Wirtschaft

Wirecard-Insider Leogrande Dann sind die Bosse "falsch abgebogen"

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Als die Vision vom Aufstieg zum globalen Tech-Konzern auf ehrliche Weise nicht funktionierte, sind die Wirecardbosse "irgendwann falsch abgebogen", glaubt Jörn Leogrande.

(Foto: picture alliance/dpa)

Mit Wirecard stieg Jörn Leogrande innerhalb von 15 Jahren von einem Freien Marketingberater bis zum Innovationschef eines Dax-Konzerns auf. Kaum einer kennt das Skandalunternehmen so gut wie er - oder zumindest einen Teil davon. Denn es habe gewissermaßen zwei Wirecards gegeben, erzählt Leogrande im ntv.de-Interview. Damit über die Schlagzeilen zum Bilanzskandal die "andere Dimension" von Wirecard nicht in Vergessenheit gerät, hat er ein Buch über seine Karriere in der "Bad Company" geschrieben.

ntv.de: Mehr als ein halbes Jahr nach dem Zusammenbruch von Wirecard im Zuge des milliardenschweren Bilanzbetrugs, legen Sie ein Buch über ihre 15 Jahre in dem Skandalkonzern vor. Wollen Sie sich rechtfertigen, dass Sie lange als hochrangiger Mitarbeiter dabei waren, oder mit den Verantwortlichen abrechnen?

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Jörn Leogrande tritt 2005 eine Stelle im Marketing bei Wirecard an und wird bald Zeit Head of Marketing. 2017 wird er Chef der globalen Innovationsabteilung von Wirecard. Sein Buch "Bad Company" erscheint am 8. Februar im Penguin Verlag.

Jörn Leogrande: Weder noch. Vor allem will ich die Firma Wirecard, in der meine Kollegen teils viele Jahre ihres Lebens gearbeitet haben, von innen authentisch darstellen. In den Nachrichten zu Wirecard dreht sich alles um den großen Bilanzbetrug und um die Personen an der Spitze, die ihn mutmaßlich begangen haben sollen. Um Markus Braun und vor allem Jan Marsalek, als mutmaßliches Mastermind mit besten Verbindungen zu internationalen Geheimdiensten. Ich habe nicht nur diese Menschen persönlich ganz anders kennengelernt, sondern wie Tausende Kollegen in einem ganz anderen Unternehmen gearbeitet als das, über das nun so viel berichtet wird.

Inwiefern ein anderes Unternehmen?

Es war zwar ein und derselbe Konzern, aber Wirecard hatte, was ich zwei Dimensionen nennen würde. Da gab es dieses Drittpartner-Geschäft in Asien, das in der Zuständigkeit von Jan Marsalek und ganz weniger Eingeweihter - angeblich - riesige Umsätze generierte, und wo sich mutmaßlich der Milliardenbetrug abspielte. Und dann gab es die Zahlungsdienstleistungen für Kunden in Deutschland, Europa und anderen Märkten, an denen ich und nahezu alle anderen Mitarbeiter in der Zentrale arbeiteten. Diese beiden Teile waren vollkommen getrennt, personell und auch technisch liefen etwa die Zahlungsströme über unterschiedliche Systeme. Mit dem mutmaßlich betrügerischen Teil von Wirecard ist auch der andere untergegangen und gerät völlig angesichts des Skandals in Vergessenheit.

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch ausführlich Ihre Karriere bei Wirecard seit Ihrem ersten Arbeitstag 2005 bei dem damals noch kleinen Startup Wirecard, beziehungsweise dem Vorgängerunternehmen. Was Sie schildern, ist zwar nicht illegal, aber doch kein angenehmes Arbeitsumfeld und teils zwielichtige Geschäfte mit Online-Glücksspielanbietern. Auch heftige rassistische Ausfälle mindestens einer Führungskraft kommen vor.

Wirecard hat sich, seit ich vor 15 Jahren in dem Unternehmen anfing, extrem verändert. Als ich an meinem ersten Arbeitstag ins Büro kam, gab es dort geschätzt etwa 150 Kollegen. Darunter gab es einige sehr schräge Vögel. Es hat mir einiges nicht gefallen, wie es damals zuging. Aber ich glaube, das war für so eine junge, ehrgeizige Tech-Bude in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich. Und über die Jahre ist Wirecard nicht nur gewachsen, sondern - zumindest der Bereich, in dem ich mitgearbeitet habe - professioneller und seriöser geworden. Das Wirecard, das schließlich in den Dax aufstieg, war eine ganz andere als die kleine Firma, in der ich damals angefangen hatte.

Warum sind Sie in diesem oft problematischen und manchmal unangenehmen Umfeld jahrelang dabeigeblieben?

