Sonnenstrahlen auf dem Gesicht Australien: 22 Stunden Flug, die sich lohnen
27.09.2023, 18:32 Uhr
Banu Banu - könnte auch "herrlich herrlich" heißen, oder?
(Foto: ©Frauke Rüth)
Im australischen Northern Territory kommen Besucher und Besucherinnen der Kunst und Kultur der Aboriginal-Bevölkerung nahe. Unsere Autorin hat sich Down Under umgesehen - und wollte gar nicht mehr zurück.
Das Gefühl von Wärme auf dem Gesicht, wenn es frühmorgens von den ersten Sonnenstrahlen getroffen wird: Buku-Larrŋggay. Niemand könnte das sanfte Erwachen des Tages besser in Worte kleiden als die Aborigines, die vor über 50.000 Jahren begannen, auf dem riesigen, australischen Kontinent zu leben. Und wirklich: Erreicht man nach mehr als 22 Stunden Flug Darwin, die Hauptstadt des Northern Territory, und reckt das müde Antlitz gen Himmel, stellt sich sofort ein Gefühl der Ruhe ein. Endlich angekommen. Es geht entspannt zu, kein Drängeln am überschaubaren Flughafen, gemütlich tuckert der ein oder andere Truck vorbei, um jemanden aufzulesen.
Buku-Larrŋggay. Der Ausdruck für den Sonnenaufgang entstammt einer der 300 verschiedenen Aboriginal-Sprachen. Die Sonne findet sich auch in der schwarz-rot-gelben Flagge wieder, die für alle indigenen Völker im Land steht und mittlerweile eines der offiziellen australischen Banner ist; Schwarz symbolisiert die Gemeinschaft, Rot die spirituelle Verbindung zur Erde. Heute stellen die Aboriginal-people mit 650.000 Menschen gerade mal drei Prozent der australischen Gesamtbevölkerung. Hier, im Northern Territory, wohnt der überwiegende Teil, denn die Europäer siedelten erst vergleichsweise spät auf diesem Gebiet.
Natürlich kommt es trotz Müdigkeit nach der langen Reise nicht in Frage, vom Flughafen aus erstmal ins Hotel zu fahren, um zu schlafen. Stattdessen heißt es: Ab aufs Darwin Festival, das jedes Jahr im August zweieinhalb Wochen lang unter freiem Himmel im Stadtpark mit Konzerten, Comedy und Ausstellungen gefeiert wird. Und Unmengen von leckersten Speisen, die die ortsansässigen Restaurants aus Pop-Up-Buden heraus anbieten. Am Stand des Lokals "Ella By Minoli" etwa gibt es köstliches Auberginen-Curry, das man prima auf einer der Bänke unter den mit Lampions geschmückten, gelben Jacaranda-Bäumen verspeisen kann, während man dem Folk-Konzert der Singer-Songwriterin Alice Cotton zuhört. Nur ein paar Meter weiter bietet sich ein ungewöhnliches Bild: Eine Gruppe Menschen in orangefarbenen Gewändern und Kopfhörern übt sich in Silent-Disco-Moves - dem Tanzen im trägen Nachmittagswind, ohne dass die Umstehenden die Musik hören.
Darwin - drei Seiten Meer
Die Temperatur ist heute mit 31 Grad im Schatten vergleichsweise mild in der tropischen Stadt. "Das liegt auch an der leichten Seebrise, die aufs Festivalgelände weht. Darwin ist von drei Seiten vom Meer umgeben", weiß Kate Fell, die künstlerische Leiterin der Veranstaltung. Sie war eine der stillen Tänzerinnen, "ich muss doch das Programm testen", sagt sie lächelnd. Fell zog vergangenes Jahr für den Job von Brisbane nach Darwin; sie freue sich sehr, dass alles so gut klappe bei ihrer Premiere, sagt sie. "Ich liebe an diesem Festival, wie viele kulturellen Strömungen es bietet: Du kannst die unterschiedlichsten Acts sehen." Ein Fokus ist auf indigene Performances gerichtet. Am Abend findet etwa das beeindruckende Konzert von Dr. Shellie Morris und einem Chor der Aboriginal Frauen aus Groote Eylandt statt - der viertgrößten Insel Australiens, etwa 600 Kilometer von Darwin entfernt. Das gemeinsame Album wurde komplett in Anindilyakwa aufgenommen wurde, der traditionellen Sprache auf Groote Eylandt.
