Wirtschaft

"Misstrauenserklärung" an Firmen Arbeitgeber wehren sich gegen Testpflicht

Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen testet bislang seine Belegschaft.

Nicht einmal jedes fünfte Unternehmen testet bislang seine Belegschaft.

(Foto: picture alliance / Jochen Tack)

Gewerkschaft und Politik sind sich einig: Die Arbeitgeber stehen in der Pflicht, mit Schnelltests die Arbeitsplätze in ihren Unternehmen sicherer zu machen. Klare Regeln dafür gibt es aber immer noch nicht.

Auch nach dem Jahr eins der Corona-Pandemie bleibt unklar, welche Rolle der Arbeitsplatz im Infektionsgeschehen mit Covid-19 spielt. Schlagzeilenträchtige Hotspots wie große Fleischbetriebe in der Vergangenheit seien nicht repräsentativ, argumentiert die Arbeitgeberseite. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) fordert eine bundesweite Pflicht für Betriebe, ihren Mitarbeitern kostenlos Corona-Tests anzubieten. "Die Selbstverpflichtung allein reicht nicht", sagt DGB-Chef Reiner Hoffmann.

Seitdem Schnelltests in großer Zahl verfügbar sind, sah vor allem Finanzminister Olaf Scholz eine Basis, laut über eine betriebliche Testpflicht nachzudenken. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich unzufrieden mit dem bisherigen Engagement der Unternehmen. Eine schärfere Ansage von Bund und Ländern blieb aber bislang aus. Aber die Spitzenverbände sind im Abwehrmodus – sind solche Tests doch auch immer Kostenfaktor – für Material, Organisation und Arbeitszeit.

Tatsächlich appellierten die Spitzenverbände der Wirtschaft vorsorglich bereits am 9. März an die Unternehmen, ihren Beschäftigten Selbsttests, und "wo dies möglich ist", aufwändigere Schnelltestes anzubieten, um Infektionen frühzeitig zu erkennen. Dazu gab es Listen verfügbarer und zugelassener Selbst- und Antigen-Schnelltests, die sicherlich in ausreichendem Maße verfügbar seien. Nach Merkels Zwischenruf reagierten jedoch mehrere Wirtschaftsvertreter recht unleidig. Der Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgebervergände (BDA), Steffen Kampeter, kritisierte, die Politik wolle "eine Ersatzhandlung an den Unternehmen vornehmen, um Handlungsfähigkeit zu zeigen".

Ähnlich wies das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft (IW) eine Pflicht als ein Misstrauensvotum in die Hygiene- und Schutzkonzepte der Unternehmen zurück. Wenn die Politik in der Pandemie-Bekämpfung das Vertrauen der Wähler verliere, schrieb IW-Direktor Michael Hüther ungehalten, helfe es wenig, "mit Misstrauenserklärungen an die Unternehmen" zu reagieren. Denn diese lieferten schon längst, wie das IW betont. Fast jedes zweite Unternehmen teste bereits die Belegschaft oder wolle damit bald beginnen, hieß es.

Zahlen sagen nur die halbe Wahrheit

Sieht man die Erhebung des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) vom März aber etwas genauer an, ist der Vollzug doch erheblich weniger fortgeschritten, als es zunächst den Anschein hat. Wohl liegt demnach bei großen Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten die Quote testender Arbeitgeber schon bei 40 Prozent. Aber im Schnitt der befragten 8000 Unternehmen testen aktuell 19 Prozent ihre Belegschaften, weitere 28 Prozent wollten in Kürze mit Tests beginnen. Viele geben aber an, noch nicht über ausreichende Informationen zu verfügen.

Als überflüssig wird die Testfrage bei etwa einem Drittel der Betriebe gesehen: 23 Prozent arbeiten der Umfrage zufolge komplett aus dem Homeoffice, neun Prozent hätten - vor allem in Gastronomie, Reisebranche, Kultur- und Kreativwirtschaft - wegen des Lockdowns sowieso geschlossen. Allerdings sind die Beharrungskräfte in den Arbeitsstätten doch weiter stark ausgeprägt, wie das Münchner Ifo-Institut festgestellt hat.

Beim Homeoffice sei noch "viel Luft nach oben", befindet Oliver Falck, Leiter des Ifo Zentrums für neue Technologien. Ende März arbeiteten demnach 31,7 Prozent der Beschäftigten in deutschen Unternehmen teilweise oder vollständig zuhause. Im Februar waren es 30,3 Prozent. Bei Dienstleistern liegt die Quote immerhin bei 42,6 Prozent. Aber: "Wir schätzen das Potenzial für Homeoffice auf 56 Prozent der Beschäftigten", sagt Falck. Es könnte viel stärker als Mittel des sozialen Abstandhaltens eingesetzt werden. "Gleichzeitig zeigt die vergleichsweise niedrige Quote, wie wichtig konsequente Tests am Arbeitsplatz sind."