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Als Mitarbeiter waren wir Teil eines sagenhaften Erfolgs, zumindest glaubten das alle. Stellen Sie sich die Stimmung vor, als das Unternehmen in den Dax aufgenommen wurde. Was für eine Aufstiegsstory! Die Medien waren voll davon, wie diese moderne Payment-Bude die alte Commerzbank in der ersten Börsenliga ablöste. Politiker und Vorstände großer Konzerne gaben sich in der Wirecard-Zentrale in Aschheim die Klinke in die Hand. Und ich persönlich war ja als Chef der Innovationsabteilung eines der Gesichter des Konzerns und immer mit dabei. Dabei hatte meine Karriere vor Wirecard überhaupt nicht spektakulär begonnen. Ich war Freier Journalist und Marketing-Berater. Bei welchem anderen Unternehmen hätte ich in diesem Maße Verantwortung übernehmen können, Projekte zu entwickeln und eigene Ideen umzusetzen?

Ihre Arbeit bei Wirecard und die der allermeisten Mitarbeiter an Zahlungsdienstleistungen für renommierte Partner, zum Beispiel Aldi oder die Telekom, war das nicht von Beginn an bloß eine Fassade für das, was Sie als andere Dimension von Wirecard bezeichnen, den Milliardenbetrug mit dem asiatischen Drittparteiengeschäft?

Nein, das glaube ich nicht. Ich habe ja jahrelang persönlich mit Jan Marsalek zusammengearbeitet, zeitweise direkt an Markus Braun berichtet. Ich glaube, sie hatten wirklich die Vision, als Tech-Unternehmen ganz nach oben in die Dimension von Google oder Facebook vorzustoßen. Als das aber nicht funktionierte, unter anderem weil die Margen bei Zahlungsdienstleistungen einfach viel zu gering sind, da sind sie irgendwann falsch abgebogen.

Sie waren anfangs, wie Sie schreiben, der "Designboy" von Marsalek, mit Braun waren Sie per Du. Dann zogen beide den Kreis ihrer Vertrauten immer enger. Auch Sie hatten in den letzten Jahren kaum noch persönlichen Kontakt. War das eventuell der Punkt, an dem die Unternehmensführung "falsch abbog", wie Sie es formulieren? Hatten Sie nicht den Verdacht, dass da eine zweite, illegale Dimension von Wirecard verborgen ist?

Zunächst einmal war es aus meiner Sicht Teil des Wachstums, der Entwicklung von Wirecard, dass die Distanz zwischen Mitarbeitern und Konzernführung zunahm. Dass ich ab einem gewissen Punkt nicht mehr direkt an den Vorstandschef berichtete, sondern an ein neues Vorstandsmitglied, war meines Erachtens ganz normal. Daran war nichts Verdächtiges. Viele wussten zwar, dass es dieses offenbar extrem profitable Drittparteiengeschäft gibt in Asien und dass es strikt von unserer Arbeit, unseren Servern und Systemen getrennt war. Ich vermutete dahinter aber nichts Illegales, sondern dass es sich um Zahlungsdienstleistungen für Partner handelte, mit denen der Name des nach außen seriösen Dax-Aufsteigers Wirecard nicht in Verbindung gebracht werden sollte, also Onlinekasinos, Pornoseiten oder so.

Jan Marsalek, dem mutmaßlichen Drahtzieher des Milliardenbetrugs, kennen Sie persönlich sehr gut. Entspricht sein Bild in den Medien, als skrupelloser Strippenzieher dem Menschen mit dem Sie jahrelang zusammengearbeitet haben?

Jan ist einerseits wohl einer der brillantesten Köpfe, mit denen ich je gearbeitet habe. Er besitzt eine extrem schnelle Auffassungsgabe. Kleinste Fehler in einem Entwurf bemerkt er sofort. Er war immer zur Stelle, wenn es ein Problem zu lösen galt. Teilweise hat er selbst über Nacht Präsentationen für Kunden erstellt. Er hatte in der Vergangenheit auch als Vorstand keinen richtigen Stab, keine Referenten. Jan hat praktisch alles selbst gemacht. Andererseits war seine Aufmerksamkeitsspanne sehr gering. Ging es bei einem Projekt erstmal um die operative Umsetzung, war er aber schnell gelangweilt. Das nahm mit dem Wachstum und der Verfestigung der Strukturen bei Wirecard natürlich zu. Auch an mir persönlich verlor er, glaube ich das Interesse, weil ich als Familienvater nicht dauerhaft mit seinem extremen Tempo und Arbeitspensum mitziehen konnte, nicht jeden Tag rund um die Uhr im Einsatz sein wollte. In den letzten Jahren habe ich ihn kaum noch gesehen.

Wie sehr haben Sie die Vorwürfe gegen Jan Marsalek und die Schilderungen seines Lebens, von einer angeblichen Privatarmee in Libyen bis zu Eskapaden in seiner Villa überrascht? Haben Sie nie etwas davon mitbekommen?

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Ich habe Jan als extrem freundlichen, charmanten Menschen kennengelernt. Er war ein Meister des Smalltalks. Aber hinter diese Fassade konnte ich nicht schauen. Jan hat Wirecard und sein Privatleben immer strikt getrennt. Ich wusste nicht einmal von der Existenz dieser Villa, geschweige denn von Privatarmeen oder Geheimdienstkontakten.

Mit Jörn Leogrande sprach Max Borowski.

Quelle: ntv.de

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