Die Musik stimmt nachdenklich: Die Frauen besingen die guten Seiten des Lebens, aber auch die des Überlebens nach schweren Zeiten. Das Publikum feiert sie liebevoll. "Es herrscht eine wunderbare Stimmung", bestätigt Kate Fell den Eindruck. "Dieses Unaufgeregte spiegelt insgesamt den Geist wider, der in Darwin herrscht. Man ist einfach ziemlich weit weg vom quirligen Metropolen-Vibe Brisbanes und Melbournes. Was mich beeindruckt: In Darwin ist man Teil einer wirklich diversen Gemeinschaft. Zum einen gibt es hier vielfältige asiatische Einflüsse; ein Flug nach Singapur dauert nur knapp fünf Stunden. Zum anderen kommt man der Kultur der Indigenious People in Darwin und großen Teilen des Northern Territory vermutlich so nah, wie sonst nirgends."
Eine der spannendsten Anlaufstellen für zeitgenössische indigene Kunst in der Stadt ist die im vergangenen Jahr eröffnete "Laundry Gallery": ein multidisziplinäres Kreativ-Hub, das in einem ehemaligen Waschsalon aus den 1970er-Jahren logiert. Unter der Maxime "Old stories. New spin." stellt Co-Gründerin Nina Fitzgerald, selbst eine Aboriginal-Woman, eine multidisziplinäre Plattform für Ausstellungen, Workshops und Events. In dem lichtdurchfluteten Raum sind an den swimingpoolblauen Wänden Objekte aus Holz platziert. Als Reminiszenz an den alten Verwendungszweck steht dort eine mit roten und violetten Schlangenlinien verzierte Wachmaschine. Sylvia, Rose und Clinton geben dort heute einen Workshop, in dem sie über ihre Kultur und die Kunst der Yolgnu sprechen, des Stammes, der im Northern Territory vor allem im nordöstlichen Arnhem Land lebt.
Clinton sagt wenig, er lässt seine im Tupfen-Stil mit Erdpigmenten in Braun, Ocker und Schwarz gemalten Bilder sprechen, die vor ihm liegen. Es ist hauptsächlich Sylvia, die redet. Sie erklärt energisch, dass "es immer heißt, die Kolonialisten hätten uns kultiviert - aber wir hatten bereits eine Kultur, als sie im 17. Jahrhundert hierherkamen." Im Gespräch wird klar, dass ein lineares, immer auf Erklärungen und Einordnung pochendes Bewusstsein hier fehl am Platz ist. Sylvia, Rose und Clinton richten sich in vielen Aspekten ihres Lebens immer noch nach den Gesetzen ihrer Vorfahren. Das Wichtigste ist für sie die Gemeinschaft. Den bewegendsten Satz sagt schließlich Rose: "Niemand wird bei uns ausgeschlossen." Und weil das so ist, ordnen sie der Journalistin beim Abschied ein Totemtier zu, das sie beschützen soll: den Delfin.
Keine Krokodile in Sicht!
Die Reise geht via Inlandsflug weiter auf die Gove Halbinsel im East Arnhem Land. Am Flughafen wartet Helen Martin, die mit ihrem Mann Trevor Hosie das Eco-Beach-Resort "Banu Banu" auf Bremer Island betreibt. Sie packt die Touristen-Gruppe in ihr kleines Auto, um zur Bootsanlegestelle zu fahren. Unterwegs erzählt Helen, die indigener Abstammung ist, dass sie mit neun Geschwistern in Alice Springs, im Zentrum Australiens, aufgewachsen ist. Mittlerweile wohnt Helen seit 20 Jahren auf einer gerade mal sieben Kilometer langen und drei Kilometer breiten Insel, auf der nie mehr als 40 Menschen leben. Auf die Frage, was für sie das Besondere an ihrer Wahlheimat ist, antwortet sie mit leuchtenden Augen: "Wir befinden uns auf dem Land der Warramiri, die Ruhe, die dort herrscht, ist einzigartig, spirituell. Wir haben den Boden für das 'Banu Banu' von ihnen gepachtet und gehen sehr respektvoll mit ihm um, haben nur wenige Beach Cottages errichtet."
