Wirtschaft

Schwarz-Rot im Rentenzoff"Das System ist besser als sein Ruf"

18.11.2025, 16:39 Uhr
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Im nächsten Bundeshaushalt könnte der Rentenzuschuss nach Berechnungen des Ifo-Instituts ein Drittel der Steuereinnahmen verbrauchen. (Foto: Arne Dedert/dpa)

Die Bundesregierung streitet über die Rente. An Erkenntnis mangele es zwar nicht, sagt Jochen Pimpertz vom IW und macht Lösungsvorschläge. An eine Umsetzung glaubt er allerdings nicht.

Wieder einmal streitet die Regierung über die Rente. Wie blicken Sie auf den aktuellen Konflikt?

Jochen Pimpertz: Ökonomisch ergibt sich da überhaupt nichts Neues. Die geburtenstarken Jahrgänge erreichen das Ruhestandsalter und erhöhen damit dauerhaft die Rentenzahlungen. Gleichzeitig werden diese Kohorten nicht mehr in gleicher Stärke am Arbeitsmarkt ersetzt. Das heißt, wir müssen ab jetzt mehr Rentner mit weniger Beitragszahlern finanzieren. Eigentlich müssten alle Anreize zum vorzeitigen Rentenbezug auf den Prüfstand, aber davon ist keine Spur. Und auch der Widerstand der jungen Gruppe verschiebt im Kern nur den Reformdruck, denn das, was nach 2031 folgen soll, gilt es schon jetzt zu tun.

Die junge Gruppe in der Unionsfraktion kritisiert, das Festhalten am Rentenniveau von 48 Prozent über 2031 hinaus führe zu massiven Mehrkosten. Haben die Jungen recht?

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Jochen Pimpertz leitet den Cluster Staat, Steuern und Soziale Sicherung am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) (Foto: (c) Uta Wagner IW)

Eigentlich müsste das Rentenniveau kontinuierlich sinken, damit die Beiträge nicht zu stark ansteigen. Das aber will die Regierung außer Kraft setzen. Eine Rückkehr zu diesem Absinken wird also mindestens bis 2031 hinausgeschoben. Alles, was danach in die Rentenpolitik steuernd eingreift, wird auf einem Sicherungsniveau anknüpfen, das ein Prozentpunkt über den ursprünglichen Erwartungen liegt. Das muss dann für alle Rentner über die voraussichtliche Rentenbezugsdauer von 20 Jahren finanziert werden. Weil das aus Steuermitteln finanziert wird, belastet es den Bundeshaushalt, vermeidet aber nicht einen höheren Beitragssatz. Der soll laut Gesetzentwurf schon im Jahr 2028 auf 20 Prozent steigen. Daran ändert sich auch mit dem Einwand der jungen Gruppe nichts.

Die SPD argumentiert dagegen, das gesetzliche Rentenniveau absichern zu wollen. Immerhin ist mehr als die Hälfte der Rentner darauf angewiesen, im Osten sind es drei Viertel der Menschen.

Aus dem Alterssicherungssicherungsbericht von 2024 wissen wir, dass Bezieher geringer Renten oftmals in Haushalten leben, die über ein Einkommen jenseits der Armutsgefährdungsquote verfügen. Eine Sicherung des Rentenniveaus trifft also nicht unbedingt diejenigen, die tatsächlich Unterstützung brauchen, sondern begünstigt alle Bezieher gesetzlicher Renten. Teurer kann man eine soziale Sicherung nicht organisieren. Was der Politik fehlt, ist ein Bekenntnis zur bestehenden Architektur der Alterssicherung.

Zur bestehenden Architektur? Heißt das, eine Lösung ist gar nicht so schwierig, sondern ließe sich mit den bestehenden Instrumenten erreichen?

Genau. Das System ist weitaus besser als sein Ruf. Anfang der 2000er-Jahre hat man das Rentensystem neu aufgesetzt und sich ehrlich gemacht: Die gesetzliche Rente kann allein den Lebensstandard nicht mehr sichern. Mit Rentengarantien, außerordentlichen Rentenanpassungen, ersten Haltelinien und deren Verlängerung sowie neuen Anreizen zum vorzeitigen Rentenbezug wurde dann aber von diesem Reformpfad Schritt für Schritt wieder abgerückt.

Was braucht es jetzt also konkret?

Es braucht erstens die Erkenntnis, dass alle mehr und länger arbeiten müssen, um die zusätzlichen Renten zu finanzieren. Dazu müssen alle Anreize zum vorzeitigen Renteneintritt weg. Und wir müssen die private Vorsorge berücksichtigen, wenn es um den Schutz vor Armutsrisiken im Alter geht. Wenn das Sicherheitsniveau nicht absinkt, werden die Lasten des demografischen Wandels auf die jüngere Generation überwälzt. Die gesetzliche Rente fließt aber nur, wenn die jüngeren Beitragszahler bereit sind, den Generationenvertrag fortzuführen. Sollten die Sozialabgaben weiter steigen, werden deren Möglichkeiten zur privaten Vorsorge zunehmend im Keim erstickt.

Aber der politische Wille zu solchen Maßnahmen fehlt ja offensichtlich. Stattdessen haben wir jetzt einen handfesten Streit in der Regierung, bei dem sogar über einen Koalitionsbruch spekuliert wird.

Wie gesagt - aus ökonomischer Sicht ist die Lage eindeutig. Hier geht es um politische Willensbildung. Warum die Regierung es bislang scheut, den Menschen diese vermeintlichen Zumutungen zu erklären, müssen politische Entscheidungsträger beantworten.

Was ist Ihre Vermutung?

Es ist naheliegend zu vermuten, dass die Politik notwendige Maßnahmen scheut, weil die Ruheständler eine zunehmend große Wählergruppe ausmachen. Das ist aber irreführend. Auch wenn deren Anteil steigt, werden sie nie die Mehrheit der wahlberechtigten Bevölkerung stellen. Das Zünglein an der Waage sind die Menschen zwischen 50 und 65. Wenn die in der letzten Phase ihres Erwerbslebens stehen, aufgrund steigender Beitragssätze aber immer weniger Möglichkeiten haben, ihre private Vorsorge fortzuführen, erscheint es mir zunehmend fraglich, ob die sich auch in Zukunft dauerhaft für höheres Rentenniveau und frühen Renteneintritt aussprechen.

Der Kanzler beruft sich auf eine Expertenkommission, die im kommenden Jahr eine große Rentenreform für die Zeit nach 2031 entwickeln soll. Wird dann der große Wurf endlich gelingen?

An Erkenntnis mangelt es nicht. Solange dort Ökonomen und Finanzwissenschaftlerinnen sitzen, erwarte ich keine neuen Ableitungen. Denn den demografischen Wandel können wir seit Jahren vorhersehen und der wird sich nicht ändern. Am Ende vermag aber auch eine weitere Kommission nicht den politischen Willen zu einer nachhaltigen Reform zu ersetzen.

Mit Jochen Pimpertz sprach Kilian Schroeder

Das Interview erschien zuerst bei capital.de

Quelle: ntv.de