Wirtschaft

Kritik an Hilfe für Firmen "Es muss viel mehr Energie gespart werden"

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Laut Löschel gilt es jetzt zu verhindern, dass physische Knappheiten auftreten und dadurch die Notfallpläne greifen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Für den Bochumer Ökonomen Andreas Löschel setzt das geplante Entlastungspaket der Bundesregierung die falschen Anreize. Im Interview erklärt er, warum es falsch ist, dass die Nachfrage durch Subventionen hoch bleibt - und worauf es stattdessen ankomme.

Die Bundesregierung plant Zuschüsse, Garantien und Bürgschaften für notleidende Unternehmen. Sie sehen das kritisch. Außer, dass sich einige mehr erhofft haben - was soll an solchen Hilfen falsch sein?

Andreas Löschel: Garantien und Bürgschaften sind richtig. Aber: Das Paket setzt unter ökonomischen Gesichtspunkten die falschen Anreize. Ziel muss sein, dass Energie eingespart wird - nicht, dass die Nachfrage durch Subventionen hoch bleibt. Die Marktmechanismen und damit die Lenkungswirkung hoher Preise sind wichtig, auch wenn sie schmerzhaft sind. Wir haben jetzt sieben Monate vor uns, in denen genügend Gas vorhanden ist. Wir sollten die Zeit für Anpassungen auf der Nachfrageseite nutzen.

Unternehmen und Verbrauchern wird dieser Vorschlag nicht gefallen. In Peru gibt es schon Aufstände, in Frankreich bestimmt das Thema die Wahlen ...

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Andreas Löschel ist Professor für Umwelt- und Ressourcenökonomik an der Ruhr-Universität Bochum sowie Senior Fellow am Alfried Krupp Wissenschaftskolleg in Greifswald. Er ist Vorsitzender der Expertenkommission "Energie der Zukunft" und Leitautor des Weltklimarats (IPCC).

Den Unternehmen und Verbrauchern muss selbstverständlich geholfen werden, nur anders. Der erste politische Impuls ist, die Preise zu senken, alles andere ist politisch natürlich schwierig durchzusetzen. Aber, und das ist hier entscheidend: Dadurch fehlt im Paket der wichtigste Teil der Antwort. Es muss ab sofort viel mehr Energie gespart werden.

Wie würden denn solche anreizbasierten Maßnahmen aussehen?

Zunächst: Eine wichtige Erkenntnis aller aktuellen Studien ist, dass Anpassungsreaktionen auf die Preise notwendig sind. Sowohl bei Unternehmen als auch in den Haushalten. Das sollte die Politik unterstützen, zum Beispiel, indem Investitionen in Energiesparen gefördert werden oder indem Unterstützungen an konkrete Sparpläne gekoppelt werden. Wir können auch Nachfrageminderungen in einer Auktion ausschreiben.

Das kennen wir vom Strommarkt. Wenn jemand Gas reduziert, dann bekommt er eine Kompensation. Das klingt nach ziemlich viel Bürokratie. Unternehmen und Haushalte fordern aber schnelle Hilfe. Ist das umsetzbar?

Im Prinzip ja. Zum Beispiel, indem sich Unterstützungen an den historischen anstelle der aktuellen Verbräuche orientieren. Das würde den Verbrauchern helfen, ohne dadurch die Marktanreize zu mindern. Zusätzliche Anreize könnten gesetzt werden, indem man Haushalten für Gaseinsparungen im Vergleich zum vergangenen Jahr noch einen entsprechenden Bonus in Aussicht stellt. Das ist alles nicht optimal, aber immer noch besser, als den Preis künstlich niedrig zu halten.

Warum müssen wir denn unbedingt den Gasverbrauch reduzieren? Ganze Industriezweige könnten lahmgelegt werden.

Wir müssen verhindern, dass physische Knappheiten auftreten und dadurch die Notfallpläne greifen. Dann werden Industriebetriebe früher gedrosselt als Stromerzeugung und Haushalte. Ökonomisch wäre das ein Widerspruch, denn die Kosten der Gasminderung sind in der Industrie am höchsten. Ich bin zwar zuversichtlich, dass das russische Gas-Angebot zu einem erheblichen Teil substituiert wird, aber wir müssen einen Teil sparen. Bei einem Gas-Embargo wahrscheinlich 20 bis 30 Prozent.