Trevor steuert das Boot zur Insel. Eine weitere Besonderheit von Bremer Island ist, dass man dort in der Bucht baden und mit dem Kajak paddeln kann. Helen versichert: "Bei uns fühlt sich zurzeit kein Krokodil heimisch!" Keine Selbstverständlichkeit: Das Northern Territory ist die Heimat der weltweit größten Krokodilpopulation, mit mehr 100.000 der Raubtiere in freier Wildbahn. Es gibt zwei Arten, zum einen die etwas kleineren Süßwasserkrokodile, und zum anderen die am häufigsten vorkommenden, gefährlicheren Salzwasserkrokodile; die Salties halten sich entlang der Küste und in den Wasserstraßen des Territory auf und können bis zu einer Tonne schwer werden.
Nach einer Dreiviertelstunde auf dem Wasser - zum Glück ohne Krokodilsichtung -, beginnt Bremer Island, sich am Horizont abzuzeichnen. Sobald man nach der Ankunft seine Zehen zum ersten Mal in den warmen, butterkuchengelben Sand gräbt, beginnt eine gemächlichere Zeitrechnung. Was womöglich unter anderem daran liegt, dass man sein mobiles Endgerät ebenfalls verbuddeln kann: Es gibt kein Netz. Auch gut. So konzentriert man sich beim ersten Abendessen auf der Terrasse des Ressorts bestens auf die postkartenperfekte Aussicht der Bucht im Arafura-See, ein Nebenmeer des Pazifischen Ozeans, und erblickt bald eine Reihe Delfine. Aus gegebenem Anlass wird am Tisch darüber gesprochen, dass diese blitzgescheiten Tiere, beim Schlafen stets ein Auge offenhalten. Nur warum? Da Dr. Google nicht konsultiert werden kann, muss die Antwort auf später vertagt werden. So geht Entspannung heutzutage. Als der Mond sich über das Wasser schiebt, ist es Zeit, das kurze Stück zum Zelt-Bungalow zu gehen, der einen Steinwurf vom Strand entfernt liegt, und sich vom Wellen-Sound in den Schlaf wiegen zu lassen.
Nächster Morgen: Trevor hat erklärt, dass die abgeschiedenen Sandstrände Bremer Islands Nistplätze für vier verschiedenen Meeresschildkrötenarten bieten. Eine Gruppe von neun Leuten begleitet deshalb heute die Aboriginal Frauen Yurranga, Djalinda und Sara auf der Suche nach den Brutstätten. Die Eier der ältesten weltweit lebenden Reptilien gelten als kräftigende Delikatesse; sie wollen daraus mit Kräutern und Gemüse eine Suppe zubereiten, Busch-Medizin sei das, sagen sie. Djalinda stellt fest, dass es nicht verboten sei, die Schildkröteneier zu suchen und zu essen. Was man wissen muss: Die meisten Meeresschildkröten sind in ihrem Bestand vom Aussterben bedroht - sei es durch den Menschen, der sie seit Jahrhunderten wegen ihres Fleisches, ihrer Eier und ihres Panzers jagt, als auch durch die Verschmutzung der Meere durch Plastikmüll.
