"Hau ab, hau ab!" Lindner bekommt die geballte Wut der Bauern ab


Lindner zeigte sich kämpferisch und verteidigte das Regierungshandeln. Doch er machte den Landwirten auch ein Gesprächsangebot. Bauernpräsident Rukwied (im Hintergrund) tat sein Möglichstes die aufgebrachten Demonstranten zu beruhigen.
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Bei der großen Demo der Bauern in Berlin versucht Finanzminister Lindner, diese mit einer geschickten Rede zu erreichen. Doch ein Teil der Demonstranten buht ihn nieder, zu hören ist er kaum. Ein Befreiungsschlag war das nicht.
Vor Tausenden aufgebrachten Bauern zu sprechen, ist nicht unbedingt ein Wohlfühltermin für einen Finanzminister. Das Brandenburger Tor ist nur einen Kilometer von Christian Lindners Arbeitsplatz entfernt, doch an diesem kalten Mittag wird sein Auftritt zum Auswärtsspiel.

Theresa Schmidt vom Landjugend Bundesverband sprach vor Lindner - und zeigte ihm die Gelbe Karte.
(Foto: IMAGO/Marten Ronneburg)
Buhrufe, Tröten und Pfiffe bilden den Geräuschteppich, gegen den der FDP-Chef mit wachsender Lautstärke anredet, mitunter auch schreit. Schon seine Vorredner kassieren Buhrufe, sobald sie die Landwirte dazu auffordern, dem prominenten Gastredner zuzuhören. Bauernpräsident Joachim Rukwied unterbricht Lindner sogar nach wenigen Sätzen und wedelt beruhigend mit den Armen vor der Menschenmenge. Vergeblich. "Hau ab, hau ab", skandiert zumindest ein Teil des Publikums. Die Bauern protestieren wegen der Ampel-Pläne, die Agrardieselhilfe zu kappen. Doch es geht vielen längst um mehr. Kurz gesagt: um eine aus ihrer Sicht jahrzehntelange verfehlte Politik zu Lasten der Bauern.
Genau diese Stimmung versucht Lindner aufzugreifen. Er bleibt zwar in der Sache hart, versucht aber trotzdem, Verständnis und Entgegenkommen abseits des Agrardiesels und Gesprächsbereitschaft zu zeigen. "Es soll und darf kein Sonderopfer der Landwirtschaft geben, sondern nur einen fairen Beitrag", sagt er und verweist darauf, dass die Bauern neun Milliarden Euro pro Jahr an Subventionen bekommen. Er geht aber nicht auf Konfrontationskurs. Äußerungen wie beim Dreikönigstreffen der FDP - "Sie haben sich verrannt! Kehren Sie um!" - unterlässt Lindner.
Eigentlich ist es für Lindner aussichtslos
Jetzt lobt er die Friedlichkeit der Proteste und dass sie so anders seien als die der Klimakleber. Mit der Beschwörung gemeinsamer Gegner will er offenbar die Chancen steigern, offene Ohren zu finden. Er wendet diese Strategie später noch einmal an, als er gegen Bürgergeldempfänger und Asylbewerber wettert. "Mich ärgert es, dass ich vor Ihnen, fleißigen Menschen, über Kürzungen sprechen muss, während auf der anderen Seite Menschen fürs Nichtstun Geld bekommen."
Eigentlich tritt Lindner da ein aussichtsloses Unterfangen an - schon vorab hat er deutlich gemacht, dass er dem Wunsch der Bauern nicht nachkommen will. Erschwerend kommt hinzu, dass er selbst nicht nur ein Vertreter der bei vielen Demonstranten verhassten Ampel-Koalition ist, sondern auch noch mit Kanzler Olaf Scholz und Wirtschaftsminister Robert Habeck Teil der Dreierrunde war, die die Kürzungen beschlossen hatte. Doch die Ampel muss bei diesen Protesten Gesicht zeigen. Kurz vor Weihnachten hatte Lindner noch abgesagt, stattdessen sprach Landwirtschaftsminister Cem Özdemir allein. Scholz scheint heute schon etwas anderes vorgehabt zu haben, insofern war es folgerichtig, dass sich der fürs Sparen zuständige Finanzminister den Demonstranten stellt.
