sich vor den Protesten nicht weg, sondern stellt sich den Bauern und der Debatte. Seine Losung: "Schwätza muass mer mit de Leit." Das ist in dieser Beschlusslage denkbar schwierig, doch Özdemir ist ein politischer Profi: Seine kommunikative Verteidigungsstrategie hat vier taktische Elemente:

Ahnungslos und unkollegial

Erstens: das Unschuldslamm geben. Als die Entscheidungen bekannt wurden und die Wutwelle aufbrandete, ließ Özdemir wissen, er sei an dem Beschluss nicht beteiligt gewesen, mithin unschuldig. Es heißt sogar, er habe Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der für die Grünen das Haushaltssparpaket verhandelte, vor einer kurzfristigen Mehrbelastung der Landwirte explizit gewarnt. Doch diese Darstellung ist riskant. Özdemir wirkt wie ein ohnmächtiger Minister, der bei einer Schlüsselentscheidung zu seinem Ministerium nicht einmal gefragt wird.

Zweitens: den tapferen Widerständler mimen. Özdemir verbreitet lustvoll die Version, dass er sich den Beschlüssen von Scholz, Habeck und Lindner vehement entgegenstelle und mit seinem Veto schon einige Korrekturen erreicht habe. Damit aber fällt er seinen Kabinettskollegen und dem Bundeskanzler offen in den Rücken - ob nur zum Schein oder tatsächlich. Es vertieft das Bild einer Regierung, die unprofessionell, zerstritten und sprunghaft herumstümpert. Auch die Widerständler-Inszenierung gegen seine eigene Partei ist heikel. Im ZDF kritisierte er Grüne, die mit "moralinsaurer Haltung durch die Landschaft ziehen". Das Urteil ist zwar mehrheitsfähig, aber sich auf Kosten der eigenen Parteikollegen zu profilieren, könnte ihm irgendwann auf die Füße fallen, wenn er genau diese moralinsauren Kollegen einmal brauchen sollte - etwa um Ministerpräsident zu werden.

Schuldzuweisungen und Ablenkungen

Drittens: das Schwarze-Peter-Spiel spielen, die Verantwortung also anderen zuzuschieben, am besten der Vorgänger-Regierung. "Der Karren ist so tief im Dreck, um mal bildlich zu sprechen, dass wir alle miteinander arbeiten sollten und jetzt nicht so sehr Parteipolitik machen sollten, wie es meine Vorgängerin vorher gemacht hat", schimpft Özdemir über seine Amtsvorgängerin, die CDU-Politikerin Julia Klöckner. "Der Agrardiesel alleine hat nicht den Zorn ausgelöst, sondern was den Zorn ausgelöst hat, ist, dass jahrzehntelang den Bauern Dinge versprochen wurden von wechselnden Regierungen, die dann nur zum Teil oder gar nicht gehalten worden sind." Der Bundesagrarminister betont: "Landwirte denken in Generationen, wir denken in Legislaturperioden - und das ist das Problem." Diese Verteidigungsstrategie ist wenig riskant, aber auch billig und durchschaubar.

Viertens: die Debatte vom Agrardiesel weglenken. Das tut Özdemir, indem er plötzlich einen "Bauern-Soli" als "Tierwohl-Abgabe" vorschlägt. Diese Taktik hat die besten Chancen, den Konflikt zu minimieren und Özdemir aus dem politischen Feuer zu holen. Er steht als positiver Gestalter da, als einer, der den Bauern und dem Tierschutz helfen will. Das Problem bei dieser Taktik: Damit käme zu einer Steuererhöhung beim Agrardiesel auch noch eine Preiserhöhung für Nahrungsmittel hinzu. Will er in Baden-Württemberg punkten, indem unter den Grünen tatsächlich alles teurer wird?

Zieht Kretschmann durch?

Die Manöver zeigen, dass Özdemir in einer verzwickten Lage steckt und schwer unter Druck geraten ist. Sie zeigen aber auch seine Beweglichkeit und politische Cleverness. Ob die aber jenseits der städtischen Milieus von Stuttgart, Freiburg und Heidelberg überzeugt, ist fraglich. Özdemir hat im ländlichen Raum Baden-Württembergs durch den Konflikt massiv an Akzeptanz verloren, die Menschen im Schwarzwald, in Baden, Hohenlohe oder Oberschwaben gehen auf Distanz. Seine Chancen, im Südwesten Ministerpräsident zu werden, sind deutlich gesunken.

Damit wird es spannend, ob er den Gang nach Stuttgart trotzdem wagt. Noch in diesem Jahr werden die Kandidatenlisten für die Bundestagswahl 2025 aufgestellt. Özdemir muss sich also entscheiden, ob er wieder in Stuttgart für die Bundestagswahl antritt, wo er für die Grünen 2021 sensationelle 39,9 Prozent der Erststimmen holte. Die Entscheidung, wer im Frühjahr 2026 als Spitzenkandidat für die Grünen antritt, soll frühestens in einem Jahr fallen. Bis dahin fließt noch viel Zeit den Neckar herunter.

Sollte Kretschmann aber doch nicht bis zum Ende der Legislaturperiode in Amt und Würden bleiben, könnte es ganz schnell gehen und sein Nachfolger noch vor der nächsten Landtagswahl übernehmen. Nach den Bauernprotesten wird Özdemir jedenfalls eher nicht als strahlender Bundesminister von Berlin nach Stuttgart zurückkehren. Dabei war doch genau das der Plan gewesen.

Quelle: ntv.de

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