Ganz anders als ein Hühnerei
Zielsicher steuern die Frauen am Strand auf einige Stellen zu, piksen mit Stöcken hinein und schnuppern daran, ob sie nach Eidotter riechen. Sara findet als erste eine Ablegestelle und fängt an, mit den Händen, den Sand wegzuschaufeln. Um die 50 Eier liegen in dem Loch, die sich überraschend weich und biegsam anfühlen, so ganz anders als ein Hühnerei. Im Laufe des Vormittags füllen Yurranga, Djalinda und Sara zwei große Beutel. Wir sehen nur einen beeindruckend schönen Strand - für die Drei ist Bremer Island ein großes Freiluftkaufhaus. Sie sagen, dass sie so viel lieber zu ihren Nahrungsmitteln kämen: im Busch, kostenlos.
Die Frauen beschließen, dass sie die gesammelten Eier heute nicht mehr zubereiten wollen. Am Strand steht dennoch ein Kochtopf bereit, unter dem Yurranga jetzt ein Feuer entzündet. Sara schmeißt mehrere Hände frische Feigenbaumblätter, die sie gestern gepflückt hat, ins siedende Wasser, so könne sich deren Öl am besten entfalten, erklärt sie. Nachdem die Blätter, die von der Konsistenz an gekochten Spinat erinnern, etwas abgekühlt haben, bekommen alle eine Ladung davon auf den Kopf geklatscht. Sara lacht, als wir verdutzt gucken und massiert uns nacheinander die lauwarme Masse in die Haare ein. Schließlich reibt sich die ganze Gruppe gegenseitig mit den Blättern die Arme ab. Beim Abschied von der Insel, einige Tage später, fühlen sich die Haare immer noch sehr weich und geschmeidig an - schade, dass man diesen Conditioner nicht mit nach Hause nehmen kann.
Nach der Rückkehr von Bremer Island aufs Festland lässt sich zumindest eine Frage zweifelsfrei durch einen Mausklick auf dem Laptop klären. Die nach dem offenen Delfinauge: Damit die Meeressäuger nicht im Schlaf ertrinken, schläft nur eine Gehirnhälfte, die andere bleibt aktiv. Das reicht an Wissen, jetzt heißt es: Computer runterfahren und das Gesicht zur warmen, australischen Sonne wenden. Buku-Larrŋggay.
Reisezeit: Die beste Reisezeit für das Northern Territory liegt in der Trockenperiode zwischen April und Oktober. Die Regenzeit von November bis April ist von hoher Luftfeuchtigkeit, Monsunregenfällen und Stürmen geprägt.
Anreise: Singapore Airlines: Mit Singapore Airlines von Frankfurt, München oder Zürich mit täglichen Verbindungen nach Singapur und von dort aus fünf Mal wöchentlich weiter nach Darwin. Ab 1189 Euro pro Person Hin- und Rückflug in der Econcomy Class,
Der Flug Darwin-Gove-Darwin mit Qantas kostet ca. 830 Euro pro Person.
Übernachten: Das Hilton in Darwin ist ein guter Ausgangspunkt, um die Stadt zu erkunden. Ab ca. 240 Euro pro Zimmer/Nacht.
Das "Banu Banu Beach Retreat" auf Bremer Island kostet ca. 2000 Euro. Zwei Nächte Mindestaufenthalt, inklusive Transfer vom Gove Airport, allen Mahlzeiten und Permit Fees, die an die Warramiri gehen, die traditionellen Besitzer von Bremer Island.
Allgemeines: Das Darwin Festival indet 2024 vom 8. bis zum 25. August statt. Es wurde 1979 unter dem Namen Bougainvillea Festival gegründet, seit 2003 heißt es Darwin Festival.
Die Laundry Gallery zeigt monatlich wechselnde Ausstellungen und verkauft Gemälde und Skulpturen. Es werden verschiedene Workshops angeboten, ab ca. 20 Euro pro Person.
In Yirrkala, einer kleinen Aboriginal-Gemeinde, in der Nähe des Gove-East-Arnhem Flughafens, haben wir noch einen Abstecher in das sehenswerte Buku-Larrŋggay Mulka Centre gemacht: ein Kunst- und Kulturzentrum, das von einer indigenen Community geführt wird.
Die Recherche wurde unterstützt von "Tourism Northern Territory".
Quelle: ntv.de