
"New World" ist ein MMO-Spiel nach bekannten Mustern, trifft aber dennoch den Geschmack der breiten Masse.
Über Jahre müht sich Amazon, auf dem Gaming-Markt Fuß zu fassen und investiert Milliarden. Doch alle Videospiele aus dem Hause des Online-Händlers floppen. Ein PC-Rollenspiel könnte nun die Wende einleiten und der Konzern wittert seine große Chance.
Filme, Musik, Streaming - Amazon kann eigentlich in allen Bereichen Erfolge vorweisen. Selbst im Gamingbereich ist der Onlinehändler mit der Plattform Twitch vertreten, die Entwicklung eigener Videospiele war für den Internetriesen aber seit 2012 eher das schwarze Schaf in der Investitionsfamilie. Mit dem Online-Rollenspiel "New World" erlebt das hauseigene Produktionsstudio nun erstmals einen Boom und wittert das ganz große Potenzial des Spielemarkts.
Das Genre der Massiv-Multiplayer-Onlinespiele (MMO) erfindet "New World" nicht neu. Der PC-Titel für rund 40 Euro spielt auf der fiktiven Insel Aeternum im 17. Jahrhundert. Jeder Spieler wird schiffbrüchig und mit Nichts ans Ufer gespült. Ab hier muss man die neue Welt erkunden und Gebiete einnehmen. Die zentrale Ressource ist das begehrte Gestein Azoth, was aber auch gleichzeitig dafür sorgt, dass sich die Tier- und Pflanzenwelt in Monster und die Toten in Zombies verwandeln - eine ordentliche Portion Fantasy also.
Die Online-Spieler kommen dann in der Welt zusammen, um gemeinsam oder solo bestimmte Aufgaben (Quests) zu erledigen und den eigenen Charakter wie in einem Rollenspiel in seinen Fähigkeiten zu verbessern. Das sind alles MMO-Basics, das Kampfsystem des Spiels ist dagegen etwas mehr auf Reaktion ausgelegt. Das richtige Timing beim Schlagen, Ausweichen und Blocken ist in Kämpfen entscheidend. Hinzu kommen noch große Schlachten gegen anderen Online-Zocker.
Der Hype um das Spiel ist enorm. Am Release-Tag Ende September war der Zulauf so groß, dass von den rund 600.000 Spielern auf der Plattform Steam nur die Hälfte auf einen der Server kam. Für den Rest bedeutete das, eine virtuelle Wartenummer zu ziehen, die teils im fünfstelligen Bereich lag. Das hieß dann bis zu acht Stunden Wartezeit. Wer es aber geschafft hat, der zieht meist ein positives Fazit. Es gibt kaum Lags, also Bildruckeln, die Gebiete sind nicht mit anderen Online-Spielern überflutet und die Quests sind im Spiel ohne Stolpersteine zu erledigen. Für ein MMO-Spiel ist das wohl der bestmögliche Start, abgesehen von der Wartezeit auf den Servern, die mittlerweile aber behoben sind.
"New World" lässt Bezos jubeln
"Nach vielen Fehlschlägen im Gaming haben wir endlich einen Erfolg", twitterte Ex-Boss Jeff Bezos frohlockend nach dem Release des Spiels. Denn was vor "New World" war, das würde Amazon am liebsten unter den Tisch kehren. Die Ambitionen bei der Entwicklung von Videospielen waren seit 2012 enorm groß, doch viele Projekte - abgesehen von mehreren Mobile-Games - wurden erst gar nicht veröffentlicht. Kam dann doch mal ein Spiel von Amazon Game Studios raus, wurde es wenig später wieder vom Markt genommen.
Der Copy-Paste-Ansatz, den Amazon bei der Videospiel-Entwicklung pflegte, kam bei der breiten Masse nicht an, die Umsetzung war dann stets wenig originell. Der Online-Händler wollte sich immer etwas von der Konkurrenz abschauen. Das Spiel "Nova" orientierte sich vom Typ her am globalen Hit "League of Legends", wurde aber 2017 eingestampft. Der "Fortnite"-Klon "Intensity" fand zwei Jahre später sein Ende. Für den "Overwatch"-Abklatsch "Crucible" war 2020 Schluss.
Gescheitert war Amazon dabei an den hauseigenen Unternehmensstrukturen. Seit Beginn der 2012 gegründeten Gaming-Sparte holte sich das Unternehmen viele namhafte Entwickler und Entscheider der Spielebranche ins Boot, die dann laut einem "Bloomberg"-Bericht mit den Vorschriften des Konzerns fremdelten. Im Kern folgt Amazon 14 Prinzipien, mit denen leitende Angestellte ihre Mitarbeiter führen sollten. Mit der Spieleindustrie korrelieren diese nur wenig. Während Amazon von der Datenerfassung und -auswertung getrieben ist, wird in der Gaming-Branche auch nach Emotionen entschieden, welche Elemente tragend für ein Spiel sind. Kunst und Unterhaltung sind bei der Entwicklung von Videospielen sehr entscheidende Faktoren, die Ausschlag über Erfolg oder Misserfolg geben, sich aber nicht in Zahlen pressen lassen.
Dazu kommt laut "Bloomberg" die Ahnungslosigkeit bei Top-Entscheider und Vize-Präsident der Games-Sparte, Mike Frazzini, der einst als Manager unter Bezos im Unternehmen anfing und sich langsam nach oben arbeitete. Von Videospielen habe er wenig Plan, berichteten Mitarbeiter dem Magazin. Er habe Probleme gehabt zwischen Videosequenzen und tatsächlichem Ingame-Geschehen zu unterscheiden. Frazzini habe sich lediglich nach Farbgebung oder der Fertigstellung des Spiels erkundigt, obwohl es offiziell keine Deadline für das Projekt gab.
Jassy sieht Riesenpotenzial im Games-Bereich
Laut "Bloomberg" gibt Amazon jährlich 500 Millionen Dollar für die Videospielsparte aus. Und die Investitionen in die Gaming-Stream-Plattform Twitch, die sich das Unternehmen 2014 für eine Milliarde Dollar einverleibte, sind da nicht mit eingerechnet. Viel Geld also, was bislang mehr oder weniger versandete. Einziger Lichtblick war bislang die ebenso von Rückschlägen gebeutelte Konkurrenz. In Sachen Videospiele blieben auch die Mitstreiter von Facebook, Apple oder Google erfolglos.
"New World" soll jetzt für Amazon die Wende einleiten und den Weg in einen zukunftsträchtigen Markt ebnen. Zumindest sieht es Neu-CEO Andy Jassy so. Gaming könnte auf lange Sicht sogar die größte Sparte im Unterhaltungssektor des Unternehmens werden, wie er auf einer Veranstaltung des Magazins "Geekwire" betonte. Es bedürfe einiger oder mehrerer Rückschläge, bevor man einen Hit landet, aber man habe nie die Entschlossenheit verloren, erklärte der Bezos-Nachfolger. Kritiker sehen in "New World" zwar einen gelungenen, jedoch keinen außergewöhnlichen PC-Titel. Dass gerade ein Spiel, in dem es um die Ausweitung des Territoriums mit kolonialistischen Zügen geht, dem einstigen Online-Buchhändler und heute breit gefächerten Konzern den Erfolg bringt, könnte man fast schon als Ironie des Schicksals bezeichnen. Zumindest ist dieser Amazon-Exkurs nicht erneut im Desaster geendet.
Quelle: ntv.de