Dass es in Deutschland bislang keine verlässliche Erhebung über das Ansteckungsrisiko mit dem Coronavirus am Arbeitsplatz gibt, findet der IG-Metall-Chef "unglaublich". Jörg Hofmann sieht hier das Robert-Koch-Institut und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz in der Pflicht, endlich eine Bewertungsgrundlage zu schaffen.

Jeder macht was er will

Tatsächlich liegt die Inzidenzrate der Erwerbstätigen zwischen 15 und 60 Jahren leicht über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Das räumt auch das Institut der deutschen Wirtschaft ein. Allerdings, so das IW, zeigten die Zahlen nicht, ob sich die Betroffenen auf der Arbeit, dem Arbeitsweg oder im privaten Umfeld infiziert hätten. Die Zahl der Krankmeldungen hingegen sei 2020 - so das Ergebnis einer Stichprobe der Betriebskrankenkassen - stabil geblieben gegenüber 2019. Der Krankenstand weise also nicht auf ein erhöhtes Infektionsrisiko der Arbeitnehmer hin.

Noch sind Schnelltests also eine Soll-Bestimmung von Bund und Ländern: Unternehmen in Deutschland sollen als gesamtgesellschaftlichen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie "durch regelmäßige Testangebote der in Präsenz Beschäftigten das Ansteckungsrisiko reduzieren", so die Empfehlung. "Die angekündigten Beschlüsse der MPK gibt es nicht, so dass jetzt jeder macht, was er will, oder einfach selbst entscheidet, wie manche Gesundheitsämter", kritisiert IW-Direktor Hüther.

So hat das Bundesland Sachsen seine Corona-Schutzverordnung Anfang März angepasst und verordnet seinen Unternehmen eine Testpflicht. Beschäftigte, die präsent sind an ihrem Arbeitsplatz, sollen mindestens einmal pro Woche ein Testangebot erhalten. Pflicht wird es auch für Beschäftigte und Selbstständige mit direktem Kundenkontakt.

Der Berliner Senat machte kurz vor Ostern seine Ankündigung wahr und beschloss eine Testpflicht für Betriebe. Die Angebotspflicht bestehe für alle Arbeitgeber:innen, hieß es, allen Beschäftigten, die nicht im Homeoffice sind, mindestens zweimal pro Woche einen Schnelltest zu ermöglichen und zu bezahlen. Selbsttests sollten unter Aufsicht stattfinden.

Fragliche Wirkung?

Ob ein erweiterter Testradius auch die angestrebte Wirkung entfaltet, ist umstritten. Durchschlagende Wirkung könnte es höchstens geben, wenn auch die Nachverfolgung schneller und leichter würde - etwa über eine funktionierende Tracing-App, warnt das IW. Zudem hängt ein höherer Grad der Nachverfolgung auch von der Meldepraxis ab. So müssen die Ergebnisse von Selbsttests weder dokumentiert noch gemeldet werden. Auf Schnelltests in Betrieben, die wie in Testzentren durch geschultes Personal erledigt werden, folgt hingegen ein Zeugnis und - wenn positiv - eine Meldung ans Gesundheitsamt.

Wie Mitarbeiter sich dem Arbeitgeber gegenüber zu verhalten haben, ist laut BDA eindeutig, da sie eine Rücksichtnahmepflicht gegenüber Kollegen haben. So habe jede positiv getestete Person den Arbeitgeber zu informieren, heißt es unter Bezug auf das Infektionsschutzgesetz. Der könne Ergebnisse auch abfragen. Den Unternehmen wird empfohlen, im Rahmen eines Testkonzepts Einverständniserklärungen der Beschäftigten für die Tests einzuholen und positive Ergebnisse zu dokumentieren.

Schnelltests anordnen kann ein Betrieb bei besonderen Gefährdungssituationen. Sonst stellt sie im Prinzip jedoch einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit des Arbeitnehmers dar. Im Zweifel muss die Frage einer Weisungsbefugnis eine Betriebsvereinbarung mit dem Betriebsrat klären. Die Durchführung ist jedenfalls mitbestimmungspflichtig, da es um den betrieblichen Gesundheitsschutz geht, sagen Experten. Auch hochsensible Gesundheitsdaten könnten nur mit Einwilligung des Mitarbeiters erhoben und verarbeitet werden.

Übrigens stellt ein positives Ergebnis mit einem Antigen-Selbsttest nach Aussage des RKI zunächst nur einen Verdacht auf eine Sars-CoV-2-Infektion dar. Erst durch einen nachfolgenden PCR-Test zur Bestätigung können Kollegen zu "Kontaktpersonen" werden und müssen vom Arbeitgeber in Quarantäne geschickt werden.

Der Artikel erschien zuerst bei Capital.de

Quelle: ntv.de

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