HessenAfD-Jugend in Gießen - OB ruft zu gewaltfreiem Protest auf

Angst vor Krawallen und juristisches Tauziehen - in Gießen wächst vor dem Gründungstreffen der AfD-Jugend und den erwarteten Gegenprotesten die Anspannung.
Gießen (dpa/lhe) - Gießens Oberbürgermeister Frank-Tilo Becher (SPD) hat vor dem Gründungstreffen der neuen AfD-Jugendorganisationen die Teilnehmer von Gegenprotesten aufgerufen, friedlich zu bleiben. "Die Grenze des Erträglichen ist dort überschritten, wo zu Gewalt aufgerufen oder Gewalt eingesetzt wird", sagte Becher in Gießen.
Die neue AfD-Jugendorganisation namens "Generation Deutschland" will sich am 29. und 30. November in der mittelhessischen Stadt gründen. Die Polizei bereitet sich auf einen Großeinsatz vor.
Oberbürgermeister erhält Hetzmails "von Links und Rechts"
Ihn erreichten derzeit viele Mails, darunter hetzende "von Links und Rechts", so Becher. Mal werde dem Magistrat vorgeworfen, man habe die Antifa "in die Stadt geholt", dann wieder, man rolle der AfD "den roten Teppich aus". Das sei "alles Unsinn", so der Oberbürgermeister.
Bürgerinnen und Bürgern schrieben ihm zudem, sie hätten Angst "vor kriegsähnlichen Zuständen" und davor, dass die Stadt verwüstet werde. Dies sei oft verbunden mit der Aufforderung, entweder die AfD-Veranstaltung oder die Gegenproteste zu verbieten. Es würden einfache Lösungen verlangt, die aber nicht durchsetzbar seien.
Man blicke mit Anspannung auf das Wochenende, für das mittlerweile rund 30 Versammlungen mit rund 50.000 Teilnehmern angekündigt seien. Man habe sich aber darauf auch mit großer Energie und Sorgfalt vorbereitet und stehe in guter Zusammenarbeit mit der Polizei.
Sein größter Wunsch sei, dass das Wochenende in Gießens Geschichtsbücher eingehe als die "größte Demonstration für Toleranz, für Freiheit und für die Werte der Demokratie", so der Oberbürgermeister.
OB: Demokratiedebatte wird in Gießen ausgetragen
Es bereite Sorge, dass das Vertrauen in den demokratischen Staat aktuell in Deutschland permanent zur Disposition stehe, so Becher. Es gehe um die Frage, "wir wir künftig leben wollen" - in einer offenen, vielfältigen und freien Gesellschaft oder "in einem abgeschotteten Land, in dem viele von uns nicht mehr willkommen und vieles nicht mehr erlaubt sein würde." Wie in einer "Miniatur" werde diese Debatte an diesem Wochenende nun in Gießen ausgetragen.
Absperrungen und juristisches Tauziehen um Versammlungen
Bei der Pressekonferenz stellte Bürgermeister Alexander Wright (Grüne) unter anderem auch Absperrungen und Verkehrseinschränkungen in Gießen am Wochenende vor und äußerte sich zum aktuellen Stand des juristischen Streits um geplante Versammlungen.
Mehrere Anmelder hatten sich vor Gericht gegen Auflagen für räumliche Beschränkungen der Stadt gewandt. Der Deutsche Gewerkschaftsbund Hessen-Thüringen scheiterte zunächst mit einem Eilantrag vor dem Verwaltungsgericht Gießen und hatte Beschwerde dagegen vor dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) in Kassel eingelegt.
Erwartet werden zu dieser Versammlung rund 30.000 Teilnehmende, damit ist sie nach Angaben der Stadt die größte angemeldete Veranstaltung.
Linke-Kundgebung genehmigt - Stadt legt Beschwerde ein
Die Linke wiederum darf laut einer Gerichtsentscheidung in der Nähe des Gründungstreffens eine Kundgebung mit rund 1.000 Teilnehmenden abhalten. Das Verwaltungsgericht Gießen gab einem Eilantrag der Partei statt. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig, die Stadt kündigte Beschwerde dagegen vor dem VGH an.
Stattfinden dürfen nach einer weiteren, noch nicht rechtskräftigen Entscheidung der Gießener Verwaltungsrichter auch drei Kundgebungen von Attac mit jeweils 20 bis 50 Teilnehmern. Auch dagegen will die Stadt Beschwerde einreichen.
Präsenzpflicht für Schulen in der Innenstadt am Freitag ausgesetzt
Wegen der Proteste und der Absperrungen, die von Freitagabend an eingerichtet werden, wird für die Schulen im Gießener Innenstadtbereich sowie für Schulen in innenstadtnahen Stadtteilen am Freitag die Präsenzpflicht ausgesetzt.
Die Eltern könnten entscheiden, ob sie ihre Kinder morgens zum Unterricht schickten oder nicht und dies dann wie bei einer Krankmeldung der Schule mitteilen, wie die Stadt bekanntgab. Entsprechend gelte dies für volljährige Schülerinnen und Schüler. Ein Unterrichtsangebot beziehungsweise eine Betreuung bis 13.00 Uhr werde in den Schulen eingerichtet.
Am Vortag hatte sich Hessens Innenminister wegen der erwarteten Ereignisse in Gießen besorgt gezeigt und vor allem mit Blick auf Gewaltaufrufe aus der linken Szene von einer "herausfordernden Großlage" gesprochen. Die Polizei werde mit einer mittleren vierstelligen Zahl an Kräften aus Hessen und 14 weiteren Bundesländern sowie Beamten der Bundespolizei in Gießen im Einsatz sein.
Stadttheater sagt Vorstellungen für Samstag ab
Das Gießener Stadttheater sagte die für Samstag geplanten Vorstellungen ab. Mehr als 300 Karten seien in den letzten Tagen zurückgegeben worden und zahlreiche Mitarbeitende hätten berechtigte Sorge, nicht in das Theater kommen zu können, hieß es auf der Homepage. "Sorgen muss man ernst nehmen, und ohne Publikum können wir nicht spielen." Man bedauere die Absage, begrüße aber "die überwältigende Anzahl an Gegendemonstrant*innen." Die Entscheidung sei gemeinsam mit dem Betriebsrat und im Austausch mit der Belegschaft getroffen worden.
Weidel: "Mir wird nichts passieren"
AfD-Chefin Alice Weidel kritisierte Gewaltaufrufe gegen den Gründungskongress. "Mir wird nichts passieren, das weiß ich", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur mit Blick auf den ihr gewährten Polizeischutz. "Aber ich mache mir immer Sorgen über die Wege, die unsere Leute gehen müssen." Es sei ein reiner Spießrutenlauf - wie komme man vom Hauptbahnhof zur Veranstaltungshalle, wie vom Parkplatz zum Eingang? "Das sind Fragen, die wir uns permanent vorab stellen müssen."