Im Publikum am Brandenburger Tor sind die Menschen wütend, haben erkennbar die Nase voll. Manche Typen wirken wenig dialogbereit. Zum Beispiel der mit einer Zigarette im Mundwinkel, der seine Motorsäge - immerhin ohne Kette - immer wieder aufheulen lässt. Oder der mit den rechtsextremen Tattoos. Oder der mit dem Plakat, auf dem steht: "Politpack abschaffen". Es gibt aber auch freundlichere Bilder. Pinke Ballons in der Mitte der Zuhörerschaft, Plakatsprüche wie "Zusammen für eine vernünftige Politik" oder der Mann, auf dessen Jacke "Rehkitzrettung" steht. Viele Plakate zeugen von Humor: "Ich bin so sauer, dass ich sogar ein Plakat gemalt habe". Den Spruch kennt man von Fridays-for-Future-Demos. Dazwischen jede Menge Männer und einige Frauen, denen der Bauernpräsident wohl aus der Seele spricht, als er ruft: "So geht es nicht weiter."
Lindner streicht die Erfolge des Protests heraus: Eine ursprünglich geplante KFZ-Steuer für Agrar-Fahrzeuge wurde bereits wieder gekippt und das Ende der Dieselhilfe wird auf drei Jahre gestreckt. Mit dem unangenehmen Nebeneffekt für die Ampel-Koalition, dass dieses Nachgeben die Wut der Landwirte keinen Deut schmälerte. Zugleich wirbt Lindner um Verständnis für seine Lage als Finanzminister. "Von Ihrem Geld zahle ich jedes Jahr 40 Milliarden Euro Zinsen. Immer mehr Schulden zu machen, wäre unverantwortlich", sagt er. "Viele in der Politik wollen den leichten Weg gehen, also Steuern erhöhen". Das lehnt er erwartungsgemäß ab - wie er aber zu einer Tierwohlabgabe steht, wie sie die Grünen fordern, sagt er nicht.
Das mit dem Pferdestall sorgt für Lacher
Lindner ist ein erfahrener Wahlkampfredner, und diese Fähigkeit kommt ihm hier zupass. Das Feindbild der Bauern versucht er aufzubrechen und den Blick vom Thema Agrardiesel abzulenken. "Viele von Ihnen glauben, hier in Berlin würden irgendwelche Städter Politik gegen das Land machen", ruft er in die Menge. "Ich komme aus dem Bergischen Land und bin neben Wald, Wiesen und Feldern aufgewachsen." Er sei Jäger und wenn er den Pferdestall ausgemistet habe, sei er schon erschöpft. Er wisse also, wie hart die Bauern arbeiten.
Das ist einerseits geschickt formuliert, andererseits sorgt der Verweis auf die Pferdeställe auch mancherorts für Gelächter - sofern der Minister überhaupt verstanden wurde. Denn die Beschallung ist schlecht, in einigen Bereichen sind Lindner und seine Vorredner gar nicht zu verstehen. Auch als er sagt, er habe nach vielen Gesprächen "ein Gefühl" für die Situation der Landwirte, lachen manche.
"Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesels hier sind", schreit er. "Es hat sich doch über Jahre und Jahrzehnte etwas aufgestaut! Lassen Sie uns darüber sprechen!" Auch das ist rhetorisch gewieft, denn genau das sagen viele Bauern und Bauernvertreter seit Tagen: Dass das geplante Ende der Dieselbeihilfe nur das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Oder, wie es ein Landwirt gegenüber ntv.de ausdrückte: Es sei wie ein ganzer Eimer gewesen, der noch ins Fass geschüttet worden sei. Deswegen schwappe es nun so stark heraus.
Ampel-Fraktionen beginnen Dialog
Lindner bietet den Bauern an, "über die Situation insgesamt" zu sprechen. Jetzt sei die Zeit, die umstrittene Vorgabe der EU, dass die Bauern vier Prozent ihrer Fläche stilllegen müssen "infrage zu stellen" und über "überzogene Umweltstandards zu diskutieren". Jetzt sei die Gelegenheit, die "ideologische Bevormundung" der Betriebe "zu benennen".
Das sind wichtige Schlagworte aus dem Kummerkasten der Bauern - doch statt "infrage stellen", "diskutieren" und "benennen" wäre es vermutlich den meisten Anwesenden lieber gewesen, er hätte jedesmal "abschaffen" gesagt. Das Blaue vom Himmel will der Minister den Demonstranten aber offenbar nicht versprechen. Sein Dialog-Angebot geht Hand in Hand mit dem der Ampel-Parteien. Die Fraktionschefs von SPD, Grünen und FDP treffen nach der Kundgebung mehrere Bauernvertreter. Man sei sich einig gewesen, dass man jetzt keine neue Kommission brauche, sagt Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann anschließend. Die Bauernvertreter stimmen ihr darin zu, dass es kein Erkenntnisproblem gebe, sondern ein Umsetzungsproblem. Umsetzen, das ist allerdings der Job der Regierung. Auf allzu große Geduld kann sie dabei nicht mehr zählen.
Quelle: ntv.de