Unter Ökonomen ist ein Streit ausgebrochen, ob ein Gas-Embargo sinnvoll ist - und wenn ja, zu welchen Kosten. Wie positionieren Sie sich?

Wir selbst hatten - rein für den Fall eines Embargos - einen BIP-Rückgang um etwa drei Prozent für das erste Jahr geschätzt. Dazu kommen noch die Wirkungen hoher Energiepreise, die in anderen Studien auf zwei bis drei Prozent geschätzt werden. Insgesamt könnte ein Embargo wohl in der Summe um die sechs Prozent der Wirtschaftsleistung kosten. Die Gemeinschaftsdiagnose kommt mit Embargo auf ein Wachstum von 1,9 Prozent für 2022 und ein Schrumpfen der Wirtschaft um 2,2 Prozent im Jahr 2023. Dazu kommen etwa 500.000 neue Arbeitslose. Das wäre natürlich eine ganz kritische Situation für die deutsche Wirtschaft.

Und die Kritik von Kanzler Scholz? Er hatte den Ökonomen ja vorgeworfen, sie hätten die Auswirkungen "unverantwortlich" errechnet, indem sie die Kaskadeneffekte vernachlässigen.

Wir haben mittlerweile sehr viele und umfassende Studien, die aus meiner Sicht auch gar nicht so weit auseinanderliegen. Man muss diese Puzzlestücke aber nebeneinanderlegen, um ein robustes Bild für den ökonomischen Teil zu erhalten. Und dieses Bild ist keines von Massenarbeitslosigkeit, Verarmung oder Hyperinflation. In der Corona-Krise haben wir gelernt, wie wir mit diesen temporären Problemen umgehen und einzelne Sektoren schützen können. Klar ist aber auch, dass diese Studien den sicherheitspolitischen Teil nicht umfassend einpreisen - sowohl für ein Embargo als auch für ein "Weiter so".

Eine viel beachtete Studie des Washington Institute of International Finance spricht sich für "smarte" statt "harte" Sanktionen aus - zum Beispiel durch Importzölle auf russisches Gas für Unternehmen. Die Einnahmen könnten dann in die Entlastung fließen. Ist das sinnvoll?

Der Vorteil wäre, dass die Einnahmen Russlands fallen würden und durch die Importzölle das Geld bei uns bleibt. Es wäre ein schrittweises Embargo. Daneben könnte ein Importzoll den Preis auf einem gewissen Niveau stabilisieren. Das kann für Anpassungsmaßnahmen wichtig sein. Jeder überlegt jetzt, ob sich ein Investment langfristig lohnt oder ob die Preise nur kurzfristig hoch sind. Realistischerweise werden wir ohne Russland aber nicht mehr auf die gleichen niedrigen Preise kommen. Das muss auch jedem Unternehmer klar sein: Alles, was Energie einspart, schützt sein Unternehmen vor den höheren Preisen. Und ja, der Importzoll könnte diese Klarheit schaffen und die erforderlichen Investitionsreize setzen.

Wäre es nicht auch sinnvoll, in der Stromerzeugung etwas zu machen? Manche Politiker fordern bereits, dass Atomkraft und Kohleverstromung verlängert werden.

Ja, bislang ging es tatsächlich viel um Unternehmen und Haushalte. Aber etwa ein Fünftel des Gases geht in die Stromerzeugung. Mir scheint es am einfachsten, die Abschaltdynamik bei der Kohle etwas zu verlangsamen. In diesem Jahr gehen ja nicht nur vier Gigawatt Atomkraft, sondern auch fünf Gigawatt Kohle aus dem Markt. Mehr als die Hälfte wird mit heimischer Braunkohle befeuert. Die sollten wir weiter zur Bereitschaft halten. Und natürlich ist es wichtig, auf der Angebotsseite weiter aktiv zu sein, die Zuflüsse an Pipelinegas und LNG hochzuhalten, so stark wie es eben geht. Dafür müssen wir in den kommenden sechs Monaten aber auch den Gastransport von West nach Ost organisieren. Das kann man hinbekommen.

Mit Andreas Löschel sprach Jannik Tillar

Das Interview ist zuerst bei Capital erschienen.

Quelle: ntv.de

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