Liverpool-Fan mit Show-Mama Vingegaard stürzt verletzte Nation in Freudentaumel
24.07.2022, 20:44 Uhr
Jonas Vingegaards Freundin Trine Hansen beglückwünscht den neuen Radsport-Star.
(Foto: IMAGO/Belga)
Jonas Vingegaard gewinnt zum ersten Mal in seiner Karriere die Tour de France. Und wie! Der Däne entthront Titelverteidiger Tadej Pogacar und löst in seinem Heimatland mal wieder eine riesige Radsport-Magie aus. Dort war er zu schmächtig für Fußball und ist wegen seiner Schwiegermutter bekannt.
Jonas Vingegaard wurde plötzlich ganz ernst. Der ausgezehrte Gewinner der Tour de France hatte höflich im Gelben Trikot über seine Gefühle nach dem größten Erfolg seiner Karriere berichtet, dann kam die unausweichliche Frage nach dem Doping auf. Vingegaard antwortete mit Nachdruck - und gab so auch ein Versprechen an die Tausenden Fans in seiner dänischen Heimat.
Nein, späte Offenbarungen und Skandale wie bei seinem Landsmann Bjarne Riis, dem ersten Dänen in Gelb auf den Champs-Elysee, das versicherte der 25-Jährige, seien nicht zu befürchten. "Wir sind alle absolut sauber. Ich kann das für jeden von uns sagen. Ich sage Ihnen das direkt und ohne ein Zögern", sagte Vingegaard vor der versammelten Weltpresse über sich und sein Team Jumbo-Visma.
Das Problem in der Heimat: Der dänische Radsport leidet noch immer unter Riis' Taten. Zahlreiche starke Fahrer hatte das Land in der Doping-Ära der 1990er Jahre hervorgebracht. Rolf Sörensen, Jesper Skibby, Bo Hamburger - sie alle gehörten zur Weltspitze. An Riis reichte keiner von ihnen heran. 1996, als Telekom-Kapitän, gewann er auch mit der Hilfe von Jan Ullrich die Tour de France. Er war randvoll gedopt, wie er später öffentlich beichtete. Wegen seines zeitweise extrem hohen Hämatokritwerts hatte er den Beinamen "Monsieur 60 Prozent". 1997 verlor Riis die Tour an Ullrich. Drei Jahre später folgte das Karriereende.
Schwiegermutter bei "Dancing with the Stars"
Die Verletzung sitzt in Dänemark noch immer tief. Als in Kopenhagen Anfang Juli Hunderttausende den Grand Depart feierten und ihren neuen Hoffnungsträger Vingegaard bei der Teampräsentation im sonnendurchfluteten Tivoli zu Tränen rührten, durfte der bis dato einzige dänische Gesamtsieger nicht mitfeiern.
Während zu diesem Zeitpunkt Vingegaards Bekanntheitsgrad weltweit überschaubar war, besaß er in seiner Heimat bereits einen großen Namen. Das jedoch lag nicht nur an seinen Radfahrkünsten und seinem überraschenden zweiten Platz bei der Frankreich-Rundfahrt 2021, sondern auch an seiner Schwiegermutter, die durch ihre Teilnahme an einer Back-Show im Fernsehen nationale Berühmtheit erlangte und auch in Dänemarks Version von "Dancing with the Stars" auftrat.
Die Entwicklung war für Vingegaard, der aus einem Fischerdorf mit nur 370 Einwohnern kommt, nicht abzusehen. Als Kind spielte er Handball und Fußball, wofür er jedoch zu schmächtig war, und war ein begeisterter Liverpool-Fan. Er wandte sich erst dem Radsport zu, nachdem er die Dänemark-Rundfahrt in der Nähe seines Eltern-Hauses gesehen hatte.
"Habe noch Hunger"
Wie schon im vergangenen Jahr rückte der Youngster auch bei dieser Tour frühzeitig in die vorderste Front bei Jumbo-Visma, nachdem Primoz Roglic, der eigentliche Herausforderer von Titelverteidiger Tadej Pogacar, erneut nicht mithalten konnte. Vingegaard hatte in der Folge in den Alpen bei der Bergankunft am Col du Granon von einem ungewohnten Einbruch Pogacars profitiert, dem Slowenen 2:51 Minuten abgenommen und dadurch das Maillot jaune entrissen.
Auf den folgenden Etappen parierte Vingegaard alle Attacken des einstigen Dominators und sorgte dann beim letzten Pyrenäen-Showdown für die Vorentscheidung. Die Kür folgte am Samstag mit Platz zwei beim Einzelzeitfahren. "Es ist toll, Teil dieser Reise zu sein. Ich bin stolz auf das ganze Team", sagte Vingegaard.
Zurücklehnen darf er sich nicht. Er weiß, dass Pogacar, der in den letzten beiden Jahren als fast unschlagbar galt, diesen Tourverlauf nicht auf sich sitzen lassen wird. "Er ist ein großartiger Typ und einer der besten Fahrer in der Welt. Mit Sicherheit wird er mehr wollen", sagte Vingegaard. Aber: "Ich will auch mehr. Natürlich habe ich noch Hunger."
Quelle: ntv.de, dbe/sid